Schmiert die alte Tanke ab?
Seite 3: "Du hast keine Kunden, Du hast einen Fanclub."
- Schmiert die alte Tanke ab?
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Du hast keine Kunden, Du hast einen Fanclub.
Lars Mytting: Fyksens Tankstelle
Wenn Tankstellen mit Autohäusern gekoppelt waren, boten sich in den 50er Jahren rundum verglaste Rondelle als attraktive Lösung an. In Freiburg war der Pavillon zweigeschossig auf zwölfeckigem Grundriss. Das obere Geschoss, zu erreichen über eine frei stehende Wendeltreppe, diente einer damals beliebten Freizeitbeschäftigung: Der Verkehr in der sich entfaltenden autogerechten Stadt konnte aus dem optimalen Panoramablickwinkel genießerisch beobachtet werden. Die Architektur selbst ist mobil. Oben war ein Café mit Milchbar. Nach der Restaurierung tragen ein Restaurant und wieder ein Café zur Bestandssicherung bei.
Die 60er Jahre brachten einen Abschwung zu konventioneller Gestaltung, und in der Ölkrise von 1973 manifestierte sich ein wirtschaftlicher Abschwung. "Netzbereinigung" lautete der Deckbegriff für die Schließung von Tankstellen. Beim Service jedoch vollzog sich ein qualitativer Wandel. Aus dem Kassen- und Aufenthaltsraum wurde der Shop, und aus dem Nebengeschäft wurde die hauptsächliche Einnahmequelle. Die "Non-food-Angebote" machen nur noch ca. 40% aus. In den besseren Lagen mausern sich die Shops zu Supermärkten mit Frische- und Convenience-Produkten. Aber die Zusammenarbeit von Aral und REWE schwächelt. Esso versucht es mit "Burger King", und Shell greift auf "Kamps" zurück.
Der Haussegen zwischen den Konzernen und den Tankstellenbetreibern hängt schief. Provisionen sind das alte Streitthema. Aber mehr noch scheinen alle Beteiligten Zukunftsangst zu haben. Ende letzten Jahres plante der Tankstellen-Interessenverband (TIV) einen Kongress zu zukünftigen Perspektiven der Tankstellen als Mobilitätszentrum, doch die eingeladenen Mineralölgesellschaften sagten ab. Jeder versteht unter dem Mobilitätsansatz etwas anderes. Er ist dehnbar von Nah- zu Ferndistanzen, von "neuer Nachbarschaft" im engeren Umkreis bis zu autonomen Flugtaxis, die auf dem Dach der Großtankstelle landen. Das steht in einer Aral-Studie, die Tankstellen als Umsteigestationen zwischen verschiedenen Verkehrsmitteln - auch auf Sharing-Basis - sieht.
Es liest sich wie eine Luftnummer. Auf der anderen Seite werden recht kleinliche Projekte umgesetzt vor dem in der Tat ungewissen Ausblick, welche Energieträger sich umsatzträchtig durchsetzen werden. Die Tankstellenbetreiber scheinen Ladesäulen nicht zu trauen. Die Gesellschaften operieren mit Schnellladesäulen, die die Verweildauer auf gut fünf Minuten drücken würden. Davon wiederum ist das Konsumangebot abhängig. Geht es mehr in Richtung eines gehobenen Sortiments, das den Kunden über dem Kauferlebnis vergessen lässt, dass er sich in einer Tankstelle befindet? Soll er zum Verweilen in einem Bistro oder einer Lounge eingeladen werden oder sich schnell mit Verzehrfertigem für unterwegs eindecken?
Die Überlegungen pendeln zwischen Phantasielosigkeit und Phantasterei. Die Verkehrs- und Energiewende führt zu Umbrüchen in der Tankstellenlandschaft, und genau dafür, für die Bewältigung ihres Niedergangs und die Wiedererweckung durch neue Nutzungen, sind die Tankstellen in ihrer räumlich-architektonischen Verfassung geeignet. Die Selbstheilungskräfte gehen aus der Offenheit ihrer Architektur hervor. Sie selbst sind die Ideengeber. Für neue Nutzungen, sei es in aufgelassenen Tankstellen oder neben dem laufenden Benzingeschäft, gibt es bereits eine Fülle von Beispielen von Wohnung bis Reisebüro, von Eisdiele bis Friseur, von Weinhaus bis Arztpraxis. Eine Salzburger Tankstelle wäscht Hunde. Der "dogwash" bietet acht Waschprogramme.
Gern wird übersehen, was sich im Windschatten mancher Tankstellen abspielt, die vorzugsweise an der Peripherie der Städte liegen. Die Beiläufigkeit und Flüchtigkeit der Begegnungen machen die Völkchen, die sich dort zusammenfinden, für das Tankpublikum unsichtbar. Dabei ist es die neue Art von Stammtisch. Mal ist es ein Fanclub von Dynamo Dresden, mal eine Tuning-Community und dann wieder die jugendliche Moped-Gang, die dort ihren Jour fixe improvisieren. Sie sind für sich.
Die Bildung von Szenen bringt einen spezifischen Habitus mit sich, unterliegt aber auch einer sozialen Spreizung. Tuning ist teuer, und wer abends auf dem Freiflächen-Gelände der Tankstelle vorfährt, dürfte tagsüber einer gesicherten Berufstätigkeit nachgehen. Die Mopedfahrer träumen vielleicht davon, eines Tages in die Harley-Davidson-Klasse aufzusteigen, doch für den Moment sind sie mit der Mini-Motor-Show zufrieden. Der Versammlungsort dient der Clique zum "Vorglühen". Auf geht es zur Party oder zum Club, aber wenn dort noch nichts abgeht, fährt man auch noch einmal zurück, und der Treffpunkt Tankstelle ist die eigentliche Party. Man fluktuiert. Auf dem Land ersetzt die Tanke vor der Kleinstadt zugleich den Späti.
Diese der Straße abgewandte Seite der Tankstelle ist "Fluchtpunkt und Ausgangspunkt für Fluchten". Die Sehnsucht ist aufgespannt zwischen "Weg hier" und "Schnell hin". Die Aussicht, mit dem eigenen frisierten Moped oder dem getunten Wagen jederzeit nach Hollywood sprinten zu können, ist zugleich die Abfuhr jener Sehnsucht. Die Tankstellentreffpunkte drücken das Bedürfnis nach Gemeinschaft aus, ohne allzu enge Bindungen einzugehen. Sie sind Dritte Orte aus Ankommen und Abfahren. Kommen und Gehen sind kein Entweder/Oder, sondern das fahrende Subjekt kann sich vom einen wie vom anderen lösen.
Ganz am Rande spricht Theodor W. Adorno von der Tankstellen-Familie. In den 50er Jahren bildete sich ein instrumentell-kalkulierendes Verhältnis insbesondere der Heranwachsenden zur Familie heraus. Die Familie wird in dem Maße zur nützlichen, wirtschaftlich berechneten Basis, wie Wärme und Nähe abnehmen. Daraus folgt: Wenn die Familie zur Tankstelle wird, dann wird die Tankstelle zur Familie. Auf diese Logik werden die Betriebswirte der Mineralölgesellschaften ihre Zukunftsberechnungen kaum stützen wollen. Aber statt gentrifizierte Szenen mit Sushi-Firlefanz in erlebnisträchtige Verkaufsoasen zu locken, sollte die künftige Tankstellenlandschaft von den stärkeren Impulsen her gedacht werden, die von den spontanen Szenen draußen vor der Tür ausgehen.