Saudi-Arabien: Der repressive König Abdullah ist tot

Es lebe der nächste repressive König?

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Die 50 Peitschenhiebe, die den Blogger Raif Badawi trafen, und die 950, die laut Urteil noch ausstehen, dokumentieren, wie es um die Meinungsfreiheit und die Macht in Saudi-Arabien bestellt ist. Priorität hat das unbarmherzige Sanktionieren jeder Abweichung, das ist der Rahmen, der gesetzt ist.

Ist das nach außen erst einmal signalisiert, eröffnen sich Spielräume. Im Fall Badawi heißt dies, das die zweite 50er-Serie der Peitschenhiebe bis auf Weiteres ausgesetzt wurde. Aufgrund ärztlicher Einwände heißt es; der Druck der internationalen Öffentlichkeit dürfte allerdings auch eine große Rolle gespielt haben. Inwieweit der gestern verstorbene König Abdullah in der Sache Einfluss genommen hat, ist Gegenstand von Spekulationen.

Auch das ist typisch für das Königreich: Außerhalb weiß keiner genau, wie bestimmte Entscheidungen zustandekommen. Weswegen man sich nach dem Ableben von Abdullah auf eine ganze Reihe von Spekulationen über mögliche Machtverschiebungen und Nachfolgerangeleien gefasst machen kann. Manche der schärferen Beobachter des Nahen Ostens ziehen da Analogien zur US-Mafiafamilienserie Sopranos.

Titel der heutigen Ausgabe der Zeitung al-Hayat mit dem neuen König links und dem verstorbenen rechts.

Mit dem Tod des Königs ergibt sich ein "neues und historisches Element der Unsicherheit", schreibt der saudische Blogger Ahmed al-Omran, der zwar aus Überlebensgründen weniger herrschaftskritisch ist, dem aber doch genaue Beobachtungen der lage im Königreich zu entnehmen sind, zusammen mit seinem US-Kollegen Bill Spindle in einem Artikel für das Wall Street Journal. Die Unsicherheit besteht darin, dass der neue König Salman der letzte in der vom Gründer Saudi-Arabiens, Abdelasis, festgelegten Reihe seiner Nachfolger ist - mit 79 Jahren und wie es heißt, gesundheitlich angeschlagen.

König Abdullah, Dick Cheney, George H.W. Bush und Colin Powell, 2005. Foto: Weißes Haus; gemeinfrei

Zwar ist auch ein Kronprinz, und sogar ein stellvertretender Kronprinz, ernannt, um Kontinuität sicherzustellen. Aber die Enkel stehen jetzt um einiges näher am Machtzentrum, ihre Zeit ist nah, Nachfolgeregelungen, die nicht mehr das Gütesiegel des Gründers haben, sind leichter zu verändern. Wie groß die Unterschiede sein könnten, zeigt allein schon das Beispiel von Bandar ibn Sultan ibn Abd al-Asis Al Saud.

Bandar wird wegen "unordentlicher Abstammung" in keiner Nachfolgeregelung auf die vorderen Plätze kommen, er hat aber in seiner Zeit als Geheimdienstchef demonstriert, was eine einzelne Person mit Schalthebeln anfangen kann, die ihm das Königreich in Form von mächtigen Beziehungen zur Verfügung stellt. Bandar war einer der Drahtzieher bei der Formierung des salafistischen Widerstands gegen den syrischen Präsidenten Baschar al-Assad. Dass sich einer der saudischen Prinzen, die nun näher an die Macht rücken, sich ähnlich stark der Sache der radikaleren sunnitischen Strömungen verpflichtet fühlt, ist nicht ausgeschlossen.

Mit Subventionen besänftigen

Fast die Hälfte, 46,9 Prozent, der 27,3 Millionen Einwohner des Königreiches sind unter 24 Jahre alt und sie erwarten, wie Ahmed al-Omran schreibt, dass ihnen der Staat großzügig zur Hilfe kommt, ihnen einen guten Job verschafft. Der neue König übernimmt die Ansprüche, die der alte weitergegeben hat. Saudi-Arabien hält die immer wieder aufkeimenden Proteste, besonders im Nordwesten des Landes, dadurch in Schach, dass man die Bevölkerung mit großzügigen Subventionen besänftigt. Bislang konnte man sich auf die Öleinnahmen verlassen, allerdings nimmt mit dem Wohlstand der Bürger auch der eigene Verbrauch zu, das Rentierstaatsspiel ist nicht von ewiger Dauer.

Dass der niedrige Ölpreis auch die Geldreserven Saudi-Arabiens angreift, ist möglicherweise der Grund für die Einstellung des milliardenschweren Programms für den Ausbau der Sonnenenergie, wie dies vor Kurzem bekannt gegeben wurde. Gut möglich ist, dass die Entscheidung dazu nicht vom verstorbenen König kam, da dieser schon seit geraumer Zeit erkrankt war, sondern von seinem Nachfolger, bzw. dessen Berater.

Das würde daraufhin deuten, dass die neue Führung auf Distanz geht zu einem ohnehin sehr beschränkten "Modernisierungsprozess" unter Abdullah. Davon abgesehen gibt es für den neuen Thronfolger genug Anlässe, um der Außenwelt in symbolischen Akten zu signalisieren, wie sein Kurs aussehen wird: das ist der eingangs genannte Fall Badawi und der Fall von zwei Frauen, die hinter Gittern sitzen, weil sie gegen das Frauenfahrverbot in Saudi-Arabien aufbegehrt haben.

Auch das sind nur Einzelfälle gegenüber einer für westliche Maßstäbe grauenhaften Menschenrechtssituation, die bei den meisten Nachrufen auf den "reformerischen" König, der nun verstorben ist, nicht erwähnt wird. Bei den Staatschefs überwiegen die diplomatisch vorgegebenen Hülsen des Trauerprotokolls. König Abdullah war für die meisten der Staatspolitiker, die ihm persönlich begegneten, anscheinend ein angenehmer Mensch, mit dem man Händchen halten konnte. Dass seine politische Bilanz geprägt ist von repressiver Herrschaft, darauf machen nur wenige aufmerksam, zum Beispiel hier oder hier.