Sachbücher des Monats: August 2010

Die Top Ten unter den Sachbüchern nebst einer persönlichen Empfehlung, jeden Monat neu, präsentiert von Süddeutsche Zeitung / Buchjournal / Börsenblatt / Norddeutscher Rundfunk / Telepolis.

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Shlomo Sand

Die Erfindung des jüdischen Volkes

Israels Gründungsmythos auf dem Prüfstand

Shlomo Sand gehört einer Gruppe israelischer Historiker an, die sich kritisch mit der Geschichte Israels und des Zionismus befassen. Nicht das Existenzrecht Israels stellen sie in Frage, sondern den auf Legenden beruhenden Alleinanspruch auf das Gelobte Land. Das Judentum, so Sand, ist eine religiöse, keine ethnische Gemeinschaft. Wenn überhaupt, sind eher die Palästinenser als die eingewanderten Juden ethnische Nachkommen der Israeliten. Bei aller Provokation stellt Sands Buch eine fundierte Auseinandersetzung mit der 3000-jährigen Geschichte des Judentums dar.

Propyläen Verlag, 512 Seiten, EUR 24,95

Christian Meier

Das Gebot zu vergessen und die Unabweisbarkeit des Erinnerns

Vom öffentlichen Umgang mit schlimmer Vergangenheit

Christian Meier ist die Weltgeschichte durchgegangen, um herauszufinden, was die Menschen früher taten, wenn sie nach Kriegen oder Bürgerkriegen Versöhnung suchten. Sein Befund ist ebenso erstaunlich wie einfach: Die Welt setzte seit den alten Griechen auf Vergessen.

Siedler Verlag, 159 Seiten, EUR 14,95

Samuel D. Kassow

Ringelblums Vermächtnis

Das geheime Archiv des Warschauer Ghettos

1941 begann im Warschauer Ghetto eine unglaubliche Geschichte: der junge jüdische Historiker Emanuel Ringelblum organisierte ein Netz von Mitarbeitern, die im Untergrundarchiv "Oyneg Shabes" das Leben unter deutscher Zwangsherrschaft minutiös dokumentierten. Als dann die "Große Aussiedlung" in das Vernichtungslager Treblinka begann, sicherten Mitarbeiter des Archivs ihre wertvollen Bestände und vergruben sie unter Gebäuden des Ghettos.Übersetzt von Karl Heinz Siber

Rowohlt Verlag, 752 Seiten, EUR 39,95

Eckart Kleßmann

Goethe und seine lieben Deutschen

Ansichten einer schwierigen Beziehung

Vor dem Hintergrund der Biographie beschreibt diese Studie Goethes Beziehung zur deutschen Kunst und Kultur, zur deutschen Sprache, zur deutschen Landschaft. Sie bringt uns sein Plädoyer für eine Weltliteratur wieder nahe, sie beleuchtet sein ambivalentes Verhältnis zum Judentum und seine Vorstellungen von Deutschlands politischer und wirtschaftlicher Verfassung.

Eichborn Verlag (Die Andere Bibliothek), 312 Seiten, EUR 32,00

Harry Graf Keßler

Das Tagebuch 1880 – 1937

Band 9: 1926 – 1937

In diesem Band seines Tagebuches zeigt sich Kessler einmal mehr als aufmerksamer Kommentator, dessen Betrachtungen diesmal von den Krisenjahren der Weimarer Republik bis zum beginnenden Nationalsozialismus reichen. Dies dokumentieren nicht zuletzt zahlreiche von ihm in den Band eingefügte und kommentierte Zeitungsausschnitte.Herausgegeben von Sabine Gruber und Ulrich Ott, unter Mitarbeit von Christoph Hilse und Nadin Weiß

Veröffentlichungen der Deutschen Schillergesellschaft, 50.9, Verlag Klett Cotta, 1084 Seiten, EUR 63,00

Fred Grimm (Hg.)

„Wir wollen eine andere Welt!“

Jugend in Deutschland 1901 – 2009

Wie war es, 1903, 1920, 1936, 1959, 1973, 1996 oder 2008 in Deutschland jung zu sein? Wie haben 12- bis 25-jährige Mädchen und Jungen, Frauen und Männer die Umwälzungen ihrer Zeit erlebt? Wie die Kriege, die Katastrophen, die kleinen und großen Revolten? Wie war das mit den Eltern? Wie mit der ersten Liebe? Wie haben sie gelernt, wie gearbeitet, was hat sie bewegt, was haben sie gefühlt? Und - vor allem - was schrieben die Jugendlichen selbst darüber?

Tolkemitt Verlag bei Zweitausendeins, 448 Seiten, EUR 29,80

Amin Maalouf

Die Auflösung der Weltordnungen

Essay

Der im Libanon geborene Amin Maalouf beschreibt die krisenhafte "Entregelung" - in ethischer und intellektueller, geopolitischer, ökonomischer und "klimatischer" Hinsicht -, von der der Westen ebenso wie der Nahe Osten aus unterschiedlichen Gründen betroffen sind. Maalouf diagnostiziert einen Zustand der Erschöpfung, in den die beiden Kulturen verfallen seien - aus dem nur eine Besinnung auf die eigenen Werte (dessen, was beide unterscheidet) sowie die Zukunft (die nur eine gemeinsame sein kann) hinausführen werde.Übersetzt von Andrea Spingler

Suhrkamp Verlag, 248 Seiten, EUR 24,80

Sebastian Moll

Die christliche Eroberung des Alten Testaments

Die Frage scheint erstaunlich, ob das Alte Testament überhaupt in die christliche Bibel gehört oder nicht. Im frühen Christentum waren die innerkirchlichen Widerstände gegen die Aufnahme des Alten Testaments nicht unerheblich. Selbstverständlich konnten die jüdischen Schriften nicht von einer anderen Religionsgemeinschaft übernommen werden, ohne sie entsprechend umzuinterpretieren. Diese christliche "Eroberung" des Alten Testaments war eine entscheidende Weichenstellung auf dem Weg zu einer Jahrhunderte währenden Judenfeindlichkeit innerhalb der Kirche.

Berlin University Press, 77 Seiten, EUR 19,90

Klaus Wagenbach

Die Freiheit des Verlegers

Erinnerungen, Festreden, Seitenhiebe

Der Band sammelt Texte Klaus Wagenbachs über Italien (einschließlich Kunstgeschichte), Politik, das Leben und die Zukunft der Bücher und über einzelne Autoren (u. a. Fried, Hermlin, Celan, Jandl, Grass, Pasolini). Ein Großteil der Texte ist bisher nicht veröffentlicht, wichtige Zeitdokumente wie die Grabrede für Ulrike Meinhof wurden ebenfalls aufgenommen.Herausgegeben von Susanne Schüssler

Verlag Klaus Wagenbach, 352 Seiten, EUR 19,90

Eva-Maria Silies

Liebe, Lust und Last

Die Pille als weibliche Generationserfahrung in der Bundesrepublik 1960 – 1980

Die sexuellen und körperlichen Erfahrungen der Frauen, die in den 1960er Jahren mit der Pille verhüteten, unterschieden sich grundlegend von denen ihrer Mütter. Die Möglichkeiten der Pille waren eine stille generationelle Erfahrung, die Frauen mindestens so sehr prägte wie das politische Geschehen dieser Zeit, und die ihr Verhältnis zur Generation ihrer Mütter und zu Männern neu definierte.

Wallstein Verlag, 488 Seiten, EUR 39,90

Besondere Empfehlung des Monats August 2010 von Daniel Haufler:

Stephan Schulmeister

Mitten in der großen Krise - Ein „New Deal“ für Europa

Staatsverschuldung, Arbeitslosigkeit, Armut und Klimawandel

Mit der "großen Krise" hat der Übergang von einer finanz- zu einer realkapitalistischen Wirtschaftsordnung begonnen. Dieser wird Jahre dauern: Der in den letzten dreißig Jahren zunehmend dominante Finanzkapitalismus stellt ja eine umfassende »Spielanordnung« dar. Dazu gehören die neoliberale Wirtschaftstheorie, der Vorrang für den Geldwert, die Liberalisierung der Finanzmärkte und die Schwächung des Sozialstaats. Die große Krise wird den Boden für eine Neuordnung des "Spiels Wirtschaft" bereiten: Die Triebkraft kapitalistischer Dynamik, das Profitstreben, wird wieder auf realwirtschaftliche Aktivitäten fokussiert, ergänzt und erweitert um die ökologische und soziale Dimension.

Edition Gesellschaftskritik, Bd. 7, Picus Verlag, 160 Seiten, EUR 9,90

Die Jury