"Saddam Hussein ist jetzt der moralische Kompass des Westens"
Der Skandal um die sadistischen Fotos weitet sich durch neue Veröffentlichungen aus; keine "Schadensbegrenzung" durch Bushs Auftritt bei arabischen Fernsehstationen
Noch vor einer Woche sagte US-Präsident Bush im Rosengarten des Weißen Hauses dem kanadischen Premierminister Martin, dass man, wie bei der Flugzeugträgerrede vor Jahresfrist bereits bekundet, eine Mission erfüllt habe, nämlich die Absetzung Saddam Husseins. Als Folge davon, gebe es im Irak keine Folterkammern mehr, keine Vergewaltigungsräume und keine Massengräber.
Gestern gab der Präsident zwei arabischen Fernsehsendern - dem US-gesponsortem Sender Al-Hurrah, der über keinerlei "street credibility" verfügt und dem kritischeren, von saudischem Geld finanzierten Sender al-Arabija - Interviews, um die arabische Strasse zu beruhigen.
Um zu erklären, dass die Bilder (Sadistische KZ-Spiele) von sexuell gedemütigten irakischen Gefangenen aus der Saddam-Folterfestung Abu Ghuraib "abscheuliche" Entgleisungen Einzelner sind, "unamerikanische" Verirrungen, die nichts mit dem Amerika zu tun haben, das er kennt und propagiert.
Das arabische Publikum, kritischere Fernseh-Zuschauer als man es lange Zeit und wahrscheinlich bis heute in den Washingtoner Führungsetagen einstuft (vgl. USA vs. Demokratie "Arab Style"), empfand es wohl als die erwartete Pinocchio-Rede. Fehler wurden zwar eingeräumt und drastische Ahndung der Misshandlungen versprochen, aber das S-Wort, auf welches das arabische Publikum gewartet hatte, fiel nicht.
Die Glaubwürdigkeit von Bush in der arabischen Welt ist gleich Null. Man weiß, dass etwa die Angestellten der privaten Firmen, die in den Skandal verwickelt sind, eine große Chance haben, ungestraft davon zu kommen. Die blühenden Rosen des Wohlstands, die Segnungen der Demokratie, das Gute, das der amerikanische Präsident versprochen hat, sind spätestens seit dem grausamen Monat April zum Ödland verkommen.
"Nichts, was diese Jungs und ihre Iraker im Irak berühren, entwickelt sich zu etwas anderem als Schlacke.", so die deprimierende Diagnose eines amerikanischen Kommentators.
Für manche Araber komme schon der Anblick von George W.Bush einer Folter nahe, konstatiert hämisch-giftig der "angry arab"-Blogger Abu Khalil. Vor dem Abu Ghuraib-Gefängnis kommt es täglich zu neuen Demonstrationen, organisiert von einer sunnitisch-religiösen Vereinigung, dem "Board of Muslim Scholars", das sehr "einflussreich" sein soll, mehrere Tausend Aufgebrachter protestieren dort mit harschen Worten.
Der BBC-Korrespondent erkennt kein Anzeichen dafür, dass die gestrigen Fernsehauftritte von US-Präsident Bush bei al-Hurra und al-Arabiia in der arabischen Welt für die Schadensbegrenzung gesorgt haben, die man sich davon versprochen hat.
Das Problem für die Amerikaner besteht darin, dass keiner in der arabischen Welt an "Einzelfälle" glaubt; jeder erwartet, dass noch viel Schlimmeres kommt.
Weite Teile der arabischen Öffentlichkeit würden die Entgleisungen als Teil eines systematischen Musters von Misshandlungen begreifen, die das "wahre Gesicht der Besatzung zeigen"; als einzig befriedigende Lösung, so der Korrespondent der BBC, der das Bush-Interview zusammen mit einer ägyptischen Familie sah, würde man nur den völligen Abzug der Truppen aus dem Irak anerkennen.
Indessen sind neue Fotos aus dem Abu Ghuraib-Gefängnis an die Öffentlichkeit gelangt. Sie ähneln den Bildern, die vor einer Woche bei der CBS Sendung "60 Minutes II" ausgestrahlt wurden und bestätigen die verwahrlosten Verhältnisse im Abu Ghuraib-Gefängnis, die General Taguba in seinem Bericht detailliert und schonungslos dokumentiert.
Das Internationale Komitees vom Roten Kreuz (IKRK) hat die US-Behörden nach eigenen Angaben bereits vor Monaten aufgefordert, gegen die Misshandlung irakischer Häftlinge einzuschreiten.
Wir wussten, was dort passierte, und auf Grund unserer Erkenntnisse haben wir die US-Behörden mehrfach aufgefordert, Korrekturen einzuleiten.
Da man jedoch der Neutralität verpflichtet sei, veröffentlicht das IKRK seine Beobachtungen "grundsätzlich" nicht, sondern "diskutiert" darüber nur mit der jeweiligen Besatzungsmacht.
Erst die veröffentlichten Fotos konnten den Skandal ins Rollen bringen; Berichte werden, wie vor allem der Taguba-Bericht zeigt, von verantwortlicher Seite gar nicht wahrgenommen. Dieser Bericht lag der amerikanischen Führung auch seit Monaten vor, er ging Gerüchten nach, die ihrerseits seit längerer Zeit im Umlauf waren. Auf einer Pressekonferenz, die vor ein paar Tagen stattfand, konnte ein stammelnder Rumsfeld die Frage, ob er denn jetzt den Bericht eingesehen habe, nicht klar beantworten.
Noch sei es unklar, so die Washington Post, wer die Fotos gemacht habe und wozu. Sie seien nur ein Teil einer großen Menge von "Souvenirfotos", die von Digitalkameras auf CDs geladen wurden, erste Spuren würden zur "372nd Military Police Company" weisen.
Für die Anwälte der verdächtigter Soldaten stehen die Verantwortlichen allerdings fest:
Es ist klar, dass die Geheimdienste gefordert haben, dass diese Fotos gemacht werden.
Guy L. Womack, Anwalt des angeklagten Charles Graner
Ungeachtet der Ermittlungen und der Strafen in diesen Fällen, welche die amerikanische Regierung versprochen hat, was den glaubwürdigsten Punkt in den Bush-Statements darstellt - auch wenn die Ermittlungen wahrscheinlich bei den unteren Chargen stoppen werden und Rumsfeld nicht erreichen -, erhebt sich nicht nur für den arabischen Schriftsteller Ahdaf Soueif hinter diesen Vorgängen das grässliche Haupt des Rassismus, den er bei den britischen und amerikanischen Eliten argwöhnt. Demzufolge sind die einzelnen "Verirrungen" nur die Spitze eines Eisbergs, der allmählich seine wahre Dimension zeigt. Hinweise auf rassistische Überheblichkeiten bei den alliierten Truppen gab es seit Beginn des "Befreiungsfeldzugs" genug.
Die Souvenir-Foto-CDs sprechen ganz offensichtlich die Sprache, die am besten verstanden wird; nichts anderes konnte die Gut-Böse-Rhetorik der derzeitigen US-Regierung und deren Anspruch derart degradieren wie diese Bilder.
Hussein ist jetzt der moralische Kompass des Westens.
Ahdaf Soueif