Sanktionen und Waffen als Reaktion auf die "Hölle von Butscha"

Ukrainische Polizeikräfte in Butscha am 2. April 2022. Foto: Ukrainische Nationalpolizei/ CC BY 4.0

Für die Regierung in Deutschland und Frankreich steht fest, dass Russland hinter dem Massaker steckt. Es gibt neue Unterstützung für die Ukraine. Deutschland verstärkt Waffenlieferungen

Der französische Reporter Arnaud Comte war mit zwei Kollegen in der "Hölle von Buscha" (in deutschen Medien vorwiegend: "Butscha"). Ihre Fernsehaufnahmen dokumentieren eine Reihe zerstörter Gebäude, Wrackteile auf den Straßen des Vororts von Kiew, zerstörte Autos, zerstörtes Militärgerät, einen abgebrannten Tanklaster, Spuren schwerer Einschläge also, und dann Leichen.

Die Toten

Etwa zwanzig Leichen zählt der Kommentator. "Zivilisten", sagt er. Sie sind nicht uniformiert und sehen aus wie Passanten, die jäh erschossen wurden, ein paar liegen tot hingestreckt neben ihren Fahrrädern, eine Leiche vor einem Hauseingang. Man wisse nicht, wann und wie sie umgekommen sind, erklärt der Kommentator.

Einer Leiche sind die Hände mit einem weißen Tuch hinter dem Rücken verbunden. Man weiß nicht, was passiert ist, sagt der ukrainische Soldat, der die Person mit der Kamera begleitet. "Vielleicht wurden sie gefoltert." Man müsse das untersuchen.

Über dreihundert Leichen von Zivilisten seien nach Angaben von Ortsvertretern identifiziert worden, sagt Arnaud Comte zur Kamera. Interviewt werden Bewohner. Einer sagt, dass er zwar nicht mit eigenen Augen gesehen habe, wie die Menschen getötet wurden, aber er habe mitbekommen, wie sie verfolgt wurden. Russische Soldaten hätten ihre Waffen feuerbereit gehalten und Personen damit gedroht, dass man sie töten werde.

Die russischen Soldaten hätten Autos ohne Grund angehalten und sie hätten mit ihren Waffen losgefeuert, herumgeschossen. Wohin sie zielten, könne er nicht genau sagen. "Willkürlich." Eine Frau sagt, dass es lebensgefährlich war, für Passanten sich in diesem Ort zu bewegen. Man habe immer wieder Maschinengewehrfeuer gehört.

Wladimir Klitschko: "Ein Genozid, der Aktion fordert"

Dann sieht man einen der Klitschko-Brüder auf der Straße, der mit Journalisten spricht. Der Kämpfer Wladimir Klitschko, Bruder des Bürgermeisters von Kiew, diesmal in Militärkluft, ist wie immer ganz klar in seiner Ansagen. Jetzt gehe es um Aktion:

Wenn die Franzosen und die Europäer zu dieser Sache schweigend und passiv bleiben, haben sie das Blut dieser Menschen an ihren Händen. Hingestreckt mit Schüssen in den Hinterkopf. Ihr müsst handeln und diesen sinnlosen Krieg, diesen Genozid gegen das ukrainische Volk stoppen.

Wladimir Klitschko

"Die Wunden bleiben offen" - damit schließt der Drei-Minuten-Clip des französischen Fernsehens. Offen bleibt auch eine Fülle von Fragen.

Wer für die Toten verantwortlich ist, lässt sich mit journalistischen Mitteln Hunderte Kilometer entfernt nicht klären. Die Erfahrung sagt, dass Ursprung, Ablauf und Ausmaß von Massakern, die hohe Wellen des Entsetzens und der Empörung schlugen, erst Jahre später geklärt wurden.

Es gibt Zeugenaussagen, die, wie auch im vorgestellten Clip, die Verantwortung eindeutig auf der russischen Seite sehen, wie heute auch von Telepolis berichtet: Butscha: Schwache Entgegnungen der russischen Regierung.

Der russische Botschafter in Washington, Anatoly Antonov, bringt dagegen vor, dass es sich um "falsche Beschuldigungen handelt".

Kontext der Interessen

Was sich seriös, ohne groß spekulatives Gelände zu betreten, darlegen lässt, ist der Kontext zum vorgefundenen Massaker und die Interessen, die im Spiel sind. So wird heute im Zusammenhang mit den Gräueltaten von Butscha über Absichten berichtet, neue Sanktionen gegen Russland zu erlassen. Wirtschaftsminister Habeck hat sich dafür ausgesprochen und der Kanzler:

Im Kreis der Verbündeten werde man in den kommenden Tagen weitere Maßnahmen beschließen, sagte Scholz in Berlin, ohne weitere Details zu nennen. Die Ermordung von Zivilisten sei ein Kriegsverbrechen.

Deutschlandfunk

Auch über Waffenlieferungen werde neu nachgedacht, gab der Kanzler zu verstehen: "Wladimir Putin und seine Unterstützer 'werden die Folgen spüren, und wir werden der Ukraine weiterhin Waffen zur Verfügung stellen, damit sie sich gegen die russische Invasion verteidigen kann'", wird Scholz vom Deutschlandfunk widergegeben

Am Freitag war Waldimir Klitschko mit dem Bundeskanzler in Berlin zusammengetroffen, um weitere Waffenlieferungen an die Ukraine zu fordern. Laut einem Bericht der SZ hat die Bundesregierung einer "Lieferung von 58 Schützenpanzern an die Ukraine zugestimmt". Die Lieferungen würden indirekt erfolgen, da die Schützenpanzer vom Typ PbV-501 (früher BMP-1) ehemaligen Beständen der Nationalen Volksarmee der DDR stammen würden und inzwischen Tschechien gehören.

Wladimir Klitschko fordert mehr Waffen, wie aus dem Bericht hervorgeht. Angesichts der mehr als 300 getöteten Zivilisten in Butscha sehen sich die Widerstände gegen weitere Waffenlieferungen nun einer Argumentation gegenüber, gegen die sie schwächer dastehen als vorher: Der Maxime "hartes Vorgehen gegen harte Verbrechen" ist schwer beizukommen. Besonders wenn Emotionen und Parteinahmen zum ersten Reflex auf Nachrichten gehören, wie das schon seit einiger Zeit der Fall ist.

In Frankreich kündigte Präsident Macron vor dem Hintergrund des Massakers an, dass die Sanktionen gegen Russland verstärkt werden müssen: Er befürworte insbesondere Sanktionen gegen russische Kohle und Öl, die "besonders schmerzhaft" sind, sagte er dem Sender France Inter. Von Erdgas sprach er nicht.

Was gerade in Butscha passiert ist, macht ein neues Sanktionspaket und sehr klare Maßnahmen erforderlich. (...) Ich denke, wir können das nicht durchgehen lassen. Wir müssen Sanktionen haben, die abschreckend wirken.

Emmanuel Macron

Im gleichen Medium kommt heute ein Augenzeuge zu Wort, der davon erzählt, wie Bewohner ukrainischer Orte von russischen Soldaten terrorisiert worden seien. Es ist kein Augenzeuge des Geschehens, aber einer, dessen Geschichten nahelegen, dass russische Soldaten hinter den Morden an den Zivilisten stecken.

Erhärtet werden Beschuldigungen von Kriegsverbrechen, begangen von russischen Soldaten, auch durch Aussagen, die Human Rights Watch dokumentiert. Zu erwähnen ist an dieser Stelle, dass im Netz Videos kursieren, die russischen Soldaten zeigen sollen, die von ihren ukrainischen Gegnern gepeinigt werden. Die Untersuchungen dazu dauern an, der ukrainische Präsidentenberater Olexeij Arestowytsch hat "ernsthafte Ermittlungen" angekündigt.

In Bezug auf das Geschehen in Butscha gilt: Gegen die erdrückende Menge an Aussagen, die eindeutig auf eine Verantwortung Russlands zeigen, wird es für Politiker, die eine Verhandlungslösung anstreben, nicht einfacher.

Eine Untersuchung ist nötig

Vonseiten, die die russische Perspektive unterstützen oder ihr mehr Platz einräumen, wird darauf verwiesen, dass die russischen Truppen doch schon längst aus dem Vorort Kiews abgezogen waren und westlichen Medien die Aktivitäten der rechts-nationalen Asow-Brigade nicht mit dem nötigen Gewicht für das Kriegsgeschehen darstellen oder sei ganz ignorieren. Laut New York Times sind Kämpfer des Asow-Bataillons in Butscha anwesend.

Ihre Rolle im Kriegsgeschehen dort ist Teil der Spekulation im Informationskrieg im Netz, die die Schuld für die Kriegsverbrechen nicht bei russischen Soldaten, sondern bei Aktivitäten der Asow-Kämpfer sucht, die sich als Ultra-Nationalisten mit extremrechten Gesinnungen einen Ruf als "Nazis" erworben haben. Beweise für diesen Hergang, der der russischen Storyline vom Kampf gegen Nazis in der Ukraine entspricht, stehen allerdings aus.

Russland will die Sache jetzt vor den UN-Sicherheitsrat bringen. Das Massaker muss untersucht werden, wie auch der ukrainische Soldat im Clip des französischen TV-Senders forderte. Der Sicherheitsrat müsste ein Interesse daran haben, China auch?


Redaktionelle Anmerkung: Die Passage zu Videos von mutmaßlichen ukrainischen Kriegsverbrechen wurde geändert, weil die Authentizität der Aufnahmen nicht geklärt ist.