Salafistische Strukturen in Ostwestfalen-Lippe

Seite 5: Schulen sitzen das Problem aus

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Der Mannheimerin Lamia K., die aktuell mit Fatima M. im Irak inhaftiert ist, wird seitens des Verfassungsschutzes vorgeworfen, in die Kreise um Ibrahim Abou-Nagie verstrickt gewesen zu sein, eventuell sogar als Schleuserin gearbeitet zu haben.

Laut Zeit "bekam sie in ihrer Zeit beim IS immerhin zwei prominente deutschsprachige IS-Kader zu sehen: den Berliner Ex-Rapper Abu Thalia, vormals Deso Dogg, und den österreichischen Terroristen Mohammed Mahmud, besser bekannt als Abu Osama al-Gharib", jene beiden Salafisten, die die "Lies!"-Gruppe leiteten, die Islam M. aktiv unterstützte.

Doch all das wusste Erol Kamisli nicht, als er seinerzeit, nach den Anschlägen auf Charlie Hebdo, den Prozess gegen Islam M. verfolgte. Er begann, sich intensiver mit dem Thema zu beschäftigen. Er fand heraus, dass es um Islam M. acht weitere Jugendliche gab, aus seinem familiären Umfeld und aus dem Bekanntenkreis, die sich offenbar den Salafisten angeschlossen hatten.

Zwei minderjährige Mädchen, Detmolder Schülerinnen türkischer Herkunft, aus diesem Kreis wurden im Juni 2015 an der türkischen-syrischen Grenze festgenommen - auch sie hatten sich auf den Weg zum IS gemacht. Um dort einen Gotteskrieger zu heiraten, wie die LZ schrieb.

Ein Salafistenproblem?

Stutzig machte Erol Kamisli, dass alle neun Jugendlichen auf zwei bestimmte Berufskollegs in Detmold gingen. Wie sich später herausstellen sollte, besuchte auch Fatima M. eines dieser Berufskollegs. Erol Kamisli fragte sich, ob diese eventuell ein Salafistenproblem hätten?

Diese Frage stellte er nicht nur sich, sondern zunächst auch der Schulleitung eines dieser Kollegs. "Es war unglaublich kompliziert, einen Termin zu bekommen", erläutert der Journalist gegenüber Telepolis.

Bevor es dazu kam, schaltete sich das Innenministerium ein und ein langwieriges Frage- und Antwort-Spiel via E-Mail begann, das sich etwa drei Monate lang hinzog. Allerdings ohne dass es zu einem Gespräch geführt hätte. Es gebe Krisenteams, die sich um solche Probleme kümmerten, hieß es. Allerdings sei von dem betreffenden Kolleg keine Anfrage eingegangen.

Erol Kamisli

Auf dem kleinen Dienstweg, hinter vorgehaltener Hand, erfuhr er dann, dass die Lehrerinnen und Lehrer an dem betreffenden Berufskolleg einen Maulkorb bekommen hatten. Sie durften sich öffentlich nicht äußern. Erol Kamisli hält genau das für den falschen Weg: "Das macht die salafistische Szene nur noch stärker", so seine Befürchtung.

Birgit Ebel von der Initiative "extremdagegen!" , die mit Verweis auf Aussagen des Verfassungsschutzes von etwa 150 Salafisten in Ostwestfalen-Lippe (OWL) ausgeht, fordert: "Wir brauchen eine Kultur der demokratischen Werte, mehr politische Bildung und mehr interkulturell geschulte Lehrkräfte, die Radikalisierung erkennen und Hilfen vermitteln können."

Zu diesen salafistischen Kreisen in OWL gehören auch Kinder und Jugendliche. Die Landeszeitung NW versuchte zu ermitteln, wie viele Betroffene es gibt. "Zahlen darüber hat der Bielefelder Staatsschutz nicht", berichtet Jobst Lüdeking.

Der Journalist hat sich die Mühe gemacht, Fotos, die der Redaktion vorliegen, auszuwerten und ist auf die Zahl von 20 Kindern und Jugendlichen aus salafistischen Familien allein in Herford, ein Städtchen mit 66.000 Einwohnerinnen, gekommen.

Das Problem ist also offenbar bekannt, nur wie dem zu begegnen sei, darüber herrscht große Ratlosigkeit. Ein Problem, so schätzt es Erol Kamisli ein, sei, dass die Schulen um ihren guten Ruf fürchteten, wenn sie mit dem Salafismus in Zusammenhang gebracht würden.

Da stellt sich dann allerdings die Frage, was dem Ruf mehr schadet: Als Brutstätte terroristischer Vereinigungen bzw. deren Auslandsorganisationen in die Schlagzeilen zu geraten, oder als Institution, die genau dieses Problem aktiv angeht?