Saudi-Arabien: Frauen als Agenten der Feinde im "Soft War"

Bild: 1966666

Die Lösung der Probleme: Der starke Staat im Nahen Osten?

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Der Wunsch nach einem starken Staat in der arabischen Golfregion ist frappierend. Drei Jahre nacheinander war die Bedrohung durch den "Islamischen Staat" Sorge Nummer 1 der Jungen im Alter zwischen 18 und 24 Jahren. 2014 waren es "Unruhen". Im Jahr 2018, so die aktuelle Ausgabe des Arab Youth Survey, sind es wieder, wie schon 2012 und 2013, wirtschaftliche Sorgen: gestiegene Lebenshaltungskosten und die Arbeitslosigkeit.

Für 82 Prozent der Befragten aus den Golfstaaten liegt die Lösung der Probleme beim Staat. Seine Rolle bestehe darin, ihnen Jobs zu verschaffen. 77 Prozent sind der Auffassung, dass die Regierungen auch Wohnungen zur Verfügung stellen sollen. Für mehr als ein Drittel, 36 Prozent, soll der Staat auch bei Schuldenrückzahlungen helfen.

Wie die Zeitung National, die ihren Sitz in den Vereinigten Arabischen Emiraten hat, berichtet, bildeten die Jugendlichen in den Ländern der Levante, Irak, Jordanien, dem Libanon und den palästinensischen Gebieten eine Ausnahme von dieser Anspruchshaltung, die den Staat als Versorger begreift. Ins Auge fällt die Abhängigkeit, die damit verbunden ist und anscheinend auch gewünscht.

Daran kann man nicht vorbeisehen, auch wenn es einige Zweifel am alljährlich wiederkehrenden Arab Youth Survey gibt, der sehr auf Glätte bedacht, eher ein affirmatives PR-Produkt ist als eine kritische Auseinandersetzung mit Haltungen in arabischen Ländern.

Schon der Titel: "A Call for Reform" ("Ruf nach Reform") ist wohlfeil, vor allem ein schönes Plakat, das gerne aufgehängt wird, solange Reformen nicht ans Eingemachte des alten Systems gehen und damit in Unruhen umschlagen könnten. Wie die Prävention dazu in einem starken arabischen Staat aussieht, lässt sich bei der Regionalmacht Saudi-Arabien verfolgen.

"Soft War": Es geht um das Ansehen

Ein Schlüsselbegriff dazu lautet: "Soft War". Unter diesem Begriff wurde in Saudi-Arabien eine öffentliche Kampagne gegen Frauen und Männer geführt, die lediglich für Reformen eintreten, die zum Menschenrechtskatalog gehören, etwa Gesetze, die sich einer Gleichbehandlung der beiden Geschlechter annähern. Dass Frauen "absolutely" gleich gegenüber Männern sind, mit dieser Einsicht charmierte auch der saudische Kronprinz Muhammed Bin Salman. Allerdings nur bei einem US-Sender. Der Prinz mochte solche Auftritte.

In Saudi-Arabien wurden die Frauen und Männer, die solches zuhause postulieren und dort umgesetzt sehen wollen, vor etwa einem Jahr verhaftet. Seitdem wird ihnen der Prozess gemacht, erst öffentlich, dann im Gefängnis und schließlich vor Gericht unter Ausschluss der internationalen Öffentlichkeit. In einer Medienkampagne, die nach ihrer Verhaftung Mitte Mai 2018 Fahrt aufnahm, wurden sie als Verräter bezeichnet, die an der Spitze eines "soft war" gegen Saudi-Arabien stünden. Dieser Krieg sei darauf ausgerichtet, den internationalen Ruf des Landes möglichst zu schädigen, wie Kristin Smith Diwan in ihrer Analyse erklärt.

Die Diffamierung der Festgenommenen, darunter international bekannte Frauenrechtlerinnen und Männer, die ihre Sache unterstützen, sei beispiellos wie auch die Härte des Vorgehens, so die Autorin, die mit ihrer Einschätzung nicht alleine steht. Man habe sich im Königreich früher mit leichteren Sanktionen begnügt, wenn sich Frauen öffentlich dafür einsetzten, dass sie ein Auto steuern dürfen und selbst dann, wenn sie Kritik am Gesetz übten, das ihnen einen männlichen Vormund vorschreibt, so Kristin Smith Diwan. Jetzt würde das anders taxiert.

Ein weitgefasster Anti-Terror-Ansatz

Es ist, wie so oft, ein weitgefasster Anti-Terroransatz, den sich die Herrschaft in Riad zunutze macht, um alles zu rechtfertigen, was jede Opposition schon im Keim erstickt. Das System ist gegründet auf der Angst vor einer Wiederkehr der Aufstände in arabischen Ländern im Jahr 2011 und auf die Abhängigkeit von einem Staat, der sich nicht nur für alles zuständig fühlt, sondern auch darin bestätigt wird, wie die eingangs genannte Studie andeutet.

Die Erhöhung dieser liberalen Aktivisten zu einer Bedrohung nationaler Sicherheit veranschaulicht die Wahrnehmung von Sicherheit im Nachhinein der Aufstände von 2011. Dass arabische Führer durch eine politische Mobilisierung abgesetzt wurden, hat die saudische Führung davon überzeugt, dass sie sogar soziale Reformen als Bedrohung behandeln, wenn sie von unten kommt und nicht von oben nach unten dirigiert wird.

Aktivitäten auf sozialen Netzwerken können, selbst wenn sie für liberale Anliegen eintreten, dazu führen, dass man sich vor einem speziellen Gericht verantworten muss, das früher einzig für Terrorfälle vorbehalten war. Diese Ausweitung der Kategorie "politische Risiken" nahm im Jahr 2017 formelle Gestalt an, als das Anti-Terrorgesetz bekannt gemacht wurde und zur selben Zeit die Dienste für Innere Sicherheit neu geordnet und direkt dem König unterstellt wurden.

Kristin Smith Diwan

Der Leidensweg fängt allerdings schon vor der Gerichtsverhandlung an, wie die Schwester der festgenommenen Frauenrechtlerin Loujain al-Hathloul, Alia, vor zwei Tagen dem französischen Fernsehsender France 24 erzählt (in englischer Sprache). Sie berichtet von Folter und sexuellen Übergriffen, denen ihre Schwester in der Haft ausgeliefert war. Dabei ging es nicht um Geständnisse, sondern um die pure Demonstration der Macht.

"Erst vergewaltigen, dann zerstückeln"

Die Peiniger kamen, wann sie wollten, auch nachts, Loujain al-Hathoul hatte keine Möglichkeit, sich zur Wehr zu setzen. Laut Alia hatte sie den Eindruck, dass es ihnen darum ging zu zeigen, wie viel Vergnügen ihnen die Quälerei und die Wehrlosigkeit ihres Opfers bereitete. Es gab auch Drohungen vom Chefaufseher, wonach sie damit rechnen müsste, erst vergewaltigt und dann in Stücke geschnitten und weggeworfen zu werden.

Die Drohung kam laut Alia al-Hathoul von Saud bin Abdullah al-Qahtani, einem Berater des saudischen Kronprinzen Mohammed Bin Salman, der seit der gezielten Tötung von Jamal Khashoggi auch international bekannt bzw. berüchtigt ist. Al-Qahtanis genaue Rolle bei der Tötung des missliebigen Abweichlers im saudischen Konsulat in Istanbul steht zwar nicht eindeutig fest, weshalb er nicht hinter Gittern sitzt, aber der Ausgang der Operation Khashoggi, bei der er mitgewirkt hat und sehr wahrscheinlich nicht als Randfigur, ist bekannt. Das lässt darauf schließen, dass die Zerstückelungsdrohung vermutlich überzeugend vorgetragen wurde.

Botschaften, die zählen

Schaut man sich das etwa 12 Minuten lange Video an, kommt man unweigerlich ins Stutzen, weil sich die Frage aufdrängt, warum Alia al-Hathoul jetzt von der Pein ihrer Schwester erzählt, die vom August letzten Jahres datiert - danach wurde sie in eine andere Haftanstalt gebracht und angeblich hörten die Folterungen (von denen später auch Amnesty International berichtete) auf. Der Prozess gegen Loujain al-Hathloul und die andere Menschenrechtsaktivisten läuft aber noch, das Urteil ist nicht gesprochen, solche Vorwürfe einer internationalen Öffentlichkeit laut zu verkünden, ist doch riskant?

Es gibt eine Entgegnung von Alia al-Hathoul dazu und zwei mögliche Erklärungen. Die Schwester der inhaftierten Menschenrechtsaktivistin sagt gegenüber France 24, dass die Familie schon längst über die Folter und die Misshandlungen Bescheid weiß und dazu auch lange Zeit geschwiegen habe. Allerdings hätte das Schweigen für Loujain al-Hathloul nichts an ihrer Lage geändert, nichts besser gemacht. Deshalb habe sie sich dazu entschieden, die Öffentlichkeit darüber zu informieren, was ihr in der Haft angetan werde.

Das erhöht den Druck auf die saudische Führung, mit den festgenommenen Aktivisten anders umzugehen. Dass die Vorwürfe abgemildert wurden, wie es Kristin Smith Diwan in ihrem Bericht erwähnt, mag eine Erklärung sein, die von Alia al-Hathoul aber nicht erwähnt wird.

Die andere Erklärung wäre, dass die saudi-arabische Führung sich zwar mit Standarderklärungen, die solche Anklagen von sich weisen, formell distanziert, aber im Grunde mit der Botschaft einverstanden ist, die besagt, dass jeder Person, die offen Rechte reklamiert, die dem Haus Saud nicht passen, das Schlimmste blüht.

Effekte

Um die Rechte der Frauen in Saudi-Arabien, steht es schlechter denn je - "matters have gone from bad to worse for women in Saudi Arabia", so die Aussage von Hala Al Dosari, einer Menschenrechtsaktivistin aus Saudi-Arabien gegenüber al-Monitor.

Dort wird darauf verwiesen, dass alles, was über die Qual der inhaftierten Frauen bekannt wird, jede häusliche Gewalt gegen Frauen in Saudi-Arabien bestärkt und bestätigt. Der - bis zur Ermordung Khashoggis - auch in deutschen Medien gerühmte Reformkurs des modernen Kronprinzen ist demnach nur eine besser getarnte, technisch raffiniertere Version des Altbekannten.

Die Flucht der beiden Schwestern Wafa und Maha Zayed al-Subaie von der Türkei nach Georgien, die international einiges Aufsehen erregte, untermauert diese Sicht.

Saudi-Arabiens Führung reagiert sehr empfindlich darauf, wenn man sich von außen in solche Angelegenheiten einmischt, wie der Streit mit Kanada vorführte (Saudi-Arabien empört über Einmischung in innere Angelegenheiten). International spricht gerade wenig dafür, dass Saudi-Arabien nochmal an den Pranger gestellt wird wie im Herbst letzten Jahres nach dem Fall Khashoggi.

Der Trend ist gerade ganz zuhause bei den autoritär geführten Staaten, die auf Ordnung setzen, besonders im Nahen Osten. Im Fall Saudi-Arabien kommt aus Sicht westlicher Staaten, die Menschenrechte lange Zeit hochhielten, hinzu, dass Trump und Netanjahu vom Kurs der Führung begeistert sind. Von Menschenrechtsaktivisten halten alle beide nicht sonderlich viel.