Schiedsstelle: Finnland erleidet im Streit mit Rosatom offenbar Niederlage
Bau von AKW Hanhikivi-1 einseitig gekündigt. Rosatom-Chef sieht Schiedsspruch zugunsten seines Konzerns. Warum der Fall im Westen aufmerksam verfolgt werden dürfte.
In der ersten Hälfte dieses Jahres hatte die Regierung in Finnland den Bau eines Atomkraftwerkes durch den russischen Staatskonzern Rosatom gekündigt. Begründet wurde die Entscheidung gegen das ohnehin umstrittene Projekt mit dem Krieg Russlands gegen die Ukraine. Nun könnte die Sache Helsinki teuer zu stehen kommen: Nach Angaben der russischen Seite hat ein internationales Schiedsgremium die Kündigung für vertragswidrig befunden.
Damit sind womöglich nicht nur Schadenansprüche Finnlands hinfällig. Der finnisch dominierte Mischkonzern Fennovoima, an dem Rosatom 34 Prozent der Anteile hält, muss offenbar auch Schadensersatz zahlen. Die jüngste Entwicklung im Streitfall dürfte im Westen – auch wenn er von dortigen Medien noch nicht aufgegriffen wurde – aufmerksam verfolgt werden. Denn auch dort wurden geltende Energieverträge mit Russland gekündigt und Schadensersatzansprüche geltend gemacht.
Anfang Mai hatte Fennovoima seinen Vertrag mit Rosatom über den Bau des Reaktors Hanhikivi-1 auf finnischem Territorium einseitig gekündigt. Das Projekt umfasste den Bau eines Einblock-Kernkraftwerks auf der Grundlage eines Reaktors russischer Bauweise VVER-1200 Generation 3+ mit einer Kapazität von 1.200 Megawatt.
Schon im Juni hatte Rosatom-Chef Alexej Lichatschow die Kündigung des Kernkraftwerksprojekts durch die finnische Regierung als "absolut anfechtbar" bezeichnet. Nun sagte er gegenüber russischen Medien, ein von beiden Seiten eingerichtetes Schlichtungsgremium habe Mitte Dezember zugunsten seines Unternehmens entschieden.
Seitens Fennovoima hieß es, die Empfehlung des Schiedsgremiums sei "weder endgültig noch bindend". Nach Darstellung aus Helsinki hätten "beide Parteien kurz nach ihrer Veröffentlichung ihre Unzufriedenheit kundgetan". Fennovoima habe inzwischen ein internationales Schiedsverfahren eingeleitet, "um die Beträge zurückzuerhalten, auf die es nach der Kündigung des Vertrags Anspruch hat".
Lichatschows Darstellung unterscheidet sich davon. Er sagte indes gegenüber der russischen Tageszeitung Iswestija:
Der Kunde hat den Vertrag gekündigt und die erste Reihe von Gerichtsverfahren liegt bereits hinter uns. Und ein internationales Schiedsgericht, das übrigens nur aus Vertretern westeuropäischer Länder besteht, hat ein klares Urteil gefällt: Zunächst wurden der finnischen Seite die von ihr erhobenen finanzielle Forderungen verweigert.
Alexej Lichatschow
Rosatom kündigte derweil an, seinerseits die Höhe von Entschädigungszahlungen festzulegen.
Der Bauvertrag für das Kernkraftwerk Hanhikivi-1 war 2013 unterzeichnet worden. Die Anlage sollte auf der finnischen Halbinsel Hanhikivi mit geschätzten Gesamtkosten von umgerechnet 7,5 Milliarden Euro gebaut werden.
Das Projekt war wiederholt verschoben worden, wobei sich beide Parteien gegenseitig für die Verzögerungen verantwortlich machten. Bei der Kündigung Anfang Mai verwies Fennovoima darauf, dass Russlands Krieg gegen die Ukraine das Projekt praktisch unmöglich gemacht hätten. So sollte etwa der Druckbehälter für die Anlage in Kramatorsk gefertigt werden. Die ostukrainische Stadt war seit Beginn der Invasion mehrfach Ziel russischer Angriffe.
In Deutschland haben die Energiekonzerne RWE und Uniper Schiedsverfahren gegen den russischen Gaskonzern Gazprom eingeleitet. Im Fall von Uniper geht es dabei um Forderungen in Höhe von 11,6 Milliarden Euro aufgrund von gedrosselten oder ausbleibenden Gaslieferungen.
Für Rosatom scheint es geschäftlich bislang nicht schlecht zu laufen. Die Nachrichtenagentur Reuters berichtet – auch unter Berufung auf Lichatschow –, der Konzern erwarte bis zum Ende dieses Jahres ein Exportwachstum von rund 15 Prozent, während sein Portfolio für Auslandsaufträge bei 200 Milliarden US-Dollar stabil geblieben sei.
Redaktioneller Hinweis: Ein Statement von Fennovoima wurde ergänzt.