Scheidung auf Usbekisch

Taschkent und der Westen

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Bereits vor einem Jahrhundert Objekt der Begierde der damaligen Großmächte Großbritannien und Russland, jongliert Zentralasien derzeit zwischen Moskau, Peking und Washington. Es geht um Terrorismusbekämpfung und um Energieträger, aber auch um Menschenrechte - und um Präsidenten, für die Machterhaltung um jeden Preis oberstes Ziel ist. Vor allem Usbekistan ist zur Problemrepublik geworden. Seit einem Jahr haben sich die geostrategischen Koordinaten verschoben.

Es war ein verbales Geburtstagsgeschenk, das der usbekische Präsident Islam Karimov am 7. Oktober 2005 seinem russischen Amtskollegen Vladimir Putin zu dessen 53. Wiegenfest überreichte: "Die Probleme, die in Usbekistan in Zusammenhang mit den Ereignissen in Andischan aufgetaucht sind, haben sehr klar gezeigt, wer sozusagen wer ist. Und in dieser Hinsicht hat Russland wieder einmal seine Zuverlässigkeit bewiesen." Was Karimov mit den "Ereignissen in Andischan" beschrieb, war ein Massaker seiner Sicherheitskräfte an Hunderten von Zivilisten, die sich zu einer Protestdemonstration versammelt hatten, ein usbekisches Tian'anmen (siehe Die üblichen Verdächtigen). Was er mit seinem "Kompliment" meinte, hieß im Klartext: Wie immer wir es mit Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechten halten - den Segen des Kreml haben wir.

Anlass der usbekischen Lobpreisungen in Putins Heimatstadt St. Petersburg war eine Konferenz der Staatschefs der Zentralasiatischen Kooperationsorganisation (CACO), der neben Russland und Usbekistan auch Kasachstan, Kirgistan und Tadschikistan angehören. Im Jahre1994 als Wirtschaftsgemeinschaft gegründet, entwickelte sich die CACO zu einem Gremium, das sich zunehmend mit politischen und Sicherheitsfragen beschäftigte.

Das Petersburger Treffen bildete gewissermaßen den Schwanengesang der CACO. Denn die Präsidenten beschlossen, die Organisation in der Eurasischen Wirtschaftsgemeinschaft Eurasec aufgehen zu lassen. Die Eurasec, der auch Belarus/Weißrussland angehört, war 2000 ins Leben gerufen worden, um innerhalb der ehemaligen Sowjetunion einen Einheitlichen Wirtschaftsraum in Form einer Freihandelszone zu schaffen.

Die meisten Beobachter erwarten zwar nicht, dass die Eurasec künftig eine bedeutende Rolle spielen wird. Selbst die 1991/1992 mit viel Pomp initiierte Gemeinschaft Unabhängiger Staaten (GUS) ist derzeit eher ein fiktiver Politikfaktor. Dennoch ist für Sergej Ponarin, Zentralasien-Experte der Russischen Akademie der Wissenschaften, die CACO-Eurasec-Fusion ein weiteres Indiz für eine wachsende Annäherung Russlands an das ebenso energiereiche wie konfliktträchtige Zentralasien:

Moskau will erstens dort seinen Status bewahren, zweitens die Zusammenarbeit im Sicherheitssektor verbessern und drittens wirtschaftlich expandieren.

Neue Unabhängigkeiten, alte Abhängigkeiten

Der Kreml und einige Potentaten dieser Region erleben seit geraumer Zeit so etwas wie einen neuen Honeymoon. Vor anderthalb Jahrzehnten, beim Zerfall der UdSSR, sah das scheinbar noch anders aus. Die damaligen Ersten Sekretäre der kommunistischen Parteien in den Sowjetrepubliken konnten es kaum abwarten, ihre Unabhängigkeit von Moskau zu proklamieren. In ihren Reden priesen sie Demokratie, Marktwirtschaft und Patriotismus. Aus den einstigen Top-Kommunisten wurden umgehend Präsidenten: Nursultan Nasarbajev in Kasachstan, Saparmurad Nijasov in Turkmenistan und Islam Karimov in Usbekistan.

Der Abschied vom Kreml-Diktat fiel den frischgebackenen Patrioten leicht. Dies umso mehr, als die neu gewonnene Souveränität auch lukrative Seiten hatte: Jetzt musste nicht mehr mit Moskau geteilt werden, was Baumwollfelder oder Ölfelder an Geldern in die Kassen spülten. Zentralasien rangierte weltweit bald unter den Spitzenreitern in Sachen Korruption. Daran hat sich seither wenig geändert.

Dauerhafter wirtschaftlicher Erfolg war den meisten Republiken indes nicht beschert, der allgemeine Wohlstand für die Bevölkerung blieb ebenso aus wie zaghafte Ansätze hin zur Bürgergesellschaft untergingen.

In Turkmenistan treibt "Turkmenbaschi" Nijasov einen bizarren Personenkult. In Usbekistan regiert Islam Karimov mit harter Hand, drangsaliert die Opposition und lässt bei Bedarf Demonstranten niederkartätschen. In Tadschikistan wird der nach jahrelangem Bürgerkrieg mühsam erreichte Kompromiss zwischen Regierung und einstigen Gegnern immer brüchiger. In Kasachstan schafft es Präsident Nasarbajev derzeit noch, die politischen Gemüter mit sanftem Druck und materiellen Zuwendungen zu beruhigen. In Kirgistan fand im März 2005 die klassische Ablösung einer regierenden Elite durch eine andere Elite statt, immerhin weitgehend gewaltlos. Dennoch: Es brodelt unter den 50 Millionen Menschen in der Region - in den Hütten ebenso wie in den Palästen.

Der Al-Qaida-Angriff auf die USA und der nachfolgende Krieg gegen das Taliban-Regime in Afghanistan hatten die zentralasiatischen Präsidenten, allen voran Karimov, nach dem 11. September 2001 zu Partnern des Westens werden lassen: Ihre Länder waren Aufmarschgebiet und Brückenkopf für die militärischen Aktionen gegen die Steinzeit-Islamisten in Kabul. USA und Nato erhielten Stützpunkte nahe der usbekischen Städte Karschi-Chanabad und Termes, im kirgisischen Manas und im tadschikischen Kolub. Dies alles geschah damals mit freundlicher Zustimmung des Kreml.

Die Stationierung westlicher Truppen verschaffte den Regierungen der Region nicht nur die Gunst der öffentlichen Meinung im Westen. Sie rechtfertigte auch ihren Kampf mit den heimischen Islamisten und all jenen, denen dieses Etikett angeheftet wurde. Jeder Oppositionelle konnte zum Terroristen werden. Wo Beweise nicht vorlagen, wurden sie fabriziert. Zentralasien ist für die internationalen Menschenrechtsorganisationen längst zum Dauerthema geworden.

US-Truppen als ungeliebte Gäste

Während das offizielle Moskau, selbst mit dem Krisenherd Tschetschenien geplagt, derlei Praktiken wenig kritisierenswert findet, haben USA und Europäische Union bei den Regierungen der Region mehr Rechtsstaatlichkeit angemahnt. Dies stieß besonders bei dem usbekischen Staatschef Islam Karimov auf wenig Begeisterung. Der starke Mann in Taschkent reagierte denn auch umgehend.

Im Juli 2005 forderten nämlich die Mitglieder der Shanghai Cooperation Organization (SCO), der neben den zentralasiatischen Staaten (außer Turkmenistan) auch Russland und China angehören, auf ihrem Treffen in der kasachischen Hauptstadt Astana die US-geführte Koalition auf, einen Zeitrahmen für den Abzug ihrer Truppen aus der Region zu präsentieren. Die treibende Kraft des Kommuniqués war Karimov.

Dessen Außenministerium hieb zeitgleich in die selbe Kerbe - allerdings in noch deutlicherer Sprache. Da der Zweck des amerikanischen Engagements, nämlich der Sturz des Taliban-Regimes in Afghanistan, erreicht sei, solle das Pentagon seine Stützpunkte in Usbekistan bis Ende 2005 auflösen. Die USA kamen dieser Forderung schon im November nach. Die Geschwindigkeit, mit der der Abzug geschah, lässt vermuten, dass das Pentagon diese Militärbasen nicht mehr als notwendig einschätzte. Mittlerweile ist nur noch ein Kontingent deutscher Truppen in Termes stationiert, um die Bundeswehr-Einheiten in Afghanistan zu versorgen.

Der undiplomatische Klartext der usbekischen Diplomaten kam nicht von ungefähr. Es war vor allem die blutige Niederschlagung der Demonstration in Andischan mit geschätzten 700 Toten, die das Verhältnis zwischen den USA und Westeuropa einerseits und Usbekistan andererseits nachhaltig erschüttert hat. Seither herrscht Eiszeit in den Beziehungen. Ausländische Journalisten, die allzu eifrig recherchierten, waren für die usbekische Staatanwaltschaft "Hyänen und Schakale". Westliche Non-Governmental Organizations (NGOs), auf deren Programm die Förderung der Zivilgesellschaft steht, wurden von den Behörden unmissverständlich zum Exodus aufgefordert oder genötigt. Selbst die Mitarbeiter des UN-Hochkommissars für Flüchtlinge (UNHCR) mussten im Frühjahr 2006 ihre Büros schließen und Koffer packen.

Noch beim Taschkent-Besuch von US-Verteidigungsminister Donald Rumsfeld im März 2004 hatte das ganz anders ausgesehen. Sein usbekischer Kollege Sadik Safajev schwärmte damals von der Vorstellung einer dauerhaften militärischen Präsenz der Amerikaner. Blumig wurde sogar von der Gründung einer "asiatischen Nato" gesprochen. Zwei Jahre vorher, im März 2002, war Präsident Usmanov mit einer "strategischen Partnerschaft" im Gepäck von einem Amerika-Besuch zurückgekommen und "aggressive Kräfte mit üblen Absichten" gewarnt: "Jetzt wisst ihr, dass wir nicht alleine stehen."

Amerikanische Besuchsdiplomatie

Diese Zeiten sind vorbei, Washington und Taschkent sind nicht mehr "on speaking terms". So verzichtete US-Außenministerin Condoleeza Rice bei ihrer Zentralasien-Tournee Mitte Oktober 2005 auf einen Abstecher in die usbekischen Hauptstadt und besuchte lediglich Kasachstan, Kirgistan und Tadschikistan. Sie lobte die dortigen Regierungen für ihre Fortschritte in Sachen Demokratie und Marktwirtschaft. Deren Defizite bei Menschenrechten und Pressefreiheit wurden eher milde gerügt.

Ebenfalls im Herbst 2005 verhängte die Europäische Union ein Waffenembargo gegen Taschkent und verbot zwölf usbekischen Regierungsvertretern die Einreise in die EU-Staaten. Diese Maßnahmen liegen auf der internationalen Sanktionsskala schon im oberen Bereich.

Gemeinsame und unterschiedliche Interessen

Kreml-Chef Vladimir Putin scheint die Gunst der Stunde nutzen wollen. Allerdings sieht der Moskauer Zentralasien-Experten Andrej Grosin in der neuen "Achse" zwischen dem Kreml und den zentralasiatischen Machthabern nicht unbedingt eine ausgefeilte Strategie zur Verdrängung der USA aus der Region.

Denn zum einen sind die politischen und wirtschaftlichen Interessen von Usbekistan, Kasachstan, Tadschikistan und Kirgistan untereinander sowie mit Russland bei weitem nicht deckungsgleich. Zweitens brauchen alle Beteiligten einigermaßen funktionierende Beziehungen zur derzeitig einzigen Weltmacht USA und deren europäischen Verbündeten. Und drittens lauert im fernen Osten immer noch Russlands Freund-Feind China - gegenwärtig auf der Weltbühne weitaus dynamischer als der Kreml. In der jüngeren Vergangenheit hat Usbeken-Präsident Karimov gerne die beiden Mächte gegeneinander ausgespielt.

Grosin sieht in der Politik der Shanghai-Gruppe vor allem folgenden Absicht: "Sie wollen die Stabilität des Status quo aufrecht erhalten, weil sie ihn von außen bedroht fühlen." Von außen bedeutet von Terroristen - wer immer auch dazu zählen mag. Dies macht die zentralasiatischen Regimes zu "natürlichen Verbündeten" Pekings, das den Kampf gegen die "drei Übel" Extremismus, Terrorismus und Separatismus" auf sein Banner geschrieben hat. Dies bezieht sich vor allem auf Chinas westliche Unruhe-Provinz Xinjiang.

Nicht weniger bedrohlich für die beteiligten Machthaber sind die Gefahren, die ihnen aus ihrer eigenen Umgebung erwachsen. Denn sowohl in Georgien und in der Ukraine, aber auch beim Partner Kirgistan ist in den vergangenen 20 Monate die herrschende Elite durch die eigenen "Zöglinge" abgelöst worden: Eduard Schevardnadse durch Michail Saakaschvili, Leonid Kutschma durch Viktor Juschtschenko, Askar Akajev durch Kurmanbek Bakijev.

Auch im direkten Umfeld der noch regierenden Präsidenten ist es in der Vergangenheit immer wieder zu politischen Versuchen gekommen, die Macht zu übernehmen. Diese sind bislang gescheitert, die "Putschisten" flohen ins Ausland oder wanderten hinter Gitter. Angesichts der Revolutionen in Tbilisi und Kiev sind derlei Perspektiven aber wenig beruhigend.

Neuauflage des Eurasianismus?

Es bleibt die Frage, was Moskau in dieser Situation unternimmt und wie weit es gehen kann. Versucht sich der Kreml erneut als Hegemon in der Region zu etablieren? Schwerpunkt seines Engagements scheint gegenwärtig Usbekistan zu sein. Das Land verfügt über die größte Armee, hier lebt mehr als die Hälfte der 50 Millionen Zentralasiaten.

Bereits Anfang Juli 2005 berichtete Vladimir Muchin in der Moskauer Zeitung Nesavisimaja Gaseta von einem Abkommen zwischen Putin und Karimov. Darin wird jeder Angriff auf eine der beiden Parteien als Angriff auf den anderen präsentiert - eine Nato-Doktrin im Kleinen. Das Abkommen, das im November 2005 unterzeichnet wurde, sieht auch vor, dass Russland künftig zehn usbekische Luftwaffenstützpunkte nutzen kann, darunter - nicht ohne politische Ironie - die frühere US-Air Base Karschi-Chanabad. Die beiden Präsidenten wurden nachgerade euphorisch in der Beschreibung ihrer neuen Allianz. Putin nannte die Region "unsere Heimat", Karimov bezeichnete den Vertrag als Garantie für "regionalen Frieden und Stabilität angesichts der "gefährlichen Herausforderungen, die weiterhin unser Volk und künftige Generationen bedrohen".

Die theoretische Grundlage für diese Politik hat Vladimir Putin bereits in seiner Rede an die Nation im April 2005 deutlich gemacht. In der besten Tradition benevolenter Imperialisten des 19. Jahrhunderts sprach er davon, dass "die zivilisierende Mission der russischen Nation auf dem eurasischen Kontinent weitergehen solle".

Ähnlich wie in anderen postsowjetischen Republiken macht der Kreml auch in Usbekistan russische Unternehmen, allen voran die staatsnahen Gazprom und LUKoil, zu Werkzeugen seiner Außenpolitik. Die beiden Konzerne hatten Taschkent schon Mitte 2004 Investitionen von 2,5 Milliarden Dollar zugesagt und weitere Mittel für die Erschließung von Erdgasfeldern am Aralsee in Aussicht gestellt.

Darüber hinaus ist Moskau nach Medienberichten daran interessiert, Anteile strategischer Unternehmen gegen die usbekischen Schulden von rund 500 Millionen Dollar "einzutauschen". Dazu gehört das Tschkalov-Flugzeugwerk in Taschkent. Im November 2005 traf sich Präsident Karimov mit dem russischen Aluminium-Oligarchen Oleg Derispaska, der seit längerem in Zentralasien auf der Suche nach Partnern ist. an

Der renommierte Moskauer Publizist Dmitrij Schlapentoch sieht sein Land bereits in der Tradition der russischen Eurasianisten des frühen 20. Jahrhunderts. Diese sahen Russland als natürlichen Herrscher über das eurasische Kernland einschließlich des Kaukasus und Zentralasiens an. Derlei Ideen haben in den vergangenen Jahren an Gewicht und Militanz gewonnen. Derzeitiger Wortführer ist Aleksandr Dugin, der politisch wie medial immer mehr an Gewicht zulegt und gegenwärtig eine nationalistisch orientierte Einheitsfrontz von ganz links (Kommunistische Partei) bis ganz rechts (Vladimir Schirinovskijs "Liberaldemokraten") in Russland propagiert.

Schlapentoch schrieb Anfang September 2005 in EurasiaNet, dass der Kreml zwar weder analytisch noch materiell für ein umfassendes Engagement in der Region vorbereitet sei. Dennoch könnten diese Widersprüche nicht ausschließen, dass russische Politiker künftig stärker auf die eurasianistische Karte setzen.

Clanwirtschaft statt Planwirtschaft

Allerdings ist der derzeitige Joker Usbekistan ein unsicheres Blatt. Denn die Bevölkerung verelendet, das Pro-Kopf-Einkommen sinkt stetig. Internationale Organisationen sprechen von massenhafter Kinderarbeit und von Menschenhandel. Gleichzeitig füllt sich die familiäre und politische Umgebung des Präsidenten ungeniert die Taschen. Karimov und seine Freunde kontrollieren vor allem die Energiewirtschaft und die Baumwollbranche, aber auch lukrative Industrien in der Hauptstadt. Die einstige Planwirtschaft hat der Clanwirtschaft Platz gemacht. Gleichzeitig wächst die usbekische Bevölkerung, derzeit 27 Millionen, jährlich um 500.000 Menschen. Das bebaubare Land ist knapp und muss zum großen Teil bewässert werden. Die Demonstrationen der vergangenen Jahre mit dem dramatischen Höhepunkt in Andischan waren kein Werk sinistrer Islamisten, sondern verzweifelter Protest einer verarmenden Bevölkerung. Für tatsächliche Terroristen sind diese Menschen ideale Objekte von Anwerbungen.

Somit wird das Regime in Usbekistan zu einem Teil des Problems und nicht seiner Lösung. Nach glaubhaften Informationen ist Präsident Karimov an Leukämie erkrankt und fällt somit als langfristiger Partner aus. Seine Tochter ist bereits in freiwilligem und sicherem "Exil" an der usbekischen Botschaft in Moskau.

Wie es mit der Stabilität einer Nachfolger-Regierung aussieht, wagt derzeit niemand zu prognostizieren. Einige Experten interpretieren das Massaker von Andischan als Teil eines Machtkampfes im Umfeld des Staatschefs. Denn schon bald danach wurde Verteidigungsminister Kodir Gulomov durch Ruslan Mirsajev ersetzt. Der gilt als Protegé des Geheimdienstchefs - und nach Karimov möglichen starken Mannes - Rustam Inojatov. Auch der bisherige Innenminister Sokir Almatov wurde abgelöst.

Trotz dieser Probleme sieht sich Usbekistan qua demographischer Größe als Hegemonialmacht in der Region, was die Nachbarn, allen voran Kasachstan, beunruhigt. In der Vergangenheit ist es in Tadschikistan wie in Turkmenistan wiederholt zu Putschversuchen gekommen, hinter denen Taschkent vermutet wird.

Karimov hat versucht, den diplomatischen Liebesentzug durch die USA und die EU durch intensivere Kontakte mit asiatischen Staaten zu konterkarieren. Er selbst besuchte China, Südkorea und Pakistan, der indische Premierminister Manmohan Singh kam auf Visite nach Taschkent. Der usbekische Staatschef winkte dabei mit interessanten Investitionsobjekten im heimischen Energiesektor. Allerdings sind gerade südkoreanische Unternehmen durch ihre Erfahrungen der letzten Jahre zu gebrannten Kindern in Sachen Usbekistan-Engagement geworden.

Annette Bohr und Yury Federov vom Royal Institute of International Affairs in London (RIIA) sehen in Usbekistan mittlerweile einen Faktor der Instabilität in Zentralasien. Sie befürchten, dass die politischen und sozialen Probleme des Karimov-Reichs auf die anderen Staaten übergreifen. Das zu Usbekistan, Kirgistan und Tadschikistan gehörende Fergana-Tal, ohnehin überbevölkert, mit kaum kontrollierbaren Grenzen und von Verarmung seiner Bewohner geplagt, könnte zu einem Epizentrum der Instabilität werden.

Bereits heute verdingen sich Hunderttausende von Usbeken (einige Schätzungen gehen in die Millionen) in den anderen UdSSR-Nachfolge-Staaten als Gastarbeiter für die miesesten Jobs. Hinzu haben in den vergangenen Jahren Tausende von Menschen Usbekistan verlassen, um den Repressalien der Staatsorgane zu entgehen. Die RIIA-Experten schließen nicht aus, dass diese Zahl künftig noch deutlich zunehmen könnte.

Moskau in der Zwickmühle

Ob Russland längerfristig von einem schwachen Partner in der Region profitiert, darf bezweifelt werden. Auch die eher pro-russisch orientierten Regimes in Kirgistan und Tadschikistan werden von immensen politischen, wirtschaftlichen und sozialen Problemen geplagt.

Putin scheint Angst zu haben vor Veränderungen im zentralasiatischen Herrschaftsgefüge - vor allem, wenn sie russische Positionen gefährden. Die gegenwärtigen Machthaber, ob Karimov in Usbekistan, Bakijev in Kirgistan oder Imomali Rachmonov in Tadschikistan, sind im Kreml eine bekannte Größe, über die künftigen weiß man nichts. Das sorgt in Moskau für Unruhe.

Trotzdem ist Russland gut beraten, über einen Plan B "jenseits von Karimov & Co." nachzudenken und den Dialog mit potientiellen Amtsnachfolgern aktiv zu suchen. Dabei muss es derzeit kaum mentale oder sprachliche Hürden überwinden - noch immer sind die zentralasiatischen Eliten auch anderthalb Jahrzehnte nach Erreichung der Unabhängigkeit stark "sowjetisch" geprägt.

Je länger der Kreml wartet, desto eher wird er es in der politischen Führung dieser Republiken mit Menschen zu tun haben, die "die gemeinsame sowjetische Vergangenheit" von Russen und Mittelasiaten nur noch aus den Erzählungen ihrer Väter kennen. Für diese neue Generation ist ein guter Draht zur ausreichend entfernten Weltmacht Amerika womöglich von größerem Reiz als enge Beziehungen zu einer Großmacht gleich vor der Haustür, von deren Fuchtel man sich gerade erst befreit hat.

Everybody's Darling Nasarbajev

Die USA setzen derzeit auf das Kasachstan des Nursultan Nasarbajev. Das Land zieht sich von Europa bis an die chinesische Grenze, es verfügt über riesige Reserven an Energieträgern, seine Reputation in Sachen Menschenrechte und Marktwirtschaft ist besser als die seiner zentralasiatischen Nachbarn. Nasarbajev ist sicherlich kein Parade-Demokrat, aber die allgemeine Zustimmung der Kasachen zu seinem Kurs ist groß. Hinzu kommt, dass Kasachstan 2009 den Vorsitz der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) übernehmen will. Da würde allzu viel Repression nach innen ein schlechtes Bild auf den Präsidenten werfen.

Nasarbajev versteht, dass er zur Entwicklung seines Landes in erster Linie eines braucht: Stabilität zuhause und in der gesamten Region. Außenpolitisch vertritt er die Strategie der guten Beziehungen zu Washington und Brüssel ebenso wie zu Moskau und Peking. Darüber hinaus hat er es geschafft, die nicht-kasachischen, vor allem russischen Bürger seines Landes in die Wirtschaft und Verwaltung seines Landes einzubinden. Sie machen etwa die Hälfte der Bevölkerung aus.

Seinen Landsleuten hat er versprochen, dass zum Ende seiner dritten Amtszeit 2012 das jährliche Pro-Kopf-Bruttoinlandsprodukt (BIP) bei 8.000 bis 9.000 Dollar liegen soll. Kasachstan rangiere zu diesem Zeitpunkt, so Nasarbajev, unter den Top Ten der weltweiten Öl- und Gasexporteure. Mit dieser Mischung aus vorsichtigen Wirtschaftsreformen, "soft-authoritarian modernization" und Einbindung der heimischen Eliten scheint der Präsident unter seinen zentralasiatischen Amtskollegen derzeit am ehesten in der Lage, 2012 das Szepter einem Wunschnachfolger zu übergeben.