Schluss mit PISA?

Seite 3: Die Standardisierer nennen geistige Vielfalt "Wildwuchs" oder "Bildungschaos"

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Aber dann haben wir doch noch lange kein gutes Bildungssystem. Sie sagten ja selbst, die Unzufriedenheit mit diesem sei so riesig, dass PISA eben deshalb so starken Reformdruck in die falsche Richtung zu entfalten vermochte. Wohin aber, in welche Richtung führt dann der bessere Weg?

Wolfram Meyerhöfer: Also: Wir wissen längst, dass PISA eben nicht Bildsamkeit testet, sondern die Fähigkeit, das Denken der Tester zu erraten. Wir wissen, dass dieses Denken immer verengt ist, zum Mittelmaß tendiert und kreatives Denken bestraft, dass die Tester immer wieder auch unsinnig denken - und es selbst nicht einmal bemerken. Wir wissen, dass die statistischen Konstrukte von PISA dazu führen, dass die am Ende präsentierten Länderrankings ebenso gut großflächig ausgewürfelt werden könnten. Wir wissen, dass Testresultate leicht manipulierbar sind. Und wir wissen, dass das Testen uns vom Denken abhält. Schluss also damit. Soweit, so gut.

Weiterhin ist es aber so, dass die Selektionsfunktion von Schule ihrer Bildungsfunktion tendenziell entgegensteht. Die authentische Auseinandersetzung mit einem Gegenstand ist eben sauschwer zu benoten. Es muss daher darum gehen, Bewertung zukünftig so zu gestalten, dass sie eine tiefe Auseinandersetzung mit der Welt möglichst wenig torpediert. Dazu muss sie so gering wie möglich standardisiert sein.

Das Matheabitur kann beispielsweise auch ein Aufsatz sein mit dem Thema: "Stellen Sie die Grundidee des Differentialbegriffs und einige Verwendungen dar." Viele Lehrer werden das nicht mögen und stattdessen bei klassischen Aufgaben bleiben wollen. Das System muss aber eben auch anderes ermöglichen. Die Standardisierer nennen geistige Vielfalt "Wildwuchs" oder "Bildungschaos". Das Geistige meines Gegenübers ist aber eben auch immer etwas, was man in seinem Anderssein respektieren und aushalten muss. Wenn ich will, dass Lehrer Professionelle des Geistigen sind, dann muss ich also auch ihr Verschiedensein als Bereicherung ansehen können. Ich möchte keine Bildungsklempner, die nur Standards abarbeiten.

Und Qualitätssicherung, …die gibt es dann nicht mehr?

Wolfram Meyerhöfer: In jeder Schule weiß man, welche Lehrer besonders schlecht unterrichten. Deshalb verheimlichen etwa die Grundschulen vor den Anmeldungen auch, welche Lehrer im nächsten Jahr die ersten Klassen übernehmen. Zehn Jahre Massentestung haben aber nichts daran geändert, dass niemand diesen Lehrern hilft. Die Schuladministration muss mit schlechten Lehrern endlich konkret an ihrem Unterricht arbeiten. Dazu muss man diesen Unterricht besuchen und diskutieren. Notfalls muss man den Betroffenen berufliche Auswege schaffen. Dazu aber braucht es keinen Test. Es braucht einen konstruktiven, kollegialen Dialog sowie die notwendigen Ressourcen, die für die Qualifizierung guter Lehrer und adäquate Klassengrößen notwendig sind.