Schily schießt weit übers Ziel hinaus

Der Bundesdatenschutzbeauftragte äußert heftige Bedenken gegenüber dem "Otto-Katalog" zum Kampf gegen den Terror

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Der Bundesbeauftragte für den Datenschutz, Joachim Jacob, macht im zweiten Anti-Terrorpaket des Bundesinnenministeriums in einer ersten Stellungnahme zahlreiche Verstöße gegen das verfassungsrechtliche Prinzip der Verhältnismäßigkeit aus. Einige Maßnahmen gehen demnach weit über ihre Zielsetzung hinaus und versprechen wenig Effektivität, kritisiert Jacob. Gleichzeitig fordert er für den Fall einer Verabschiedung eine Befristung und zeitnahe Evaluation der ins Spiel gebrachten Gesetzesänderungen.

Der aus dem Bundesinnenministerium stammende "Gesetzesentwurf zur Bekämpfung des internationalen Terrorismus"; den Telepolis vor einer Woche enthüllte (Schilys Geheimplan im Kampf gegen den Terrorismus), greift nach Auffassung des Bundesdatenschutzbeauftragten Joachim Jacob zu gravierend ein in das Persönlichkeitsrecht der Bundesbürger und bedarf einer "vertieften datenschutzrechtlichen Überprüfung". Dies schreibt Jacob in einem Brief an das Innenministerium und die obersten Bundesbehörden, der Telepolis vorliegt. Einem "konsequenten Vorgehen" gegen "das Phänomen des internationalen Terrorismus" will sich der oberste Datenschützer der Republik zwar nicht entgegenstellen. Dabei müssten aber im Grundgesetz verankerte Prinzipien beachtet werden.

Konkret erhebt Jacob unter anderem erhebliche Bedenken gegen die vorgesehene Befugnis des Bundeskriminalamtes (BKA), in durch das BKA-Gesetz vorgesehenen Fällen "Datenerhebungen bereits im Vorfeld eines Anfangsverdachts" vornehmen zu können. Eine ähnliche Befugnis des BKA zu so genannten Initiativermittlungen sei bereits 1993 diskutiert und nicht für tragbar befunden worden. Da generell aufgrund Bestimmungen der Strafprozessordnung (StPO) nur wenige Fälle in Betracht kommen würden, in denen die dem BKA vorliegenden Hinweise nicht bereits zureichende tatsächliche Anhaltspunkte für eine verfolgbare Straftat darstellten, "muss die Erforderlichkeit von Vorfeldermittlungen erheblich in Zweifel gezogen werden."

Vorfeldermittlungen fürs BKA nur bei akuter Gefahrenabwehr

Der Bundesdatenschutzbeauftragte befürchtet zudem, dass die Abgrenzung der polizeilichen Tätigkeit zu dem Aufgabenbereich der Nachrichtendienste weiter verschwimmt. Prinzipiell hält es Jacob für fraglich, ob in den Fällen, in denen dem BKA lediglich Hinweise auf eine mögliche strafbare Handlung vorliegen, überhaupt eine konkrete Gefahr als Voraussetzung für ein entsprechendes polizeiliches Handeln gegeben ist. Eine solche Gefahrenabwehr sei allerdings notwenig, um die Bundesbehörde ins Spiel zu bringen.

Einen Mangel an Datenzufuhr für die Arbeit des Bundeskriminalamts kann Jacob im Gegensatz zum Innenministerium nicht erkennen. In den beim BKA als Zentralstelle der Polizeien des Bundes und der Länder geführten polizeilichen Dateien könnten bereits jetzt Informationen zu Personen gespeichert werden, die in der Vergangenheit weder Beschuldigte noch Tatverdächtige waren, bei denen aber aufgrund einer kriminalistisch-kriminologischen Prognose bestimmte Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass der Betroffene künftig Straftaten von erheblicher Bedeutung begehen werde. Auf diese Daten könne auch das BKA in seiner Funktion als Strafverfolgungsbehörde zu Zwecken der Verdachtsverdichtung bereits zugreifen.

Verfassungsschutz verfügt bereits über genügend Befugnisse

Zu weit geht dem Bundesdatenschutzbeauftragten auch die von Schily gewünschte Ausweitung der Befugnisse des Verfassungsschutzes, auch wenn Jacob diesem Ziel nicht generell eine Absage erteilen möchte. Dass erstmals Unternehmen wie Banken, Fluggesellschaften und Telekommunikations- sowie Teledienste-Anbieter gegenüber dem Bundesverfassungsschutz auskunftspflichtig werden sollen, sei nicht hinnehmbar.

"Ich habe gegen diese, obgleich selektive Unterrichtungspflicht privater Stellen über privatrechtliche Rechtsbeziehungen zu nachrichtendienstlichen Zwecken aufgrund des Verhältnismäßigkeitsprinzips erhebliche Bedenken", schreibt Jacob. Die Offenbarung privatrechtlicher Geschäftsgeheimnisse, auch ohne Vorliegen eines Anfangsverdachts, sei unverhältnismäßig, zumal die Dienste die demokratisch geforderte Offenheit gegenüber dem Bürger vermissen ließen.

Tiefe Eingriffe in die Grundrechte bei der Telekommunikation

"Meines Erachtens reichen", so Jacob, "Aufgaben und Befugnisse der Strafverfolgungsbehörden, die an das Vorliegen eines Anfangsverdachts anknüpfen, aus." Besonders gravierend sei die Einschränkung des Post- und Fernmeldegeheimnisses, da dazu keine gesetzlichen Voraussetzungen gegeben seien. Dem vorgesehen Einsatz des umstrittenen IMSI-Catchers zur Überwachung der Handy-Nutzer erteilt der Bundesdatenschutzbeauftragte zudem eine grundsätzliche Absage, da "auch unbeteiligte Dritte betroffen" wären.

Einwände erhebt Jacob auch gegen die Auswertung der Standortangaben von Mobiltelefonen im Stand-by-Betrieb, mit denen Strafverfolger und Verfassungsschutz dem Aufenthalt von Verdächtigen und Attentätern auf die Spur kommen sollen. Aus datenschutzrechtlicher Sicht sei die "Erstellung von Bewegungsbildern als problematisch anzusehen". Vor allem da vermutlich zunächst auch Bewegungsbilder von Personen erstellt würden, die zwar spionageverdächtig seien, sich dann aber als unschuldig erweisen könnten.

Auch bei der strittigen Aufnahme biometrischer Daten wie Fingerabdrücke in Ausweisdokumente möchte der Bundesdatenschutzbeauftragte ein Wort mitreden. Wegen des tief gehenden Eingriffs in die Grundrechte des Einzelnen kann die Bestimmung der biometrischen Informationen nicht dem Verordnungsgeber überlassen bleiben, fordert Jacob. Sie sei vom Gesetzgeber selbst zu treffen. Die Betroffenen müssten zudem berechtigt sein, die in ihren Dokumenten verschlüsselt aufgeführten Daten auszulesen.

Praktische Schwierigkeiten sieht der Datenschutzexperte bei der Umsetzung der von Schilys Beamten beantragten Änderungen des Ausländergesetzes. Sie müssten durch ein internationalen Kontroll-Regime ergänzt werden, um effektiv zu sein. Die Abnahme von Fingerabdrücken im Visa-Verfahren könnte nur dann Sinn machen, wenn gleichzeitig eine Referenzdatei geschaffen würde. In ihr müsste unter anderen festgehalten werden, bei welcher Auslandsvertretung die biometrischen Daten abgenommen wurden. Auch müssten entsprechenden Daten dort aus allen Schengen-Staaten eingespeist werden. Ein Ausländer hätte sonst die Möglichkeit, über einen Unterzeichner-Staat des Schengener Abkommens einzureisen, der keine biometrische Daten erhebt.

Zweifel an neuen Datenverarbeitungsmöglichkeiten

Schließlich hält Jacob auch einen Großteil der geplanten Änderungen des Asylverfahrensgesetzes für untauglich. Nach der geltenden Rechtslage sei beispielsweise eine Nutzung der Fingerabdruckdaten von Asylbewerbern zu Strafverfolgungszwecken nur im Einzelfall zulässig. Bestimmte Tatsachen müssten die Annahme begründen, dass diese Maßnahme zur Aufklärung einer Straftat führe, oder wenn sie zur Abwehr einer erheblichen Gefahr für die öffentliche Sicherheit erforderlich sei.

Mit der beabsichtigten Streichung dieses Bedingungssatzes könnten nunmehr Daten über Asylbewerber schrankenlos zum Zwecke der Feststellung der Identität oder der Zuordnung von Beweismitteln verwendet werden. Die gebotene Trennung zwischen Daten von Asylbewerbern zu anderen polizeilichen Daten wäre zudem nicht mehr gewährleistet. Jacobs Resümee: "Es bestehen erhebliche Zweifel an der Verhältnismäßigkeit der vorgesehenen Datenverarbeitungsmöglichkeiten."

Rechtsstaatliche Balance geht verloren

Scharf zu Gericht geht neben dem Bundesdatenschutzbeauftragten auch der schleswig-holsteinische Landesdatenschutzbeauftragte Helmut Bäumler mit den Anti-Terrorpaketen des Bundesinnenministeriums. Die Programme zeigen seiner Meinung nach, dass die Politik auf dem besten Weg sei, die Balance zwischen demokratischen Rechten des Staates und des Bürgers aus dem Auge zu verlieren.

Wer "rechtsstaatliche Bindungen wie lästige Hindernisse" beiseite schiebe und bei dieser Gelegenheit gleich "lang gepflegte sicherheitsbehördliche Wunschzettel" zu realisieren suche, übersehe, dass "nun schon seit 20 Jahren die Gesetze verschärft worden seien." Was Schleppnetzfahndung, Großer Lauschangriff, verdeckte Ermittler, elektronische Staubsauger zum Abhören von Telefongesprächen allerdings gebracht hätten, sei nach wie vor unklar.

"Wer jetzt so tut", empört sich Bäumler, "als seien den Sicherheitsbehörden durch rechtsstaatliche Bedenkenträger die Hände gebunden, der verhindert auch eine kritische Analyse der Vollzugsdefizite."