Offene Plattform oder Plagiat?
CDU eröffnet Virtuellen Wahlkreis zum Ärger der anderen Parteien und mit erstaunlichen Parallelen Politik-Community Dol2day
Auf der CeBIT konnte die CDU-Vorsitzende Angela Merkel etwas Neues aus dem eigenen Haus demonstrieren: Mit dem virtuellen Wahlkreis 300 will die Partei Internetnutzer für die Politik begeistern. Doch die anderen Parteien sind davon nicht so begeistert. Ob es die Nutzer sind, muss sich noch herausstellen.
Cornelia Kraus ist blond, 31 Jahre alt, verheiratet, berufstätig und hat eine 11 Monate alte Tochter. Sie engagiert sich für amnesty international und ist überzeugte Christdemokratin. Außerdem kandidiert sie im Herbst 2002 für den Bundestag.
Zu schön, um wahr zu sein? Richtig. Frau Kraus ist nämlich nur eine virtuelle Kandidatin in einem virtuellen Wahlkreis und der gehört der CDU. Auch die anderen Bundestagsparteien haben ihren Kandidaten im Wahlkreis 300. Deren Vita stammt allerdings auch aus der Fantasie von CDU-Angestellten. Der FDP-Kandidat ist ehemaliger Bürgermeister und betreibt einen PC-Laden, der Grüne ist Lehrer, für die PDS geht eine 28jährige BWL-Studentin ins Rennen und der SPD-Mann ist verdienter JUSO.
Virtuelles Puppenspiel
Wer den Wahlkampf der Kandidaten verfolgen will, muss sich auf der Seite wahlkreis300.de einloggen. Noch ist die Plattform im Beta-Test. So gibt es noch keine eigenen Wahlprogramme für den Wahlkreis, die Beratergremien der Kandidaten stehen noch nicht.
Dies alles sollen die User übernehmen. Wer sich einloggt, kann einer Partei beitreten, an Diskussionen teilnehmen, Wahlplakate entwerfen und Reden halten. Dabei stehen die Parteiforen nur den jeweils eigenen Mitgliedern offen. Für die Useraktivitäten gibt es Virtuelle Euro(VE), die in Community Credits (CC) eingetauscht werden können. Je höher die Zustimmung für Diskussionsbeiträge und Reden, desto mehr Punkte gibt es. Wer auf der Highscore ganz oben steht, soll das Schicksal seiner Partei mitbestimmen können - als Berater des Kandidaten. Diese treten übrigens nicht persönlich in Erscheinung sondern richten sich ganz nach dem Willen ihrer Partei und des Beratergremiums - ein virtuelles Puppenspiel.
Das Konzept erinnert an die Politik-Community Dol2day , die schon seit 1999 Politik im Internet simuliert. Zwischen 7000 und 8000 aktive User beherbergt dol2day, über 20000 sind angemeldet. Fünf Aachener Studenten haben das Projekt gestartet, um mehr Menschen für die Politik zu gewinnen. "Sehr viele unserer User sind auch in der Realität politisch aktiv", erklärt Mitgründer Oliver Specht. Über die CDU-Seite sei man erstaunt gewesen, sie sei dol2day doch ziemlich ähnlich.
Erstaunliche Parallelen
Auch hier gibt es Virtuelle Euro und Community Credits - nur heißen sie DOL-Points und Bimbes. Auch hier gewinnt man mit der Punktzahl politischen Einfluss. Auch hier kann man diskutieren, Abstimmungen initiieren und Parteien beitreten. Wesentlicher Unterschied: Hier sind keine realen Parteien vertreten. Und das Leben in Dol2Day geht auch nach der Wahl weiter. Alle vier Monate wird ein neuer Kanzler gewählt. Der Wahlkreis300 dagegen wird nach den Plänen der CDU nach der Bundestagswahl geschlossen - zumindest wollen die Christdemokraten dann nicht mehr als Betreiber fungieren.
Viele Dol2day-Mitglieder tummeln sich auf der CDU-Plattform. Meist sehen sie in dem Wahlkreis300 nur eine billige Kopie, die die CDU für sich ausschlachtet. Den Vorwurf will Initiator Stefan Scholz nicht gelten lassen: "Wir bilden den realen Wahlkampf ab." Dass es da zu Überschneidungen mit Dol2day komme, sei selbstverständlich, da die Community ein ähnliches Ziel verfolge. Ganz unbeeinflusst wird er jedoch nicht gewesen sein: Scholz selbst besitzt seit fast zwei Jahren einen Account bei Dol2Day.
Stören oder mitmachen?
Zur Zeit laufen unter den ersten Teilnehmern Diskussionen, ob man den Ablauf stören soll, oder die Seite links liegen lassen soll. Trotzdem haben sich schon über 500 User angemeldet - die CDU ist bei weitem die stärkste Partei. Allerdings dürfte es von U-Booten nur so wimmeln. Die PDS ist aber schon die zweitstärkste Partei, und Bluewings von der PDS führt im Augenblick die Rangliste mit den virtuellen Euro an - vor Deadelas (CDU) und sol1(Bündnis90/Die Grünen).
Zu einer Anmeldung wird nur ein Email-Account benötigt - und wenn man höher aufsteigen will, auch noch etwas mehr: "Grundsätzlich reicht zur Teilnahme am Wahlkampf im Wahlkreis 300 die Angabe einer gültigen E-Mail-Adresse aus, an die das Login-Passwort gesendet wird. Da die Einfluss- und Gestaltungsmöglichkeiten aber mit höheren Rankingstufen immer weiter steigen, ist das Erreichen dieser Stufen an die Angabe weiterer Daten (Telefonnummer und Adressdaten) gebunden."
Dass virtuelle Politikspielchen relativ leicht zu unterlaufen sind, hat auch dol2day erfahren müssen, als die rechte Szene die Plattform entdeckte und dort die Partei FUN "freiheitlich - unabhängig - national" gründete (siehe Neonazis im Internet und No Fun)
Insofern haben auch die Parteien Bedenken, was sich da unter ihren Namen auf der CDU-Seite abspielt. Die SPD drohte gar mit rechtlichen Schritten, auch die FDP und PDS wollen nicht auf diese Weise präsentiert werden. Die Grünen haben sich noch keine abschließende Meinung gebildet.
Neutralität verpflichtet
Die Bedenken kann Scholz nicht nachvollziehen. Der Wahlkreis 300 sei eine offene Plattform, die natürlich auch den politischen Konkurrenten offen stehe. Notfalls könne man auf die Logos der anderen Parteien verzichten, dann ginge aber der Realitätsbezug verloren. Die CDU verhalte sich in der Moderatorenrolle neutral. Auch kritische Anmerkungen, die im CDU-Forum sofort gelöscht würden, seien auf der neuen Seite erlaubt.
Die versprochene Neutralität muss die CDU noch unter Beweis stellen. Und sie wird dazu Gelegenheit haben, denn die Zeichen stehen auf Sturm. Dass die CDU den selbst erschaffenen Wahlkreis verlieren könnte, ist dabei das geringste Problem.