Sahra Wagenknecht und die Linke: Geheimoperation Parteineugründung

Seite 2: Eine Geheimsache, von der alle wissen

All das und noch viel mehr erfährt man in Gesprächen mit direkt Beteiligten und Akteuren aus Wagenknechts Umfeld. Offiziell aber spricht niemand über das Projekt. Eine Abgeordnete, die Wagenknecht nähersteht als jedes andere Fraktionsmitglied, antwortete auf die konkrete SMS-Anfrage nach einer Neugründung im Oktober noch in derselben Minute, sie wisse "von nichts".

Das ist nicht nur wegen der Pawlow'schen Antwortgeschwindigkeit bezeichnend, sondern auch, weil andere Angefragte die gleiche Ich-weiß-von-nichts-Formulierung wählten. Irgendwo und irgendwann scheint das Wording abgestimmt worden zu sein.

In Berlin treffen sich informierte Genossinnen und Genossen nur zu Hintergrundgesprächen "unter 3", also ohne Zitate. Die Gründungspläne für eine neue linke Partei sind eine Geheimsache, von der alle wissen, über die aber niemand so richtig reden will.

Der Grund dafür liegt sicherlich in der gegenseitigen Belagerung von Anhängern und Gegnern Wagenknechts. Darin, dass keiner der Getreuen die inzwischen eher wahrscheinliche als mögliche Parteigründerin brüskieren will. Weil es darum geht, die Ressourcen der noch gemeinsamen Fraktion und Partei möglichst effektiv zu nutzen. Weil man das publizistische Moment optimal nutzen will.

Und natürlich sind viele der Beteiligten vorsichtig geworden wegen eines prominenten Vorgängerprojekts: Wagenknechts Bewegung "Aufstehen", die sich trotz ihres erhebenden Namens nach ihrer Gründung im Frühjahr 2019 schnell als kniekrank und lauffaul entpuppte. Wagenknecht und ihre Mitstreiter hatten zwar das richtige Gespür für die Stimmung in Teilen der Bevölkerung. Sie waren aber in einem ebenso erstaunlichen wie verheerenden Maße unfähig, aus ihrer politischen Analyse Kapital zu schlagen.

Inzwischen sind die Krisen zahlreicher, der Handlungsdruck größer geworden. Dass Wagenknecht und die Ihrigen nichts tun – das kann sich niemand vorstellen, am wenigsten sie selbst. Zumal ein zweites Scheitern das politische Ende der prominenten Sozialistin wäre.

Gysi, Bartsch und die tragischen Figuren am Rande

Dabei gerät leicht aus dem Blick, dass der Bruch der Linken bereits das Schicksal anderer prominenter Vertreter besiegelt hat, die weder in der jetzigen Partei noch in einer wahrscheinlichen künftigen Struktur unter der Ägide von Wagenknecht und ihren Führungssprechern einen Platz haben. Das betrifft den nach dem Rückzug Mohamed Alis verbliebenen Fraktionsvorsitzenden Dietmar Bartsch. Das gilt aber vor allem für Gregor Gysi.

Das Scheitern der Linken als gemeinsames Projekt der ostdeutschen PDS und der westdeutschen WASG nach 16 Jahren ist für Gysi auch eine persönliche Niederlage. Seit Wochen und Monaten appelliert er an beide Seiten, doch noch zu einer gemeinsamen Lösung zu kommen.

Doch im Berliner Karl-Liebknecht-Haus, der Parteizentrale, wie im Wagenknecht-Lager werden diese Versuche abgelehnt, fast belächelt. So steht Gysi isoliert am Rande und sieht sein Lebenswerk – eine gesamtdeutsche, demokratisch-sozialistische Partei – in Trümmern liegen. Die Tragik der politischen Figur Gysi, das wird in den Gesprächen deutlich, ist beiden Seiten durchaus bewusst.

Dabei hatte er alles versucht, um das Ruder herumzureißen. In Erinnerung bleibt vor allem seine Wutrede auf dem Göttinger Parteitag 2012, als er mit deutlichen Worten die Flügelkämpfe in seiner Partei anprangerte. "Auch in unserer Bundestagsfraktion herrscht Hass", sagte er. Seit Jahren versuche er, die Strömungen zusammenzuführen, so die damalige Selbsteinschätzung, der er anfügte, man laufe Gefahr, "zerrieben" zu werden.

Nicht nur diese Aussage erwies sich als selbsterfüllende Prophezeiung, sondern auch eine andere, die sich angesichts der bevorstehenden Ereignisse bemerkenswert aktuell liest. Gysi, 2012: Wenn es nicht gelinge, sich zwischen den unterschiedlichen Fraktionen der Linken zu einigen, dann bleibe als letzte Option nur die Spaltung. "Dann wäre es sogar besser, sich fair zu trennen als weiterhin unfair, mit Hass, mit Tricksereien, mit üblem Nachtreten und Denunziation eine in jeder Hinsicht verkorkste Ehe zu führen."

Medien als Sterbehelfer der Linken

Gysis Wutrede liest sich heute in Teilen wie eine vorahnende Grabrede auf seine eigene politische Karriere, die vor allem im ostdeutschen Bewusstsein 1989 auf dem Berliner Alexanderplatz begonnen hatte.

Doch es wäre ungerecht, die Schuld allein bei ihm und Bartsch zu suchen. Die Linke hat viele Totengräber. Dazu gehören auch die wechselnden Mandatsträger, die über die Jahre ihre Konflikte über die Presse ausgetragen haben. Das Bild der zerstrittenen Linken – es wurde in den eigenen Reihen gehegt und gepflegt.

Viele der Verantwortlichen kennt heute niemand mehr. Ein Beispiel: 539 Treffer verzeichnet Google für Halina Wawzyniak auf der Website des Nachrichtenmagazins Der Spiegel. Die Berliner Juristin gehörte bis 2017 der Linksfraktion an und unterhielt bis dahin eine gefühlte Standleitung in die Hamburger Redaktion.

Egal, was der damals noch aktive Oskar Lafontaine oder später Sahra Wagenknecht taten – Wawzyniak kommentierte es im Spiegel, manchmal fast noch während laufender Fraktionssitzungen, oft in hölzernen Kurzinterviews mit Gefälligkeitsfragen.

Nun ist es ausgerechnet der Axel-Springer-Verlag, der die Spaltung der Linken publizistisch vorantreibt. SPD und Linke "zittern vor der ‚Liste Sahra Wagenknecht‘", hieß es im Flaggschiff "Bild" schon 2018. In diesem Sommer nun prognostizierte das Blatt einer Wagenknecht-Partei satte Wahlerfolge.

Was seltsam sympathisierend anmutet, basiert wohl auf politischem Kalkül: Ist die Linke erst einmal gespalten, dürfte sich auch der Ton gegenüber Neugründung ändern. Der Streit und das Zerwürfnis der Linken: Sie sind auch Produkte einer fragwürdigen politischen Einflussnahme großer Verlagshäuser.

Klar, dass die Kleinen da mitspielen wollen. An die "lieben Genoss*innen" wandte sich die grün-nahe "tageszeitung" Ende Juni in einer E-Mail. Man sei auf der Suche nach "Gesprächspartner*innen", die früher Linke, SPD oder Grüne gewählt, sich von diesen Parteien entfremdet hätten und nun bei Wagenknecht andocken könnten: "Kennen Sie jemanden, auf den das zutrifft, der oder die bereit wäre, mit uns zu sprechen?"

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