Saudi-Arabien empört über Einmischung in innere Angelegenheiten

Kronprinz Mohammed bin Salman bin Abdulaziz mit Begleitung in Washington. Foto: Navy Mass Communication Specialist 1st Class Kathryn E. Holm / CC BY 2.0

Kanada, das sich an Menschenrechte hält, kritisiert die Festnahme von Frauenrechtlerinnen. Einmischung in andere Länder? Saudi-Arabien kooperiert im Krieg im Jemen mit Kämpfern der al-Qaida

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Saudi-Arabien statuiert gerade ein Exempel an Kanada. Es ist aber eine Botschaft an die ganze Welt und alle, die dem König und den Prinzen mit Menschenrechten kommen wollen. Dass sich das Haus Saud mit einer liberalen Vorzeigedemokratie anlegt, ist bezeichnend. Die Botschaft ist simpel und lautet: "Keine Kritik an Saudi-Arabien!" Andernfalls setzt es sofort Gegenmaßnahmen.

Die Reaktion des Königreichs auf die Kritik Kanadas an der Festnahme von "Vertretern der Zivilgesellschaft und Frauenrechtsaktivisten" sind: Ausweisung des kanadischen Botschafters in Riad, Abzug des saudischen Botschafters aus Ottawa, das Einfrieren neuer Handelsgeschäfte und Investitionen sowie der sofortige Stopp der Stipendien für mehr als zehntausend saudi-arabische Studenten in Kanada, die nun möglichst schnell in ein anderes Land wechseln sollen. Saudi-Arabian-Airlines zog dann später mit der Erklärung nach, dass ab 13. August Flüge nach Kanada eingestellt würden.

Der Anlass für den diplomatischen Eklat ist ein Streit, der sich maßgeblich über Twitter hochgeschaukelt hat, was schon ein erstes Zeichen dafür ist, dass es forciert um die Außendarstellung geht. Allerdings folgen dem Austausch auch Verstörungen, die politisch hässliche Konsequenzen haben können.

Ein Twitterkrieg und Fässer, die aufgemacht werden

Der Twitter-Krieg zwischen den Außenministerien in Riad und Ottawa wird von CNN gut lesbar dargestellt. Politisch relevant ist die Formulierung in der Stellungnahme des saudi-arabischen Außenministeriums, wo der kanadischen Regierung vorgeworfen wird, dass sie sich auf eine zu deutliche Weise in die inneren Angelegenheiten des Königreichs eingemischt habe. Im englischen Original wird das Wort "blatant" verwendet. Die Rede ist von einer "blatant interference in the Kingdom's domestic affairs".

Blatant kann im Deutschen mit "offenkundig", aber auch mit "krass" übersetzt werden. Bei den meisten Übersetzungsangeboten für blatant ist Lautes und Schreiendes dabei. Die Aufregung folgt den Tweets der kanadischen Außenministerin Chrystia Freeland und dem kanadischen Außenministerium.

Freeland zeigte sich zuvor angesichts der Verhaftung von Samar Badawi alarmiert. Sie appelliert mit Emphase an die Regierung in Riad, Samar und ihren Bruder Raif freizulassen. Dem folgte tags darauf ein Tweet des kanadischen Außenministeriums, wonach Kanada wegen weiterer Verhaftungen von Mitgliedern der Zivilgesellschaft und Frauenrechtlerinnen, einschließlich Samar Badawis, "schwer beunruhigt" sei und die saudi-arabische Regierung dazu dränge ("we urge"), diese und andere "friedliche Menschenrechtsaktivisten" freizulassen.

Wer sich die Zeit nimmt, die Reaktionen anzuschauen, die sich unterhalb der Äußerung des Außenministeriums aneinanderreihen, der bekommt einen Eindruck davon, was sich an Emotionen zum Thema "Menschenrechtsverletzung" angestaut hat und was ins Fass getan wird.

Die Vorwürfe konzentrieren sich bald auf das Thema Umgang mit Frauen, wo den Kanadiern von Postern, die das KSA verteidigen, vorgehalten wird, wie übel sie mit indigenen Frauen umgegangen sind.

Der Streit auf Twitter, an dem offizielle, halb-offizielle und private Teilnehmer mitmischten, fand dann durch einem Twitter-Posting einen Höhepunkt, der Kanada andeutungsweise mit einem Anschlag ähnlich wie 9/11 bedroht haben soll. Das Posting wurde nach Anweisung des saudischen Ministeriums für Medien gelöscht, der dafür verantwortliche Account infographic_ksa mit immerhin 350.000 Followers gelöscht.

Aber nicht nur auf dieser Ebene sind die Reaktionen impulsiv, sondern auch auf der politischen, wie in der Washington Post von Thomas Juneau dargestellt wird. Juneau gibt dort einen Abriss der kanadisch-saudi-arabischen Beziehungen der letzten Jahre und stellt heraus, was zur Krise geführt hat.

Der Frust der Saudis

Die wirtschaftlichen Beziehungen zwischen den beiden Ländern sind mit einem jährlichen Handelsvolumen von 3 bis 4 Milliarden US-Dollar nicht besonders ausgeprägt. Das hätte sich aber 2014 im Anschluss an einen 15-Milliarden-US-Dollar-Deal über die Lieferung gepanzerter Fahrzeuge (light armored vehicles - LAV) aus kanadischer Produktion ändern können.

Dem Deal folgte allerdings ein Regierungswechsel mit Trudeau an der Spitze. Die neue Regierung kam mit dem Waffengeschäft nicht richtig ins Reine. Einerseits wollte man es wegen der Arbeitsplätze nicht kündigen, anderseits tat man nichts, um es voranzutreiben.

Die Saudis waren laut Thomas Juneau über dieses Gebaren frustriert. Dazu kommt noch eine andere "Eigenart" der kanadischen Regierung, die viel auf ihre freiheitsliebende politische Kultur hält. Sie setzt sich für Menschenrechtsaktivisten ein. So kommt es, dass die Frau des saudischen Bloggers Raif Badawi in Kanada aufgenommen wurde.

Badawi wurde im Sommer 2012 festgenommen und machte im Jahr darauf international Schlagzeilen, weil er in Saudi-Arabien zu sechshundert Peitschenhieben (ursprünglich gar zu 1000 Peitschenhieben) und zehn Jahren Gefängnis verurteilt wurde.

Der Grund: Bardawi hatte eine Website gegründet, in der das Programm im Namen steht: Free Saudi Liberals. Dort wurden, soweit bekannt, laut Gerichtsakten Fragen aufgeworfen nach der "Gerechtigkeit Gottes" und sarkastische Bemerkungen über Aufgaben und Aktivitäten der Religionspolizei (Muttawa) und des Großen Mufti veröffentlicht.

US-Politiker - unter der Obama-Regierung - zeigten damals "kein Interesse an Zwischenrufen" (vgl. 600 Peitschenhiebe und betroffenes Schweigen). Die kanadische Regierung verhielt sich nun nach den kürzlichen Festnahmen von Raifs Schwester Samar Badawi und Nassima al-Sadah auffälliger. Sie stellte Festnahmen der couragierten Frauen öffentlich als alarmierenden Skandal heraus.

Dies passt nicht zur Rolle, in welcher der impulsive (BND) saudi-arabische Kronprinz Muhammed Bin Salman sein Land und sich sehen will. Er will nach außen und innen als Reformer dastehen - als absoluter Herrscher, der keine Kritik duldet, wie sich das in den vorhergehenden Verhaftungswellen schon gezeigt hat (vgl. Absolutistisches Saudi-Arabien: Viel schlechter als sein Ruf).

Absolutistische Herrschaft: "Die Kritik bin ich"

Das Signal, dass Frauen, die Kritik am Fahrverbot oder an den Wächtergesetzen (gesetzlich verpflichtende Aufsicht durch Männer) äußern, weggesperrt werden, dass Männer und Frauen, die grundlegend die politische Ordnung und die Missachtung der Menschenrechte in Saudi-Arabien kritisieren, eine noch schlimmere Strafe, nämlich die Todesstrafe erwartet, gehört essentiell zu Muhammed Bin Salmans Innenpolitik.

Außenpolitisch sieht das so aus:

Es geht nicht so sehr um Kanada, sondern um die Botschaft, dass Riad keine Kritik jeder Art duldet. Es ist eine Botschaft an die Europäer: Kritisiert uns und ihr werdet bestraft. Und es ist eine Botschaft an seine Nachbarn: Bleibt auf Linie oder ihr werdet bestraft. Die Beziehungen mit Kanada sind in diesem Sinne nur Kollateralschaden. Die bilateralen Verbindungen sind marginal und Kanada fehlt es an Kapazität, um mit Härte zu vergelten. So ist Ottawa ein leichtes Ziel.

Thomas Juneau

Es könnte aber sein, so Juneau, dass diese Selbstherrlichkeit Probleme nach sich zieht, etwa wenn es um Investoren geht, die Saudi-Arabien für seine teuren Zukunftsprojekte braucht und die nach Stabilität verlangen. Im Zusammenhang mit der Aggressivität, die der Kronprinz außenpolitisch gegenüber Katar und im Jemen zeige, könnte die "Impulsivität" Muhammed Bin Salmans konterproduktiv sein.

Beispiele für ungewöhnliches, nicht unbedingt vertrauenswürdiges Handeln auch mit Vertretern der Großfinanz und der Politik gab der Kronprinz verschiedentlich, etwa im Fall Hariri oder beim eigenartigen Hausarrest, zu dem er schwerreiche saudische Geschäftsleute und sogar Verwandte verdonnerte (vgl. Saudi-Arabien: Der Kronprinz räumt die Konkurrenten weg). Rausgelassen aus dem Nobelhotel wurden sie nur gegen Bezahlung sehr hoher Summen.

Einmischung in Syrien und im Jemen

Und, was Jemen angeht, so zeigt sich nicht nur, dass sich Saudi-Arabien nach eigenem Gusto auf sehr brutale Art in innere Angelegenheiten eines anderen Landes einmischt - wie ja auch zuvor jahrelang und sehr intensiv durch Finanzierung und Bewaffnung von Milizen im Syrien, wo man sich "Freiheitskämpfer" bediente, die ebenfalls nichts von Menschenrechten halten.

Im Jemen zeigt sich auch das Doppelgesichtige der absoluten Herrscher in Riad. Laut Recherchen der Nachrichtenagentur AP - und also nicht als russischer Spuk abzutun - kooperiert die saudische Kriegsmaschine im Jemen samt ihren Verbündeten, die VAE und USA, mit al-Qaida.

Das geht nicht unbedingt "nach Plan und Absicht", wie aus dem Bericht hervorgeht, sondern einmal, weil der Kampf gegen die Huthis, die als Stellvertreter iranischer Interessen gebrandmarkt werden, Vorrang hat, zum anderen, weil angeblich die Übersicht verloren gegangen ist. "Es ist unmöglich, auszusondern, wer AQAP ist und wer nicht, da so viele Deals und Allianzen getroffen werden", heißt es im AP-Bericht.

Die Streitkräfte der Koalition sind ein Mix an Milizen, Fraktionen, Warlords und Stämmen mit lokalen Interessen. Und die Milizen der AQAP (al-Qaida auf der arabischen Halbinsel, Anm d.Verf.) sind mit vielen von ihnen verquickt.

AP

Ein al-Qaida-Vertreter wird damit wiedergegeben, dass die Front gegen die Huthis ein guter Nährboden dafür sei, neue Kämpfer zu rekrutieren. Unübersehbar ist, dass es eine gemeinsame Interessenslange mit Saudi-Arabien und den USA gibt, ähnlich wie in Syrien.