Schnell baut der Staat Drohkulissen auf

Seite 2: Was in Deutschland zu tun ist

Die Erfahrungen zeigen, dass erfreulich viele Karrieristen (wie Ellsberg) den Mut aufbringen, die Missetaten ihrer hochrangigen Chefs ans Tageslicht zu bringen. Margrit Herbst, die BSE-Whistleblowerin, gehört dazu.

Ellsberg ermunterte am Dienstag auf so typisch amerikanische Art: "You can make a difference", und bildete damit einen gigantischen Kontrast zur erlernten Hilfslosigkeit im Sinne eines hierzulande gängigen "Das bringt ja sowieso nichts".

Zum 17. Dezember 2021 ist Deutschland von der Europäischen Union aufgefordert, die Whistleblowerschutzrichtlinie in deutsches Recht umgewandelt zu haben. CDU/CSU als politische Dauerverwalter haben unlängst gegenüber ihrem noch-Koalitionspartner SPD signalisiert, dass sie die Frist verstreichen lassen wollen und lieber ein Vertragsverletzungsverfahren der EU in Kauf nehmen.

Georgia Georgiadou, stellvertretende Abteilungsleiterin der EU-Generaldirektion Justiz, sagte im März dieses Jahres, die EU erwarte diese Verstöße. Zumindest Mitte März hätten der EU-Kommission noch keine Anträge von Mitgliedsstaaten vorgelegen, die auf die Fristverstreichung abzielen.

Georgiadou sieht die Glaubwürdigkeit des "Systems" auf dem Spiel. Man plane "kulturelle Veränderungen" in Europa. Zur Veränderung "neuer gesellschaftlicher Haltungen und neuen Verhaltens" gehöre auch, dass Arbeitgeber in Zukunft stärker zur Verantwortung gezogen werden. Im "neuen Europa würde man Vertrauen erst verdienen" müssen.

Dabei lieben Regierungen Whistleblower - so lange Missetaten von Unternehmen aufgedeckt werden. Die USA sind sicherlich federführend in der Art und Weise, aufgrund zumeist anonymer Whistleblowerinformationen Unternehmen mit hohen Strafzahlungen zu belegen.

Sobald die verdächtigen Aktivitäten aber durch staatliche Stellen selber erfolgen, etwa wie im Falle Wirecard, ändert sich die Lage. Schnell baut der Staat Drohkulissen auf, die nicht selten erst in letzter Minute fallen gelassen werden. Ellsberg sagte am Dienstag, Politiker würden ungern Journalisten oder andere in der Öffentlichkeit Exponierte verurteilt sehen.

So wäre es bei Katherine Gun gewesen, bei der die Anklage erst eine halbe Stunde nach Prozesseröffnung fallen gelassen wurde. Die Mitarbeiter von netzpolitik.org können ein Lied von politischen Drohkulissen singen.

Zwei Welten treffen aufeinander, wo sich einerseits Regierungen immer mehr herausnehmen, auf der anderen Seite die (digitalen) Zeichen auf mehr Öffnung stehen. Am Beispiel des amerikanischen "Espionage Acts" schlug Ellsberg vor, eine Menge krimineller Aspekte aus dem Gesetz zu streichen.

Ellsberg nennt beim Namen, was auch in Deutschland zu tun ist. Angesichts einer behördlichen Mode, immer mehr Informationen als Verschlusssache zu deklarieren oder der Anstellung von Politikberatern, die CDU-geführten Ministerien empfehlen, die Presse zu disziplinieren, erscheint es als höchste Zeit, Whistleblowing zu normalisieren.