"Schlüssel zur katalanischen Unabhängigkeit"
Seite 2: "Wir starten kein nationalistisches Projekt, sondern das einer gerechten und freien katalanischen Republik für alle"
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Stehen wir vor einem Wendepunkt für Spanien und Katalonien?
Quim Arrufat: Es ist mehr. Denn es ist das Unabhängigkeitsreferendum, das wir nicht abhalten konnten und nie im spanischen Staat abhalten dürfen. Denn der Staat und die Regime-Parteien werden nie anerkennen, dass es im spanischen Staat verschiedene politische Subjekte gibt. Es handelt sich deshalb um ein Plebiszit, um den Beginn eines konstituierenden Prozesses und einen demokratischen Bruch.
Warum ist ein Referendum wie in Schottland nicht möglich?
Quim Arrufat: Das müssten Sie eigentlich die Regime-Parteien im spanischen Staat fragen, warum sie uns das verweigern wollen. Sie sagen es sogar explizit, dass es auch in der Zukunft kein Unabhängigkeitsreferendum geben wird. Und die tragenden Kräfte, die Konservativen, die Sozialisten und Ciudadanos, werden wohl bei den Parlamentswahlen im Herbst wieder zwei Drittel der Stimmen erhalten. Ihnen ist egal, wie viele Menschen hier die Unabhängigkeit wollen. Sie werden nie zulassen, dass darüber über demokratische Mechanismen entschieden wird.
Also sieht die CUP im Demokratiedefizit einen Grund, warum viele Menschen Spanien den Rücken kehren?
Quim Arrufat: Klar. Es ist ja nicht so, dass uns die gerade regierende Partei nicht gefällt. Eine Mehrheit in Katalonien hat entschieden, nicht länger zu versuchen, etwas zu reformieren, was nicht reformierbar ist. Deshalb streben wir einen souveränen Staat an.
Aber ist Nationalismus nicht etwas ungewöhnlich für Linksradikale?
Quim Arrufat: Das mit Nationalismus zu brandmarken, taugt nichts, weshalb wir das Wort aus unserem Vokabular streichen sollten. Ein identitärer Diskurs ist praktisch aus der politischen Debatte in Katalonien verschwunden. Uns steht aber ein aggressiver spanischer Nationalismus entgegen, der an die Abstammung derer appelliert, die einst zum Arbeiten hierher kamen usw.
Wir starten hier kein nationalistisches Projekt, sondern das einer gerechten und freien katalanischen Republik für alle. Wir wollen, dass alle, egal welcher Herkunft, hier frei in ihrer Vielfältigkeit entscheiden können. Es geht um ein progressives und demokratisches Projekt. Und von diesem imperialen Reich, mit seinen bekannten Wurzeln, hat sich schon die halbe Welt befreit.
Die bestimmenden ökonomischen und politischen Strukturen sind noch immer in der Mentalität des Imperiums und der Franco-Diktatur gefangen. Das macht eine demokratische Debatte so schwierig. Wir dachten, das hätte sich in den 35 Jahren der Demokratie geändert. Noch immer hört man auf alle Forderungen nach demokratischer Beteiligung nur: Nein, Nein, Nein.
"Es ist wichtig, die Struktur der Oligarchie zu demontieren"
Warum hat sich die CUP nicht der Einheitsliste für die Unabhängigkeit "Junts pel Si" (Gemeinsam für das Ja) angeschlossen wie andere linke Formationen?
Quim Arrufat: Wir wollten zwar die Einheitsliste, aber auf ihr sollten keine Parteien und Politiker antreten, sondern Vertreter der Zivilgesellschaft. Das "Ja" zur Unabhängigkeit sollte nicht mit Parteien, ihren Programmen, ihrer Vergangenheit und zum Teil auch mit ihrer Korruption etc. in Verbindung gebracht werden. Doch das hat die CDC von Mas nicht zugelassen. Entweder es gibt eine Liste um Mas oder es gibt keine Wahlen, war ihre Position. Wir können keine Liste mit Leuten tragen, die Kürzungsprogramme durchgezogen haben, die Polizei auf Proteste und Streiks etc. loslassen. Klar ist, dass auch wir für die Unabhängigkeit eintreten, weshalb unsere Stimmen und Sitze zur Einheitsliste hinzugerechnet werden müssen.
Nach Umfragen wird die CUP ihre Stimmenanzahl mehr als verdoppeln und bis zu elf statt drei Parlamentarier erhalten und damit entscheidend sein...
Quim Arrufat: … perfekt. Denn wir wollen entscheidend für unser Land sein. Wenn wir den Schlüssel in die Hand bekommen, werden wir mit Intelligenz die demokratische Beteiligung in diesem Prozess deutlich ausweiten. Denn das ist die einzige Garantie, um ihn auch in der Zukunft verteidigen zu können. Er muss weniger auf Personen und Parteien bezogen sein, sondern demokratischer und breiter. Um ans Ziel zu kommen, muss die Basis verbreitert werden, einfach 50% der Stimmen zu bekommen, reicht nicht.
Was sind die roten Linien der CUP?
Quim Arrufat: Es ist klar, dass Mas und seine Partei der Steuerhebel entrissen werden muss. Er kann er nicht wieder Präsident werden. Es muss in Zukunft zumindest eine kollektive Führung für den demokratischen Prozess in die Unabhängigkeit geben.
Wie steht die CUP dazu, dass "Junts pel Si" den Weg in die Unabhängigkeit mit einer Sitzmehrheit starten will?
Quim Arrufat: In einem Plebiszit braucht man die Hälfte der Stimmen. Das ist sehr wichtig für die internationale Anerkennung durch Staaten und Institutionen. Natürlich ist nicht alles einfach vorbei, wenn wir auf 49% kommen. Angesichts eines verbotenen Referendums, das per Wahlen und unter Drohungen abgestimmt werden muss, wäre das keine Niederlage.
Wie schätzen Sie die Wahlkampagne ein, wo aus Madrid massiv versucht wurde, Angst zu schüren, dass die Renten nicht bezahlt werden könnten, die Banken schließen und vieles mehr? Dabei ist Unglaubliches zu Tage getreten, dass sogar Aussagen von EU-Kommissionspräsident Juncker manipuliert wurden. Auf eine Anfrage der PP hatte er nur gesagt, er könne sich zu internen Angelegenheiten nicht äußern. In der deutlich längeren spanischen Übersetzung hieß es unter anderem, dass sich angeblich ein Landesteil nicht abspalten könne. Für den Fehler musste sich die Kommission entschuldigen. Und extrem peinlich war für den spanischen Regierungschef Rajoy, dass er sich im Interview von einem Journalisten aufklären lassen musste, dass die spanische Verfassung nicht zulässt, Katalanen die Staatsbürgerschaft abzuerkennen, wenn sie es nicht wollen, weshalb sie auch EU-Mitglieder bleiben.
Quim Arrufat: Das war keine Angstkampagne. Das war eine Witzkampagne. Diese Gesellschaft hat sich in den letzten Jahren stark gewandelt. Sie können uns keine Angst mehr machen, denn wir glauben ihnen ihre apokalyptischen Szenarien nicht mehr. Die Leute haben angefangen, darüber zu lachen. Umso stärker sich die Banken, Monarchie, Kirche, Parteien in diesem Wahlkampf geäußert haben, umso lächerlicher wurden sie in der demokratischen Konfrontation mit uns. Das ist gut, denn es wichtig, die Struktur der Oligarchie zu demontieren. Weil sie keine Argumente haben, erfinden sie Drohungen oder Lügen. Sie wollen eine Gesellschaft einschüchtern, die längst entschieden hat, selbst zu entscheiden, die dafür weder um Erlaubnis fragt, noch um Entschuldigung bittet.
Welche Szenarien sind ab Sonntag möglich?
Quim Arrufat: Wir gehen natürlich von einer Mehrheit der Sitze und Stimmen aus, um auf den Vorgang zu beschleunigen. Wir werden dann starken Einfluss darauf nehmen, wie diese neue Republik gestaltet wird. Denn wir wollen eine Referenz in Europa werden, so dass wir die einfachen Leute und ihre Interessen vertreten, die demokratische Teilnahme und die soziale Gerechtigkeit ausweiten. Klar ist, dass ein Sieg mit 51 oder 52% verbreitert werden muss. Aber das ist aber ein guter Start für den konstituierenden Prozess.
Und wenn es keine Stimmenmehrheit geben sollte?
Quim Arrufat: Dann werden wir im Parlament weiter eine klare Oppositionspolitik machen und stets Verbündete derer sein, die auf einen demokratischen Bruch mit dem spanischen Staat hinarbeiten.
Wird sich die CUP auch an die neue Empörten-Partei "Podemos" (Wir können es) und ihre Basis richten, um die Basis für ihre Ziele zu verbreitern? In einigen Programmpunkten ähneln sich beide Formationen, denn auch Podemos will das "Regime" beseitigen. Einige dort haben aber Probleme mit der Unabhängigkeit, vertreten aber das Recht auf Selbstbestimmung.
Quim Arrufat: Alle linken Kräfte im spanischen Staat verteidigen rhetorisch immer das Selbstbestimmungsrecht in Palästina, der Westsahara und theoretisch auch das der Nationen im spanischen Staat. Das macht auch Podemos. Doch die Frage ist, wie sie sich dazu stellen, dass wir dieses Recht auch ausüben. Wird Podemos sich an der Blockade eines autoritären Staats mit der PP, PSOE und Ciudadanos beteiligen? Oder wird die Partei die Ausübung dieses Rechts respektieren und den demokratischen Prozess begleiten?
Die Zeit der Theorie und der Rhetorik ist vorbei. Für mich ist Podemos verwirrt, was in Katalonien vorgeht. Die Frage ist aber, ob sie tatsächlich nur verwirrt sind oder ob sie im Sinne des Staates handeln. Diese Entscheidung müssen sie fällen.