Schlechte Stimmung bei der Bundeswehr
Knapp die Hälfte der eigenen Führungskräfte stellt der Umsetzung der Strukturreformen ein katastrophales Zeugnis aus
Unumstritten war die Bundeswehr nie, doch in den letzten Jahren hat ihr Ansehen noch einmal massiv gelitten. Durch die seit 2010 forcierte "Neuausrichtung" wurden zwar tiefgreifende Reformprozesse (wie die Abschaffung der Wehrpflicht) in die Wege geleitet, doch Fragen nach der genauen Funktion und Auftragslage, der Rückendeckung durch die politischen Verantwortungsträger oder der gesellschaftlichen Akzeptanz im 21. Jahrhundert warten nach wie vor auf schlüssige Antworten.
Eine Studie der Technischen Universität Chemnitz, die im Auftrag des Deutschen Bundeswehrverbandes durchgeführt wurde, stellt den Reformern nun ein katastrophales Zeugnis aus.
Die Ergebnisse der Befragung sind alarmierend und signalisieren einen akuten politischen Handlungsbedarf. (…) Andernfalls droht die Neuausrichtung zu einer "Dauerbaustelle" zu werden, die nicht nur die Soldatinnen und Soldaten zunehmend belastet, sondern letztlich auch die Aufgabenerfüllung durch die Bundeswehr gefährdet.
"Militärische Führungskräfte bewerten die Neuausrichtung der Bundeswehr"
Die ernüchternde Bilanz stammt übrigens nicht von Zivilisten. Sie ist das Ergebnis einer Befragung von mehr als 1.700 aktiven Soldaten - Kommandeuren, deren Stellvertretern, Kompaniechefs und –feldwebeln.
Negatives Arbeitgeberimage
Im April hatte sich bereits die Fakultät für Wirtschaftswissenschaft der FernUniversität Hagen mit der Reputation der Bundeswehr beschäftigt. Hier wurde untersucht, ob sich junge Männer und Frauen nach der Neuausrichtung eine berufliche Zukunft innerhalb der Streitkräfte vorstellen können. Dabei landete die Bundeswehr irgendwo zwischen Hochtief und Deutscher Bahn – mit der Bemerkung, dass die große Mehrheit der Jobsuchenden ausdrücklich NICHT der Meinung ist, dass …
… es bei der Bundeswehr vorbildliche Vorgesetzte gibt, eigene Wertvorstellungen mit der beruflichen Tätigkeit vereinbar sind, herausfordernde und interessante Tätigkeiten ausgeübt werden können, Möglichkeiten der persönlichen Entfaltung und Entwicklung bestehen, eine Identifikation mit den Zielen der Bundeswehr erreichbar ist, geregelte Arbeitszeiten vorherrschen und nicht zuletzt die Vereinbarkeit von Familie und Beruf (Work-Life-Balance) gewährleistet werden kann.
"Das Arbeitgeberimage der Bundeswehr: Bedeutung und Handlungsbedarf aufgrund der Strukturreform"
Wer will schon die Kosten für die Ausrüstung bei Auslandseinsätzen selbst tragen, im Job Trennungsquoten von bis zu 90 Prozent erleben, sich zweifelhaften Bewertungsverfahren und Beförderungsentscheidungen stellen oder für 24-Stunden-Dienste eine Pauschal-Vergütung von 65,40 Euro bekommen, die vor kurzem gar bei 35,79 Euro lag? Fazit der Wirtschaftswissenschaftler:
Die Bundeswehr ist aus Sicht der Zielgruppe mit einem negativen Arbeitgeberimage (…) belegt.
Die Ergebnisse einer ersten Befragungsrunde unter Führungskräften, die Gerd Strohmeier, Professor für Europäische Regierungssysteme an der TU Chemnitz, Ende vergangener Woche vorstellte, geben noch mehr Anlass zum Nachdenken. Strohmeier identifizierte gleich fünf Problembereiche, die von der praktischen Umsetzung der Neuausrichtung bis zur Unterstützung durch die Politik reichen. Dabei fällt auf, dass die Befragten sich nicht grundsätzlich gegen Umstrukturierungen aussprechen, mit der aktuellen aber offensichtlich erhebliche Schwierigkeiten haben.
Das Vorhaben zur Neuausrichtung der Bundeswehr wird – insgesamt betrachtet – nur von gut einem Viertel (27,3 %) als schlecht bzw. sehr schlecht bewertet. Die Umsetzung der Neuausrichtung der Bundeswehr wird dagegen – insgesamt betrachtet – von knapp der Hälfte (46,7 %) als schlecht bzw. sehr schlecht bewertet.
"Militärische Führungskräfte bewerten die Neuausrichtung der Bundeswehr"
Der Umstand, dass 76,2 Prozent das Gefühl haben, dass sie nicht aktiv an der Umgestaltung teilnehmen und auch keine eigenen Ideen einbringen können, erklärt mindestens einen Teil dieser Zahlen.
Fluchtgedanken
Dass die Einsatzfähigkeit der Bundeswehr durch die Neuausrichtung erhöht wird, sehen viele Führungskräfte positiv. Sie bemängeln aber im Gegenzug die Belastungen, die eben dadurch in anderen Bereichen entstehen. So glauben jeweils mehr als zwei Drittel an negative Auswirkungen auf die Berufszufriedenheit (67,4 Prozent), die "Stimmung in der Truppe" (73,4 Prozent), die Vereinbarkeit von Familie und Beruf (74,2 Prozent) und die Belastungssituation der Soldatinnen und Soldaten (81 Prozent).
Der dritte Problembereich betrifft den wachsenden Handlungsbedarf in verschiedenen Sektoren. Die Befragten konnten hier zwischen der Zeit vor und nach der Neuausrichtung unterscheiden und markierten erhebliche Differenzen bei den Arbeitsbedingungen (vorher: 37,9 / nachher: 51,4 Prozent), der Arbeitsbelastung (vorher 47,6 / nachher: 67,5 Prozent) oder den Entwicklungs- und Karrieremöglichkeiten (vorher: 42,9 / nachher: 61,5 Prozent). Offenbar konnte die Bundeswehr bislang nicht nachweisen, dass sie diese kritischen Bereiche besonders engagiert angehen will.
Besonders bemerkenswerte Daten liefert der Abschnitt, der sich um die Rekrutierung des Nachwuchses dreht. Wer stellt morgen und übermorgen die "Staatsbürger in Uniform"? Kaum einer, wenn man den Ergebnissen dieser Studie glauben will. Stattdessen haben drei Fünftel der Befragten in den letzten Monaten darüber nachgedacht, ihren Arbeitsplatz aufzugeben und die Bundeswehr zu verlassen. 38,3 Prozent würden sich heute um einen anderen Arbeitgeber bemühen, 63,6 Prozent möchten Angehörigen nicht empfehlen in ihre Fußstapfen zu treten.
Viel schlimmer könnte das Zeugnis angesichts der seit langem drängenden Personalsorgen nicht ausfallen.
Schließlich vermisst ein Großteil der militärischen Führungskräfte die Rückendeckung durch die Politik. Das Verteidigungsministerium stellt die einzige Ausnahme – nur 26,7 Prozent der Befragten klagen hier über mangelnde Unterstützung. Für die "Politik im Allgemeinen" (67,8 Prozent) und die amtierende Bundesregierung (65,4 Prozent) sieht die Lage anders aus. Die uneingeschränkt optimistische Antwort "Fühle mich unterstützt" mochten in beiden Fällen nicht einmal zwei Prozent geben.
Worauf ist die Bundeswehr neuausgerichtet?
Immerhin wurde der schwierige Diskussionsstoff im Bundesministerium der Verteidigung frühzeitig antizipiert und das Sozialwissenschaftliche Institut der Bundeswehr mit einer eigenen Studie beauftragt, die bereits seit Anfang August vorliegt und bis 2017 weitergeführt werden soll. Das Institut hatte 2010/11 bereits eine Analyse zu grundsätzlichen Imagefragen durchgeführt und dabei herausgefunden, dass rund 85 Prozent der Bundesbürger der Bundeswehr auch in Zeiten der Neuausrichtung durchaus positiv gegenüberstehen. Es gab allerdings interessante Ausnahmen von dieser Regel.
Überdurchschnittlich positiv eingestellt sind ältere Menschen, Anhänger der Unionsparteien und der SPD. Eine signifikant negativere Haltung zur Bundeswehr vertreten jüngere Menschen und Personen mit höherem Bildungsniveau. Am kritischsten sind die Anhänger der Grünen, Sympathisanten der Linken, die Bessergebildeten: In dieser Gruppe liegt der Anteil der Personen mit negativer Einstellung bei 25 bzw. 21 und 19 Prozent.
Sicherheits- und verteidigungspolitisches Meinungsklima in der Bundesrepublik Deutschland
Erhebliche Differenzen gab es im aktuellen Fall bei der Rücklaufquote beider Studien. Das Bundeswehr-Institut erhielt von 800 angeschriebenen Dienststellenleitern 453 Rückmeldungen – und von 10.119 zufällig ausgewählten Bundeswehrangehörigen nur 2.572. Die Chemnitzer Untersuchung konnte auf 1.768 Fragebögen zurückgreifen. Bei 3.993 Befragten kam man auf eine beachtliche Beteiligungsquote von 44,3 Prozent.
Die Ergebnisse des Instituts unterscheiden sich trotzdem nicht wesentlich von denen der TU Chemnitz, und dass die sozialwissenschaftliche Untersuchung die naheliegende Frage stellt, auf was genau die Bundeswehr denn überhaupt neuausgerichtet werden soll, schlägt auch nicht gerade zum Vorteil des Gesamtunternehmens aus.
Wie sieht es mit der Grundrichtung des Veränderungsprozesses aus? Haben die Dienststellenleitungen die "Vision" zur Neuausrichtung erkannt? Dies ist der Umfrage zufolge nur bei einer Minderheit der Fall. Drei Viertel der Dienststellenleitungen können nicht klar erkennen, worauf die Bundeswehr neuausgerichtet wird.
"Veränderungsmanagement zur Neuausrichtung der Bundeswehr"
Das klingt nicht gut, ist für den erfahrenen Politiker aber kein Problem. Staatssekretär Stéphane Beemelmans weiß, dass die Untersuchungsergebnisse nicht dazu taugen, erste Erfolge zu vermelden. Andererseits habe man eine solche Einschätzung "zu diesem frühen Stadium" erwarten können.
Kommunikationsprobleme
Gleich dreimal führt der Staatssekretär die Ursache an, die praktisch bei allem, was in der politischen Theorie und Praxis so schiefläuft, als Entschuldigung herhalten darf: Wenn sich ein Viertel der vom Sozialwissenschaftlichen Institut der Bundeswehr befragten Führungskräfte schlecht informiert fühlt, müssen umfassende Maßnahmen ergriffen werden, "um die Beteiligung und die Kommunikation zu verbessern".
Das kann keinesfalls schaden, denn die Erklärung, die in den offiziellen Verlautbarungen des Ministeriums offeriert wird, dürfte kaum dazu angetan sein, die Irritationen der eigenen Mitarbeiter/innen zu beseitigen.
Welchen Sinn hat die Neuausrichtung der Bundeswehr? Ziel und Maßstab der Neuausrichtung ist eine Bundeswehr, deren Auftrag und deren Aufgaben sicherheitspolitisch begründet sind, die fähigkeits- und einsatzorientiert aufgestellt ist, deren Struktur demografiefest ist und die nachhaltig finanziert ist. Zudem gilt es, strukturelle Defizite, die sich beispielsweise in einer zu geringen Anzahl verfügbarer Kräfte für die laufenden Einsätze, teilweise schwerfälligen Entscheidungsprozessen und unnötigen Parallelstrukturen zeigen, zu beseitigen.
Bundesministerium der Verteidigung: Fragen und Antworten zur Neuausrichtung
Auch im Bereich "Bürokratieabbau, flachere Hierarchien und schnellere Entscheidungsprozesse" herrscht nach Beemelmans´ fachkundiger Einschätzung "Kommunikationsbedarf". Wobei, drittens, und das will Beemelmans nicht verhehlen, die Politik schon wesentliche Voraussetzungen geschaffen hat, um Kommunikationsprobleme zu lösen.
Ich kann nur jeden dazu auffordern, auch unsere bereits vorhandenen Informationsplattformen zur Neuausrichtung wie das Intranet oder unseren WiKi-Service zu nutzen.
Staatssekretär Stéphane Beemelmans zur Vorstellung der Studie "Veränderungsmanagement zur Neuausrichtung der Bundeswehr"
Verteidigungsminister Thomas de Maizière, der oberste Dienstherr, räumt immerhin ein, dass beide Studien ein realistisches Bild der aktuellen Situation zeichnen, erteilt einem Kurswechsel aber eine klare Absage.
Oberst Ulrich Kirsch, der Vorsitzender des Bundeswehrverbandes, ahnt für diesen Fall unruhige Zeiten voraus.
Was in der gewählten Sprache der Wissenschaft noch vergleichsweise harmlos klingt, heißt in der Sprache von uns Soldaten: Wenn nicht ganz schnell etwas passiert, wird die Reform kippen!
Ulrich Kirsch