Schmuckeremiten - die lebendigen Gartenzwerge
Seite 2: Schmuckeremiten sollten Weisheit und Nachdenklichkeit verkörpern
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- Schmuckeremiten sollten Weisheit und Nachdenklichkeit verkörpern
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Im April 1830 berichtete das "Blackwood’s Magazine" von einem Schmuckeremiten, der diese Tätigkeit 14 Jahre lang bei Sir Richard Hill von Hawkstone ausgeübt hatte und dabei "in einer Höhle saß, die sich auf der Anlage eines edlen Ritters befand. Er hatte, von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang, eine Sanduhr in der Hand und einen Bart angeklebt, der zuvor einer alten Ziege gehörte hatte. Dabei hatte er die Order, keine Almosen von Besuchern anzunehmen und sich wie Giordano Bruno zu verhalten."
Die Schmuckeremiten sollten buchstäblich Weisheit und Nachdenklichkeit verkörpern, und sei es, dass sie den italienischen Philosophen Bruno imitieren mussten. Ein zeitgenössischer Besucher schildert die Szenerie in Sir Richard Hills Park folgendermaßen: "Man zieht an der Türglocke und bittet um Einlass. Der Eremit befindet sich für gewöhnlich in einer sitzenden Haltung, mit einem Tisch vor ihm, auf dem sich ein Totenschädel - Symbol für die Sterblichkeit -, eine Sanduhr, ein Buch und eine Brille befindet."
Die Brille stand natürlich für Gelehrsamkeit und fast immer anzutreffende die Sanduhr für die Vergänglichkeit (das "memento mori" stand gelegentlich auch als Spruch über der Eremitage). Sir Richard Colt Hoare besuchte den Eremiten am 28. Juli 1801, doch der Gutbetuchte war nicht so amüsiert: "Das Gesicht ist kreatürlich genug, aber die Figur wirkt steif und unförmig. Der Effekt wäre deutlich besser, wenn die Tür am Rand des Fußwegs platziert wäre und nicht frontal."
Kam Besuch, mussten die Schmuckeremiten selbstgedichtete Verse vortragen oder den Gästen Wein servieren. Der Einsiedler von Sir Richard Hill musste jedes Mal, wenn Besuch kam, die folgenden Verse aufsagen, die in seiner Eremitage hingen:
Far from the busy scenes of life
Einsiedler von Sir Richard Hill
Far from the world, its cares and strife,
In solitude more pleased to dwell
The hermit bids you to his cell:
Warns you sin’s gilded baites to fly,
And calls you to prepare to die.
Einige Parkbesitzer, die keinen Eremiten haben wollten oder sich keinen leisten konnten, gingen damals auch dazu über, stattdessen eine hölzerne Puppe in die Eremitage zu setzen. Apropos Puppe: Gordon Campbell vermutet, dass die Schmuckeremiten inspiriert sind von den antiken Druiden - und aus beiden soll sich schließlich der Gartenzwerg entwickelt haben. Die hölzernen Puppen, die damals die Schmuckeremiten ersetzten, könnten also die Vorläufer des heutigen Gartenzwergs sein. Dafür spricht, dass sich viele der Eremiten einen langen Bart wachsen oder ankleben mussten und sich obendrein als Druiden verkleiden sollten - mit einer Art phrygischen Mütze, wie man sie von den Schlümpfen, von den Mainzelmännchen des ZDF oder eben von den Gartenzwergen kennt. Die historische Debatte über dessen wahre Ursprünge ist allerdings länger als jeder Gartenzwerg-Bart.
Aus dem restlichen Europa sind ebenfalls einige Fälle bekannt: In Italien und Frankreich soll es ein paar Gärten mit lebendigen Schmuckeremiten gegeben haben, wie auch im Hamburger Jenischpark, wo Caspar von Voght (1752-1839) eine "Ur-Hütte" aus Gehölz und Moos errichten ließ, die als Eremitage diente. Der tiefreligiöse Kunstmäzen Franz Anton Reichsgraf von Sporck (1662-1738) hat um 1705 fünf Gärten in der Gemeinde Kuks (im heutigen Tschechien) errichtet, in der echte Eremiten hausten. 1720 wurden die Eremiten jedoch durch Steinstatuen ersetzt.
Der Trend, sich einen Schmuckeremiten zu halten, fand in den 1760ern seinen Höhepunkt und ebbte dann spätestens in den 1850ern ab. Heute sind die Schmuckeremiten fast in Vergessenheit geraten und werden nur selten erwähnt. Eine Ausnahme ist da der Künstler Friedrich Liechtenstein: "Ich habe einen Job, der sehr gut verstanden wird. Ich bin Schmuckeremit. Das können Sie googeln. Ein Schmuckeremit bekommt Geld dafür, dass er in einer Eremitage wohnt."
Liechtenstein besitzt nach eigenen Angaben kaum Geld oder anderen Besitz und darf als professioneller Einsiedler kostenlos in einem luxuriösen Apartment im Berliner L40-Haus am Rosa-Luxemburg-Platz wohnen. Ermöglicht wird das ganze durch seinen Mäzen Roger Bundschuh, der Architekt des L40. Doch offenbar darf sich Liechtenstein sowohl die Haare als auch die Fingernägel schneiden. Von verlotterten Schmuckeremiten ist heutzutage nichts bekannt.
Patrick Spät lebt als freier Journalist und Buchautor in Berlin.