Schneller, intensiver Wahlkampf
Online-Campaigning könnte bei der Bundestagswahl 2005 eine neue Rolle spielen, die Grünen sind schon einmal vorgeprescht
Groß war die Überraschung über die Ankündigung des SPD-Parteivorsitzenden Franz Müntefering, baldmöglichst Neuwahlen durchzuführen. Keine der Parteien scheint damit gerechnet zu haben. Entsprechend steckt die Wahlkampfplanung bei allen Parteien noch in den Kinderschuhen. Das Internet könnte im kurzfristig angesetzten Wahlkampf vor dem 18. September 2005 eine entscheidende Rolle spielen. Die Grünen haben schon einen ersten Schritt gemacht und Teile ihres Programms zum Thema "Digitale Gesellschaft" auf einem Wiki bis Samstag, den 4. Mai, zur Diskussion gestellt.
Als die Bundestagswahl 1998 vorüber war, waren sich die Experten einig: Mit dem Internet konnte man zum damaligen Zeitpunkt noch nicht die Massen erreichen, es taugte ausschließlich für Experimente. Die politische Wahlkampfkommunikation fand in erster Linie massenmedial via Fernsehen und klassisch via Großflächenplakat statt. Auch nach der Wahl 2002, in der einige Parteien viel in die Onlinearbeit investierten, konnte keine Partei ernstlich von sich behaupten, die Wahl im Netz gewonnen oder verloren zu haben. Auch diesem Onlinewahlkampf wurde im Nachhinein oft experimenteller Charakter beigemessen.
Doch seit 2002 ist viel Zeit ins Land gegangen und mit Howard Deans eindrucksvollem Internetwahlkampf 2004 zeigte sich das mögliche Potenzial einer Onlinekampagne. Einige neue Elemente haben seit 2002 die Bühne betreten. So sind vor allem Blogs und Social Networks Teil der neuen Online-Wahlkampfführung geworden. Im NRW-Landtagswahlkampf bloggte beispielsweise die SPD, wenn auch eher verhalten und mit unbekannten Protagonisten. Hier schrieben mehrere Autoren für die NRW-SPD aus ihrer subjektiven Sicht über den Verlauf der Wahlkampagne und nutzten die Kommentarfunktion zur Diskussion mit potenziellen Wählern.
Auch die NRW-Grünen hatten mit dem Börjes Blog einen zaghaften Versuch in Richtung Blogosphäre unternommen. Dieses Blog ging jedoch weitgehend unter. Vielleicht ist es nicht interessant genug, wenn der persönliche Referent der Landesvorsitzenden alle zwei, drei Tage eine neue Meldung verfasst. In "Börjes Blog" war die Kommentarfunktion zudem abgeschaltet und es wurden kaum Links gesetzt.
Eine entscheidende Frage wird jedoch sein, wen die Parteien erreichen wollen. Die online erreichbaren Wähler sind immer noch meist männlich, jung und überdurchschnittlich gebildet. Während bei den Parteimitgliedschaften die Altersgruppe der Über-60-Jährigen fast die Hälfte ausmacht, ist sie online kaum nennenswert vertreten. Zielgruppe für einen Onlinewahlkampf ist daher ein kleiner Teil der Bevölkerung, der online zu finden ist: junge Akademiker, Studierende und Schüler. Ob sich diese von Flashspielchen oder doch eher Blogs begeistern lassen? Die alten offline erreichen - die Jungen im Netz? Ob das Engagement lohnt - oder ob es eher ein 'Preaching to the converted' darstellt? Viel Zeit für derlei Überlegungen bleibt den Parteien nicht. Eine von langer Hand geplante Kampagne wird kaum stattfinden, stattdessen wird es Rückgriffe auf Erprobtes geben.
Aus dem Test-Instrumentarium der 2002er-Bundestagswahl stehen mehrere Ideen auch 2005 zur Verfügung. So könnte die CDU ihre Plattform wahlfakten.de wiederbeleben. Wahlfakten war ein Rapid-Response-System, bei dem Äußerungen der Gegenseite möglichst direkt durch scheinbar objektive Prüfung widerlegt werden sollten. Es sollte vor allem Journalisten und andere politische Multiplikatoren ansprechen. Im SPD-Baukasten könnte die Kampagnenplattform nicht-regierungsfaehig.de zu neuen Ehren gelangen. Mit dieser Seite sollte dargestellt werden, dass CDU und FDP nicht reif für die Übernahme von Regierungsverantwortung seien - die Adresse würden zweifelsohne auch die derzeitigen Oppositionsparteien derzeit gerne nutzen. Wenig Chancen für eine Wiederbelebung hat hingegen der Wahlkreis 300 (Offene Plattform oder Plagiat?). Das Onlinespiel der CDU, in dem sich zu den 299 realen Wahlkreisen ein virtueller hinzugesellte, verursachte 2002 erheblichen Aufwand und zog vor allem den politischen Gegner, Satiremagazine und ihre Leser geradezu magisch an.
Spannend dürfte sein, ob die Parteien und ihre Kandidaten Lehren aus dem US-Präsidentschaftswahlkampf gezogen haben. So konnte John Kerry mit einer konzentrierten Anzeigenschaltung rund um das zweite TV-Duell mit US-Präsident Bush einen erheblichen Spendenbetrag einwerben. Die Demokraten schalteten direkt nach dem Duell auf allen relevanten Nachrichtenportalen Anzeigen. Wer sich über die Bewertung des Duells in den Onlinemedien informieren wollte, traf unweigerlich auf Anzeigen der Kerry-Kampagne. Mit (nach eigenen Angaben) Clickthrough-Raten von etwa 5 Prozent erzielten die geschalteten Anzeigen dabei für Onlinewerbung sehr gute Ergebnisse, die investierten 400.000 Dollar spielte der verstärkte Spendenfluss auf die Anzeigenschaltung zurückzuführender Spenden von insgesamt 4 Millionen US-Dollar locker wieder ein. Allerdings ist die Spendenkultur in der Bundesrepublik kaum mit der in den Vereinigten Staaten zu vergleichen.
Eine der Lehren aus Howard Deans Kampagne dürfte vor allem die Wichtigkeit der Mischung sein: Eine noch so einnehmende Webkampagne fruchtet nicht, wenn der Kandidat in den klassischen Mainstreammedien nicht punkten kann. Doch die Art der Kampagnenorganisierung durch kleine, schnelle Freiwilligenteams mit Rückbindung zur Wahlkampfleitung via E-Mail und Webforen dürfte auch in der Bundesrepublik Nachahmer finden.