Schmiert die alte Tanke ab?

Skovshoved / Dänemark, 1936/37. Architekt: Arne Jacobsen. Heute mit Eisdiele. Bild: Public Domain

Tankstellen begleiteten die Motorisierung der Gesellschaft. Sie zeigen aber auch Alternativen auf. Das Potential steckt in ihrer Architektur

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"Es heißt nicht Benzin, sondern Esso", bläute die Mineralölgesellschaft 1951 ihren Tankwarten ein, die diesen Glaubenssatz priesterlich an die Kunden weiterzureichen hatten. Zu jener Zeit wurden auch dem Benzin alkoholische Additive beigegeben. Aral pries sie als eine neue Spielart der Spiritualität an: "Ein goldener Tropfen für alle, die öfter einen tanken." Das Unternehmen hatte schon in den 30er Jahren blaue Wunder versprochen. Eine fiktive männliche Werbefigur, die auf die Marke umgestiegen ist, jubiliert: "Wenn ich jetzt auf belebter Strecke einen Lastzug überhole, denke ich: 'Das hättest Du früher nicht wagen dürfen."1

Klingt lustig. Aber wer heute die Suggestivkraft quietschender Reifen und aufgewirbelten Staubs in mancher Autoreklame mit illegalen Autorennen und billigend in Kauf genommenen Toten in der Realität abgleicht, stellt fest, dass sich so viel nicht geändert hat. Das 20. Jahrhundert hat von Henry Ford an die Gesellschaft "durchmotorisiert". Die Futuristen feierten schon vor über 100 Jahren die Einheit von Mensch und Technik wie eine neue Religion. Wenn unsere Großeltern Gäste an der Tür verabschiedeten, fragten sie, besorgt um deren Nachhausekommen: Sind Sie motorisiert? Der Motor wächst dem bewegten Mann zu. Er wird inkorporiert, bis beide zu einem sich selbst erhaltenden Mensch-Maschine-System verschmolzen sind.

Schmiert die alte Tanke ab? (26 Bilder)

Autobahntankstelle Fürstenwalde, 1937, von Friedrich Tamm. Bild: Clemensfranz / CC-BY-SA-3.0

Die Dynamik der technischen Entwicklung gaukelt ständig neue Zukunftsbilder vor, aber die Mobilität dreht die Gesellschaft immer wieder auf denselben Punkt zurück, die Spaltung in Herrschaft und Knechtschaft. Das alte Lied2, aus dem "Die Drei von der Tankstelle" (im Film von1930) zu entkommen suchen.

Hallo, Du süße Frau,
fahr nicht allein,
lad mich doch ein,
ich weiß den Weg
ins Paradies genau.

So singen und tanzen die Drei, als das von weiblicher Hand gesteuerte Luxuscabriolet vorfährt, und ergänzen: "Klopfendes Herz und der Motor ein Schlag." Liegt es an der damals hohen Reparaturanfälligkeit - des Herzens oder des Motors? Die Drei ficht das alles nicht an. Sie sind bankrott. "Die Lage ist hoffnungslos, aber nicht ernst." Der Film berührt sich mit der bedrückenden sozialen Realität, um sie wieder wegzutanzen und zu singen. Den meisten Tankwarten der Weimarer Zeit gelang dies nicht. Sie standen unter der Knute der Konzerne. Häufig kamen sie aus finanziellen Nöten und landeten auch dort.

Die großen Unternehmen färbten ihr Benzin ein, Esso rot, Aral blau, um ein Alleinstellungsmerkmal zu haben. Volkstümlich wurden sie deshalb "Farbengesellschaften" genannt. Doch bevor das Benzin "blasenfrei" durch Glaszylinder lief, mussten die Zapfsäulen erst einmal erfunden werden. Der Amerikaner Sylvanus Bowser entwickelte ab den 1880er Jahren ein Handpumpenmodell mit unterirdischem Tank. Für Deutschland kann die Entwicklung der Tankstellen ausgehend von den ersten Aufstellungsorten der Zapfsäulen betrachtet werden.

Deren Abwesenheit erfuhr Bertha Benz schmerzlich, als sie 1888 in Begleitung ihrer beiden Söhne eine Spritztour, vielleicht die erste überhaupt, mit dem von ihrem Mann konstruierten Gefährt unternahm. Auf der Fahrt von Mannheim nach Pforzheim ging das Benzin aus, und sie hatte Glück, beim Apotheker Waschbenzin nachkaufen zu können. Die Zeit der Zapfsäulen brach in Deutschland erst nach dem Ersten Weltkrieg an. Die Automobilisten begnügten sich zunächst mit kleineren Radien als Bertha. Beliebt waren Landpartien. Apotheken und Drogerien in der Stadt und Landgasthäuser außerhalb waren denn auch die Orte, an denen die ersten Tanksäulen aufgestellt wurden. Es waren handbetriebene Bürgersteigpumpen.

In der Ahnenreihe der Gasthäuser wiederum stehen die alten Poststationen. Sie waren Waren-Umschlagplatz und Umsteigeort, waren Herberge, Gaststätte, Pferdestall und Schmiede-Werkstatt zugleich. Kurz, sie waren die ersten Mobilitätszentren und logistische Knotenpunkte. Können die Tankstellen von heute, die nun ähnlich wie die alten Poststationen von Obsoleszenz bedroht sind, diese Rolle wieder übernehmen und ins 21. Jahrhundert transponieren? Anzeichen wie Abholstationen gibt es.

Aus den Schmieden und Schlossereien entwickelten sich Automobil-Werkstätten, die innerstädtisch dann meist in Hinterhöfen untergebracht waren. Das ging, wie wir Heutige gut verstehen können, nicht immer verträglich ab. Aus einer Beschwerde von 1930: "Als besonders krasse festgestellte Fälle seien mitgeteilt, dass nachweislich Kraftwagen durch Wohnräume fahren, um auf den dahinterliegenden Hof zu gelangen, dass ein Motorrad regelmäßig mit zwei Seilen vom Hof auf den Balkon der ersten Etage gezogen wird und dass ein halbgefülltes Benzinfass in der Küche neben dem Ofen lagerte."

Zapfsäulen machten Fässer und Kanister entbehrlich. Embleme wie ein Indianerkopf sublimierten sie zu Markenzeichen. Sie waren auch höher als heute, da der Schlauch ein Gefälle benötigte. Ein besonders schlankes und schmuckes Exemplar, das bürgersteigtauglich war, wurde vom Volksmund "Eiserne Jungfrau" getauft. Sigmund Freud hätte hier Analysebedarf gesehen: Soll der Keuschheitsgürtel mit der Zapfpistole gesprengt werden?

Wenn ein Gegenstand nackt und bloß dasteht, ist der Architekt nicht weit, der ihm eine Hülle verpassen will. Das geschah in den Zwanziger Jahren. Sämtliche technischen Anlagen zum Betanken wurden ins Innere kleiner Tankhäuschen verlegt. Der Tank lag unter dem Fußboden. Der Füllstutzen kam meist aus der Wand. Diese steinernen fensterlosen Kioske sollten nicht nach Tankstelle aussehen. Ob rund oder vieleckig, auffällig waren an diesem Typus große Zacken am Gesims. Die Kioske trafen einen Stil der Zeit, und das war der expressionistische, der sich auch in erweiterten Ausführungen von Tankstellen aus Backstein niederschlug. Das bekannteste Beispiel dieses Backsteinexpressionismus ist das Hamburger "Chilehaus" von Fritz Höger.

An allen technischen Normierungsversuchen vorbei bestechen Tankstellen immer wieder als architektonische Unikate. Die unbegrenzten Möglichkeiten amerikanischer Architektur machten es vor. Andererseits folgen sie den Trends der europäischen Architekturgeschichte. Der Expressionismus wurde von kubischen Vertretern des Neuen Bauens abgelöst, bis der Heimatschutzstil der Nazis entlang der Reichsautobahnen die Rolle rückwärts in eine fiktive vorindustrielle Welt vollführte. Reizvoller als stilkundliche Zuordnungen ist jedoch das Studium der Abweichungen, der Verschränkung widersprüchlicher Stile. Wie sich zeigen wird, ging aus den Widersprüchen die Leichtigkeit der 50er Jahre hervor.

Die Moderne als Überlebenskunst

Als im Verlauf der Zwanziger Jahre die Tankstellen analog zum Autoverkehr expandierten, separierte sich der Kiosk von den Tankanlagen und wurde als Tankwarthäuschen - oder gar als Aufenthaltsraum für Kunden - in einen größeren Komplex integriert. Eine der ersten "Großtankstellen" Deutschlands wurde 1927 in Hamburg errichtet. Tankstellen dieser Art waren durch gesonderte Zu- und Abfahrten vom fließenden Verkehr abgerückt. Ein ausladendes Flachdach auf Stützen, an dem Reklame prangte, schützte die Tankinsel. Es kam vor, dass mehrere Benzinmarken an einer Tankstelle vertreten waren. Zu den Dienstleistungen gehörten Druckluft, Öl- und Reifenwechsel. Solche Rundum-Service-Stationen konnten erweitert werden um Anbauten zum Waschen und für Reparaturen. Die Vorläufer heutiger Tankstellen waren geboren.

Autobahntankanlage Bergstraße (1968). Bild: Bildarchiv Foto Marburg. Aufnahme 1969. Bild: Renate Gruber.

Aus dem Tankwart wurde ein Autowart. Er trug eine schicke Montur mit Schirmmütze. Die Mineralöl-Gesellschaft, in deren Namen er tätig war, legte Maß an ihn an. Seine Bewegungen wurden zwecks Rationalisierung genau vermessen. Der Taylorismus hielt in den Tankstellen Einzug und presste aus den Tankwarten die größte Arbeitsleistung heraus. In Michendorf wurde 1935 eine Tankwartschule eingerichtet.

Stets dienstbereit zu ihrem Wohl / ist immer der Minol-Pirol.

Die beliebte Werbefigur, Sinnbild des guten Tankwarts, führt bereits in die Nachkriegs-Geschichte. Minol war die Monopolmarke der DDR und wurde auch an der Tank- und Rastanlage Michendorf verkauft. Es war für West-Berliner die erste stark frequentierte Station an der Transit-Autobahn. Die Tankwarte dort dirigierten streng die Reihenfolge. Die Zapfpistole hielten sie wie eine Kalaschnikow vor sich. Wehe, jemand tanzte aus der Reihe. Warum auch? Die DDR kassierte Devisen, und die Westler zahlten für den Liter weit weniger als zu Hause. Eine Win-win-Situation.

Michendorf ist im Nazi-konformen Heimatschutzstil errichtet worden, dem Blendwerk einer ländlichen oder klassizistischen nationalen Tradition speziell zur Verschönerung der Autobahn-Landschaft. Das Paradox ist, dass vor der Inthronisation dieses Stils sich eine ganz andere Tankstellenbauweise entwickelt hatte, die gleichsam subversiv weiterbestand, als der Heimatschutz-Ukas der Nazis kam. Diese Tankstellen, die eine eigenwillige Ausdifferenzierung der Moderne darstellten, waren ab 1936 an den Reichsautobahnen entstanden. In Fortsetzung des Paradoxes waren unter den Baumeistern klangvolle Namen, die bei den Nazis eine hohe Reputation genossen wie Friedrich Tamms und Werner March. Auch Paul Bonatz mischte mit, der den Stuttgarter Hauptbahnhof entworfen hatte.

Die neuen Tankstellen übertrafen die Großtankstellen der ersten Generation. Die Grundrisse der Anlage waren der Lage an Autobahnauffahrten angepasst, zum Beispiel V-förmig. Ein großzügig verglaster Pavillon hatte nun Aufenthaltsqualität für die Reisenden. Klinker und schmale Fensterbänder sind nur einige der Merkmale, die in mehreren Typ-Varianten vorlagen. Hervorstechend ist das weit ausladende, filigrane Flachdach, das "fast fliegend" erscheint, sofern zweiflügelig. Es ist bei den markantesten Ausprägungen gerundet und wird von schlanken Säulen getragen. Beim "Typ Hannover" sind Dach und Kassenhäuschen trapezförmig. Fürstenwalde, noch als Baudenkmal erhalten, verfügt über eine Pilzdeckenkonstruktion. 1937 kam das Verdikt der Nazis: Flachdächer sind undeutsch, sind palästinensisch-jüdisch, sind amerikanisch

Der Heimatstil verlangte Satteldächer, gerne abgewalmt, eine werkgerechte Durchbildung und einwandfreie Einfügung in die Umgebung sowie regionaltypische Baustoffe. Kurz, eine "anständige Baugesinnung". Aber unterhalb des Radars wirkte die Moderne weiter. Noch 1942 wurden drei Tankstellen in dieser Ausrichtung gebaut.

Ob die eleganten Schwünge der prototypischen Exemplare unter "Art déco" firmieren können, sei dahingestellt. Sie sind andererseits nur bedingt unter das "Neue Bauen" mit seinen aus geraden Linien gebildeten Kuben zu subsumieren. Die Kant-Garagen in Berlin (1929/20) stehen für solchen glasklaren Reduktionismus Aber gerade mit ihrer lichtdurchfluteten Leichtigkeit aus Rundungen, schwebenden Dächern und Glas schlagen diese Autobahntankstellen der 30er Jahre die Brücke zum Tankstellenbau der Nachkriegsmoderne. Die klassische Moderne konnte im Industrie- und Infrastrukturbau der Nazi-Zeit überleben.

Die Moderne nahm aber auch einen Umweg, um die nationalsozialistische Diktatur zu unterlaufen. Vertreten durch Institutionen wie das Bauhaus, emigrierte die Moderne Europas in die Neue Welt und kam nach dem Krieg als Re-Import, aber mutiert zurück. Den Boden hatten die amerikanischen Architekturspezialisten Philip Johnson und Henry-Russel Hitchcock bereitet, die 1932 über 80 europäische Architekturbeispiele zusammenstellten, in die sie den von ihnen proklamierten International Style hineinlasen. Darunter befand sich eine reizvolle Kasseler Tankstelle mit einem gläsernen Wärterhaus aus dünnsten Stahlprofilen.

Die Emigration über den Großen Teich veränderte jedoch die europäischen Vorbilder durch Abstraktion von regionalen Bezügen und die Aufstellung formaler und ästhetischer Prinzipien. Der International Style war wie ein Destillat der Moderne. So wurde der spezifische europäische Funktionalismus umgedeutet für internationalen Gebrauch. Das begünstigte auch den Hochhausbau mit "Curtain Walls", den bereits Mies van der Rohe in Entwürfen für Berlin (1921) vorweggenommen hatte. Amerikanische Tankstellenbauer nutzten die Vorlagen und Quintessenzen von Hitchcock und Johnson eher für einen mitunter gewagten "Freistil", und diese Freiheit färbte auf deutsche Tankstellenbauten der 50er Jahre ab. Der International Style war ein transatlantischer.

Das Design amerikanischer Tankstellen der 30er und 40er Jahre könnte zur Pointe zugespitzt werden: Bauhaus goes Las Vegas. So weit gingen die deutschen Tankstellen der Nachkriegszeit nicht. Aber über die Wiederbelebung der Neuen Sachlichkeit hinaus wurden Leichtigkeit und Transparenz erzielt durch filigrane Bauteile und die Emanzipation von Symmetrien. Aus Ecken wurden Kurven, und die großzügige Verglasung führte einen Grundsatz der frühen Moderne fort: die Trennung von Stütze und Wand. Der gestalterische Spiel-Raum wurde größer.

Joachim Kleinmanns3 beschreibt ein kühnes Exemplar: "Die fast völlig aus Glas bestehenden Wände über elliptischem Grundriss divergieren nach oben hin zum weit ausladenden Schutzdach." Die Spannbetondächer geizten nicht mit Biegungen und Schwüngen, Flugdächer lösten sich komplett vom Korpus. Die Stützen waren schlank und minimiert. In Köln-Deutz erhob sich 1959 eine riesige parabolische Schale von rautenförmigem Grundriss über sechseckigem Häuschen in die Lüfte, die Assoziation eines Zeltdaches erweckend. "Fliegender Teppich" hieß es bei einem anderen Dach.

"Du hast keine Kunden, Du hast einen Fanclub."

Du hast keine Kunden, Du hast einen Fanclub.
Lars Mytting: Fyksens Tankstelle

Wenn Tankstellen mit Autohäusern gekoppelt waren, boten sich in den 50er Jahren rundum verglaste Rondelle als attraktive Lösung an. In Freiburg war der Pavillon zweigeschossig auf zwölfeckigem Grundriss. Das obere Geschoss, zu erreichen über eine frei stehende Wendeltreppe, diente einer damals beliebten Freizeitbeschäftigung: Der Verkehr in der sich entfaltenden autogerechten Stadt konnte aus dem optimalen Panoramablickwinkel genießerisch beobachtet werden. Die Architektur selbst ist mobil. Oben war ein Café mit Milchbar. Nach der Restaurierung tragen ein Restaurant und wieder ein Café zur Bestandssicherung bei.

Die 60er Jahre brachten einen Abschwung zu konventioneller Gestaltung, und in der Ölkrise von 1973 manifestierte sich ein wirtschaftlicher Abschwung. "Netzbereinigung" lautete der Deckbegriff für die Schließung von Tankstellen. Beim Service jedoch vollzog sich ein qualitativer Wandel. Aus dem Kassen- und Aufenthaltsraum wurde der Shop, und aus dem Nebengeschäft wurde die hauptsächliche Einnahmequelle. Die "Non-food-Angebote" machen nur noch ca. 40% aus. In den besseren Lagen mausern sich die Shops zu Supermärkten mit Frische- und Convenience-Produkten. Aber die Zusammenarbeit von Aral und REWE schwächelt. Esso versucht es mit "Burger King", und Shell greift auf "Kamps" zurück.

Ehem. Autohaus / Tankstelle (1950), Freiburg, Zähringer Straße. Bild: Andreas Schwarzkopf / CC-BY-SA-3.0

Der Haussegen zwischen den Konzernen und den Tankstellenbetreibern hängt schief. Provisionen sind das alte Streitthema. Aber mehr noch scheinen alle Beteiligten Zukunftsangst zu haben. Ende letzten Jahres plante der Tankstellen-Interessenverband (TIV) einen Kongress zu zukünftigen Perspektiven der Tankstellen als Mobilitätszentrum, doch die eingeladenen Mineralölgesellschaften sagten ab. Jeder versteht unter dem Mobilitätsansatz etwas anderes. Er ist dehnbar von Nah- zu Ferndistanzen, von "neuer Nachbarschaft" im engeren Umkreis bis zu autonomen Flugtaxis, die auf dem Dach der Großtankstelle landen. Das steht in einer Aral-Studie, die Tankstellen als Umsteigestationen zwischen verschiedenen Verkehrsmitteln - auch auf Sharing-Basis - sieht.

Es liest sich wie eine Luftnummer. Auf der anderen Seite werden recht kleinliche Projekte umgesetzt vor dem in der Tat ungewissen Ausblick, welche Energieträger sich umsatzträchtig durchsetzen werden. Die Tankstellenbetreiber scheinen Ladesäulen nicht zu trauen. Die Gesellschaften operieren mit Schnellladesäulen, die die Verweildauer auf gut fünf Minuten drücken würden. Davon wiederum ist das Konsumangebot abhängig. Geht es mehr in Richtung eines gehobenen Sortiments, das den Kunden über dem Kauferlebnis vergessen lässt, dass er sich in einer Tankstelle befindet? Soll er zum Verweilen in einem Bistro oder einer Lounge eingeladen werden oder sich schnell mit Verzehrfertigem für unterwegs eindecken?

Die Überlegungen pendeln zwischen Phantasielosigkeit und Phantasterei. Die Verkehrs- und Energiewende führt zu Umbrüchen in der Tankstellenlandschaft, und genau dafür, für die Bewältigung ihres Niedergangs und die Wiedererweckung durch neue Nutzungen, sind die Tankstellen in ihrer räumlich-architektonischen Verfassung geeignet. Die Selbstheilungskräfte gehen aus der Offenheit ihrer Architektur hervor. Sie selbst sind die Ideengeber. Für neue Nutzungen, sei es in aufgelassenen Tankstellen oder neben dem laufenden Benzingeschäft, gibt es bereits eine Fülle von Beispielen von Wohnung bis Reisebüro, von Eisdiele bis Friseur, von Weinhaus bis Arztpraxis. Eine Salzburger Tankstelle wäscht Hunde. Der "dogwash" bietet acht Waschprogramme.

Gern wird übersehen, was sich im Windschatten mancher Tankstellen abspielt, die vorzugsweise an der Peripherie der Städte liegen. Die Beiläufigkeit und Flüchtigkeit der Begegnungen machen die Völkchen, die sich dort zusammenfinden, für das Tankpublikum unsichtbar. Dabei ist es die neue Art von Stammtisch. Mal ist es ein Fanclub von Dynamo Dresden, mal eine Tuning-Community und dann wieder die jugendliche Moped-Gang, die dort ihren Jour fixe improvisieren. Sie sind für sich.

Die Bildung von Szenen bringt einen spezifischen Habitus mit sich, unterliegt aber auch einer sozialen Spreizung. Tuning ist teuer, und wer abends auf dem Freiflächen-Gelände der Tankstelle vorfährt, dürfte tagsüber einer gesicherten Berufstätigkeit nachgehen. Die Mopedfahrer träumen vielleicht davon, eines Tages in die Harley-Davidson-Klasse aufzusteigen, doch für den Moment sind sie mit der Mini-Motor-Show zufrieden. Der Versammlungsort dient der Clique zum "Vorglühen". Auf geht es zur Party oder zum Club, aber wenn dort noch nichts abgeht, fährt man auch noch einmal zurück, und der Treffpunkt Tankstelle ist die eigentliche Party. Man fluktuiert. Auf dem Land ersetzt die Tanke vor der Kleinstadt zugleich den Späti.

Diese der Straße abgewandte Seite der Tankstelle ist "Fluchtpunkt und Ausgangspunkt für Fluchten". Die Sehnsucht ist aufgespannt zwischen "Weg hier" und "Schnell hin". Die Aussicht, mit dem eigenen frisierten Moped oder dem getunten Wagen jederzeit nach Hollywood sprinten zu können, ist zugleich die Abfuhr jener Sehnsucht. Die Tankstellentreffpunkte drücken das Bedürfnis nach Gemeinschaft aus, ohne allzu enge Bindungen einzugehen. Sie sind Dritte Orte aus Ankommen und Abfahren. Kommen und Gehen sind kein Entweder/Oder, sondern das fahrende Subjekt kann sich vom einen wie vom anderen lösen.

Ganz am Rande spricht Theodor W. Adorno von der Tankstellen-Familie. In den 50er Jahren bildete sich ein instrumentell-kalkulierendes Verhältnis insbesondere der Heranwachsenden zur Familie heraus. Die Familie wird in dem Maße zur nützlichen, wirtschaftlich berechneten Basis, wie Wärme und Nähe abnehmen. Daraus folgt: Wenn die Familie zur Tankstelle wird, dann wird die Tankstelle zur Familie. Auf diese Logik werden die Betriebswirte der Mineralölgesellschaften ihre Zukunftsberechnungen kaum stützen wollen. Aber statt gentrifizierte Szenen mit Sushi-Firlefanz in erlebnisträchtige Verkaufsoasen zu locken, sollte die künftige Tankstellenlandschaft von den stärkeren Impulsen her gedacht werden, die von den spontanen Szenen draußen vor der Tür ausgehen.