Salvini: Russland statt der Türkei in die EU
Der italienische Innenminister greift eine alte Idee Charles de Gaulles auf
Der italienische Innenminister und Lega-Chef Matteo Salvini sagte dem russischen Portal SputnikNews, er ziehe die "Idee eines EU-Beitritts" Russlands der einer Aufnahme der Türkei "ehrlich gesagt" vor: "Russland", so Salvini, sei nämlich "unserer Geschichte, unserer Kultur, unserer Wirtschaft und unseren Traditionen deutlich näher als die Türkei" (die mit aktuell 80 etwa 65 Millionen weniger Einwohner hat als Russland und mit der seit 2005 Beitrittsgespräche laufen).
Was für einen Teil der europäischen Medien wie eine Provokation klingt, ist tatsächlich eine alte Idee Charles de Gaulles (vgl. Russland in die EU?). Der spätere französische Staatspräsident hatte bereits 1935 einen Pakt zwischen Frankreich und der Sowjetunion begrüßt, weil er sich davon eine Eindämmung der Macht Berlins erwartete. 1944 brachte er die Idee eines Europas, das Russland mit einschließt, in seinem Buch Vers l'armée de métier zu Papier.
Als französischer Staatspräsident verfolgte de Gaulle dem Historiker Knut Linsel zufolge das Ziel einer Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft ohne britische Beteiligung und ohne die Aufgabe nationaler Souveränität durch die Mitgliedsländer. Die war ihm ebenso sehr "ein Dorn im Auge […] wie die militärische Integration im Falle der NATO", aus der er Frankreich 1966 teilentfernte (was Nicholas Sarkozy 43 Jahre später wieder rückgängig machte). Als de Gaulle ebenfalls 1966 die Sowjetunion besuchte, verkündete er auch dort seine "Vision" eines Europas unter Einschluss der Russen.
Frankreich, Deutschland und Polen vs. Österreich, Tschechien und Italien
Sarkozys Nach-Nachfolger Emmanuel Macron steht Russland noch weiter entfernt gegenüber als der Republikaner. Er ist ein entschiedener Befürworter der im Zuge der Krim-Krise verhängten Sanktionen gegen das Land und bringt immer wieder zum Ausdruck, dass er in Moskau eine Bedrohung sieht. Damit stellt er sich auf die Seite der Staatsführungen Deutschlands, Polens und der baltischen Länder, während sich die Regierungen Österreichs, Tschechiens und Italiens offen für eine Entspannung zeigen.
Am entschiedendsten gegen die Russlandsanktionen sprach sich bislang Salvini aus. Verhindern konnte (oder wollte) er sie trotzdem nicht, was möglicherweise auch damit zusammenhängt, dass sie ihm als Verhandlungsmasse zur Durchsetzung anderer politischer Ziele möglicherweise nicht ganz unwillkommen sind (vgl. Italien will Haushalt trotz Oettinger-Drohung nicht ändern).
Unterschiedliche Positionen zu Russland bei Salvinis (potenziellen) Partnern
Anders als der Lega-Koalitionspartner M5S früher will die italienische Regierung die Italiener nicht mehr über einen Austritt aus der EU abstimmen lassen, sondern die EU so ändern, dass man "mit einem Gefühl der Selbstachtung und Würde bleiben kann", wie Salvini im März verlautbarte. Dieser Position hat sich inzwischen auch seine französische Bündnispartnerin Marine Le Pen angeschlossen. Sie erklärt den Wechsel mit den Wahlerfolgen der Lega und anderer europäischer Parteien, welche eine Veränderung der Strukturen realistischer gemacht hätten.
Ein gemeinsames Programm hat Salvinis europäisches Wahlbündnis "Allianz der europäischen Völker und Nationen" (AEPN) jedoch nicht, was auch daran liegt, dass das Verhältnis der Lega und der Rassemblement National zu Russland ein ganz anderes ist als das der neuen estnischen Mit-Regierungspartei EKRE. Deren Vorsitzender Mart Helmes nennt neben der ungarischen die polnische Regierung als Vorbild, die - auch aufgrund historisch bedingter Ängste - als eine der russlandskeptischsten in der EU gilt.
Wahrscheinlich nicht zuletzt deshalb blieben die Werbeversuche Salvinis bei der zur konservativen und von den britischen Tories angeführten EKR-Fraktion gehörigen polnischen Regierungspartei PiS bislang erfolglos. Gleiches gilt für seine Bemühungen in Budapest. Die dort regierende Fidesz wartet vorerst ab, wie das Ausschlussverfahren ausgeht, das die christdemokratische EVP-Fraktion gegen sie eingeleitet hat.
Nicht dafür bezahlt, um sich an die Vergangenheit zu erinnern
In Sizilien, wo Salvini während seiner Aussage weilte, macht der Innenminister unter anderem mit dem Kampf gegen die Mafia Wahlkampf. Dazu nutzte er am 25. April den symbolisch aufgeladenen Jahrestag der Befreiung Italiens von der hitlerdeutschen Besatzung, um in der weltweit als "Paten-Stadt" berüchtigten Ortschaft Corleone zusammen mit dem Erzbischof ein neues Polizeirevier zu eröffnen.
Auf Vorwürfe der Opposition hin, er hätte sich an diesem Tag lieber an Gedenkfeiern beteiligen sollen, meinte er, er werde nicht dafür bezahlt, um sich an die Vergangenheit zu erinnern, sondern um die Gegenwart von Übeln wie dem Organisierten Verbrechen zu befreien.
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