Schnee von gestern: Es gibt ihn nicht mehr?

Verschneites Straßenschild "Achtung Schleudergefahr"

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Wintereinbruch droht und damit möglich: Schneechaos. Wie alte Prognosen über den Winter in aktuellen Debatten aufgegriffen werden – Klima-Prognosen unter Verdacht.

Die Großwetterlage ändert sich. Deutschland steht ein Wintereinbruch bevor, melden Nachrichten. Eher die "nasskalte Geschichte", erklärt dazu der Mann vom Kachelmannwetter. "Mit Optionen auf Nassschneeereignisse im Flachland" (Minute 4:50) und mit einer "Schneelage für Mittelgebirgshöhen ab 600 Metern" und natürlich im Bergland.

Die Aussichten werden mit Vorsicht vorgetragen, sind doch die Druckverhältnisse in Bewegung. Außerdem gibt es mehrere Wettermodelle, die für die Prognosen herangezogen werden. Interessant? Nur für Autofahrer und Ausflügler und wunderlich rätselnde Leute vor Kleiderschränken?

Nicht nur. Es gibt auch das Skifahrervolk und es gibt die großen Geschichten über den Schnee, die bei solchen Ereignissen immer wieder abgeschnurrt werden. "Schneechaos und die Unfähigkeit, sich darauf einzustellen" ist die eine überschrieben.

Die andere ist politischer. Seit Corona und dem bis dato unvergleichlichen Aufkommen von Modellrechnungen in unserer Alltagsrealität stehen Prognosen unter Verdacht. Und solche zum Klimawandel besonders.

"Nie wieder Schnee"

"Nie wieder Schnee", lautete die Aussicht, die der Spiegel am ersten April 2000 (!) veröffentlichte. Unter dem apodiktischen Titel war zu lesen: "Winter mit starkem Frost und viel Schnee wie noch vor zwanzig Jahren wird es in unseren Breiten nicht mehr geben." Zitiert wurde der Meteorologe und Klimaforscher Mojib Latif vom Hamburger Max-Planck-Institut für Meteorologie.

Und zwar falsch, wie Latif zwölf Jahre später der Zeit gegenüber erklärte:

Meine Prognose bezog sich nicht auf das Jahr 2010, sondern auf die Zeitspanne zwischen 2050 und 2100 sowie auf den Fall, dass keine Maßnahmen zum Klimaschutz ergriffen werden.

Mojib Latif, Die Zeit

Er sei seither zu Hassfigur der Leugner der Erderwärmung geworden, schrieb die Zeit. Jedenfalls hat sich die Aussage "Nie wieder Schnee" ins Gedächtnis von Netzbewohnern eingebrannt.

Neu aufgewärmter alter Schnee

Der Schnee von gestern taucht im aktuellen X-Ex-Twitter-Debattenraum zum Thema #Schnee wieder auf: Am heutigen Vormittag stand die Aussage des Spiegel-Artikels, der vor knapp einem Vierteljahrhundert erschien, auf den vorderen Plätzen – im Framing von Stefan Homburg, der als evidenzbasierter Wissenschaftler am 22. Januar 2023, an dem es offenbar Schnee gab, auf eine Kluft zwischen Wirklichkeit und Modellrechnungen verwies, die zu dieser Zeit (Corona-Krise) für Stressnachschub in den Medien sorgten.

Ironisch-giftig kommentierte Homburg die alte knallige Aussage, die das Hamburger Magazin dem Klimaforscher Mojib Latif zugespitzt und irreführend in den Mund gelegt hatte:

Bitte ignorieren Sie den #Schnee, er ist nicht real. Mojib Latif, der Klima-Drosten, hat das schon vor 23 Jahren vorausgesagt.

Stefan Homburg

Lacher sind Homburg dafür wahrscheinlich noch heute sicher. Die großen Geschichten zum Klimawandel, der nur reine Hysterie sei, sind so beliebt wie das Bild von Frau Holle, die den Schnee aus den Daunendecken schüttelt, und seit es die Erdgeschichte gibt, immer wieder ihre Launen hat und Pausen einlegt.

Wer sich den Schnee von gestern wünscht

Nur, bei den Skilift-Betreibern sieht die Winterwelt nicht ganz so lustig und einfach aus.

Langzeitstudien, also empirisches Material, dokumentieren, dass in den Alpen und auch im übrigen Europa immer weniger Schnee liegen bleibt, wurde schon 2018 berichtet.

Dass im Flachland kaum Schnee fällt, war nicht immer so, wie eine europaweite Studie der Universität Wageningen zeigt. Die Forscher werteten Daten von mehr als tausend Wetterstationen zwischen Irland und West-Russland, Norwegen und Kroatien seit 1951 aus – und bestätigen dabei die gefühlte Wahrheit, dass der Winter früher besser war.

Selbst in tiefen Lagen wie in Heinsberg an der deutsch-holländischen Grenze gab es vor einem halben Jahrhundert Jahre einigermaßen viel Schnee, im Jahr 1969 fiel dort beispielsweise fast ein halber Meter. Solche schneereichen Jahre sind selten geworden.

SZ

Kunstschnee ist mittlerweile aus einstmals klassischen Ski-Gebieten nicht mehr wegzudenken. Immer mehr Skigebiete gehen pleite, berichteten kürzlich Reisereporter. Und auch die Webseite, die über Schneehöhen in Skigebieten Auskunft gibt, berichtet von Schließungen.

Namhafte Betriebe in einstmaligen Schneeparadiesen orientieren sich neu.