Sanktionen gegen Iran: Anlass für eine souveräne Außenpolitik der EU

Seite 4: Absehbare weitere Entwicklungen

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Alle Faktoren sprechen bisher dafür, dass die Krise um den Iran sich weiter zuspitzt. Die wesentlichen Akteure in der US-Regierung - Donald Trump, John Bolton, Mike Pompeo und die neue CIA-Chefin Gina Haspel - lassen keinen Zweifel daran, dass sie die Konfrontation gegen den Iran weiterführen werden.

NSC-Chef John Bolton rang sich inzwischen zwar zu einem Dementi durch, dass die US-Regierung aktuell keinen Regime-Change im Iran plane, nachdem die Presse über seine engen Beziehungen zu den iranischen Volksmudschahedin (MEK) berichtet hatte.

Hingegen betonte Bolton bei verschiedenen Presseauftritten am Wochenende, dass es möglich ist, dass die USA europäische Länder, die sich gegen Washingtons Ausstieg aus dem Iran-Pakt ausgesprochen hatten, einschließlich Deutschland und Frankreich, sanktionieren würden.

Nun, ich denke, der Präsident sagte in seiner Erklärung am Dienstag, dass Länder, die weiterhin mit dem Iran zu tun haben, mit US-Sanktionen konfrontiert werden könnten. Die Europäer werden mit den wirksamen US-Sanktionen konfrontiert werden, sind es bereits, denn vieles von dem, was sie an den Iran verkaufen wollen, beinhaltet US-Technologie, für die die Lizenzen nicht verfügbar sein werden.

John Bolton

Die engsten Verbündeten der USA im Nahen und Mittleren Osten, das Königreich Saudi-Arabien und Israel, orientieren bereits seit längerem auf eine militärische Konfrontation mit dem Iran. Israels Premier Benjamin Netanyahu und das saudische Königshaus beschwören seit Jahren beinahe rituell angebliche "iranische Aggressionen".

Natürlich begrüßten Saudi-Arabien, die Golf-Staaten und Israel auch den Rückzug der USA aus dem JCPOA. Israel sieht sich ohnehin bereits in einer militärischen Konfrontation mit Iran und griff in den vergangenen Monaten wiederholt Truppen im Nachbarland Syrien an, die Israel als "iranische Truppen" bezeichnet.

Die weitere Konfrontation mit dem Iran nutzt der Trump-Regierung zudem innenpolitisch. Für seine aggressivere außenpolitische Haltung, etwa die Ad-Hoc-Raketenangriffe auf Syrien, erhielt seine angeschlagene Regierung regelmäßig breite Zustimmung aus Medien und den beiden Parteien. Auch wenn in den Medien einige ehemalige Mitglieder der Obama-Regierung an die EU-Politiker und insbesondere an Angela Merkel appellieren, sich nicht zum "Fußabtreter von Donald Trump" machen zu lassen, kann seine Regierung anhand der bisherigen Umfragen davon ausgehen, dass seine aggressivere Außenpolitik sehr populär ist.

Kurz: Ein Angriff auf den Iran entspricht der grundsätzlichen außenpolitischen Strategie und den Forderungen der engsten Verbündeten, er widerspricht nicht innenpolitischen Interessen und er verspricht konkrete wirtschaftliche Vorteile. Damit kann eine - wie auch immer gestaltete - Konfrontation mit dem Iran als gesetzt gelten, zumal man in Washington guten Grund hat, mögliche Risiken - seien sie militärischer Art oder politische Schäden - als gering einzuschätzen.

Dies betrifft auch mögliche Allianzen auf dem eurasischen Kontinent: Wie Peter Rough bereits feststellte, bestehen in dieser Frage offensichtliche Übereinstimmungen der Interessen zwischen den EU-Staaten, Russland und China. Er hatte u.a. auf Federica Mogherini verwiesen, die bereits im Dezember 2016 erklärt hatte:

Von Fall zu Fall werden Sie Fragen finden, bei denen ich nicht überrascht wäre, die Europäer und die Russen auf derselben Seite zu sehen - Iran-Abkommen, Nahost-Friedensprozess, möglicherweise die Rolle der Vereinten Nationen.

Federica Mogherini

Allerdings kann die Regierung Trump bisher davon ausgehen, dass zumindest die Bundesregierung den deutschen Handel mit den USA retten will, und dafür möglicherweise auch in der Frage der Iran-Sanktionen nachgibt, genauso wie sie bisher nichts gegen die Strafzölle auf Stahl und Aluminium unternommen hat.

Das Hauptinteresse der Bundesregierung besteht darin, den US-Markt für deutsche Autos und andere Massenprodukte offen zu halten. Insofern hat die Bundesregierung bisher keine öffentliche Erörterung des Problems vorangetrieben, da sie riskiert "ziemlich allein gegen den Rest der Union" zu stehen.

Auf dem Gipfeltreffen in Sofia war dann jedenfalls ausgerechnet EU-Ratspräsident Donald Tusk mit radikalen Worten in Richtung USA zu vernehmen, ein Mann, der keine wirkliche Machfunktion innerhalb der EU ausübt. Bei dem informellen Abendessen sprachen die Regierungschefs hingegen über Angebote an Trump, etwa über Import-Erleichterungen und beschleunigte Einfuhr von amerikanischem Flüssiggas (LNG) nach Europa. Dabei geht es um genau den Deal, vor dem Sahra Wagenknecht warnte.

Beim Export von Fracking-Gas aus den USA handelt es sich um das handelspolitische Lieblingskind der aktuellen US-Regierung und ein wichtiges Motiv, um die Pipeline-Geschäfte der Europäer mit der Russischen Föderation und dem Iran zu verhindern. Bei den im vergangenen Sommer verhängten Russland-Sanktionen ging es etwa ausdrücklich darum, Nord Stream 2 zu verhindern.

Kurz: Bisher sieht es so aus, als ob die EU-Kommission und die Bundesregierung sich zum Fußabtreter der Trump-Regierung machen lassen, wie es Steven Simon und Jonathan Stevenson in dem oben zitierten Beitrag formulierten.

Der Weckruf für eine gemeinsame EU-Außenpolitik gegenüber den USA wird also möglicherweise leise verhallen. Dabei besteht allerdings die Gefahr, dass die EU bei einer anstehenden erneuten militärischen Eskalation im Nahen und Mittleren - wieder einmal - nicht rechtzeitig und deutlich genug gegen eine mögliche Eskalation in ihrem unmittelbaren geographischen Umfeld eingeschritten ist.

Malte Daniljuk ist Wissenschaftlicher Mitarbeiter beim Europapolitischen Sprecher der Fraktion Die Linke im Bundestag. Er war Fellow für Energiepolitik und Geostrategie der Rosa-Luxemburg-Stiftung und arbeitete als Redakteur für Hintergrund und Analyse für RT Deutsch und Amerika21. Zuvor studierte an der Freien Universität Berlin Publizistik und Kommunikationswissenschaften. Seine thematischen Schwerpunkte sind Internationale Beziehungen und Energiepolitik, Medien und Mediensysteme sowie Sicherheitspolitik und Menschenrechte.