Schnellere Booster und Streit um VIP-Intensivstationen
Für Prominente sind in Griechenland schnell Intensivbetten frei, während Normalsterbliche warten müssen – und militante Impfgegner nehmen auch mal einen Schuldirektor fest
Die griechische Politik dreht sich mittlerweile fast ausschließlich um die Covid-19-Pandemie. So auch ein aktueller parlamentarischer Untersuchungsausschuss, in dem es darum geht, ob die Regierung staatliche Gelder, die als Corona-Hilfen gekennzeichnet waren, zur Beeinflussung der Presse missbrauchte. Zu befürchten hat die Regierung nichts: Sie kontrolliert den Ausschuss mit ihrer Mehrheit und kann ihr unbequeme Zeugen von der Befragung ausschließen.
Booster bereits nach drei Monaten
Hinsichtlich der Pandemie hat sie weniger Spielraum. Hier sind die Resultate politischer Fehler sichtbar. Sie manifestieren sich in einer der höchsten Todesraten der westlichen Welt. Auch deshalb preschte Premier Kyriakos Mitsotakis vor, und setzte bereits vor einer Woche die Frist für die Booster-Impfungen auf drei Monate herab. Zu diesem Zeitpunkt wurde dafür keine wissenschaftliche Grundlage präsentiert. Die Regierung hofft aber, so auch gegen die neue Virusvariante Omikron bestehen zu können.
Hier erwies sich Mitsotakis als Pionier, denn der Biontech-Gründer Uğur Şahin empfiehlt angesichts der Omikron Mutation auch Booster bereits nach drei statt nach sechs Monaten.
Hinsichtlich der Gültigkeit von Impfzertifikaten, die nun von der EU auf neun Monate nach Abschluss der vollständigen Impfung begrenzt wird, gibt es in Griechenland eine Differenzierung. Für Menschen, die älter als 60 Jahre sind gelten die Zertifikate nur noch für sieben Monate, der Genesenen-Status ist nur noch drei Monate gültig. Für die Generation 60 plus gilt ebenso wie für bestimmte Berufsgruppen eine Impfpflicht.
Nach deren Einführung können sich die Impfzentren vor Andrang kaum retten, berichten die griechischen Medien. Dagegen blieb der Effekt des faktischen Lockdowns für Ungeimpfte Mitte November eher überschaubar.
Striktes Vorgehen gegen Leugner
Die griechische Justiz geht derweil rigoros gegen Corona-Leugner vor. Einem von ihnen wurde nachgewiesen, dass er vier an Covid verstorbenen Frauen dubiose Ratschläge gegeben und damit die Intensivbehandlung verhindert hatte. Er muss sich wegen Mordes verantworten.
Unterdessen hat sich Griechenland eine nationalistische Gruppe selbsternannter "Verteidiger der Verfassung" gegründet. Sie besteht aus Leugnern der Pandemie, tritt in paramilitärischer Kleidung auf und beruft sich auf den Schlussparagraphen der griechischen Verfassung. Dieser fordert alle Bürger zu Widerstand auf, wenn die Verfassung mit Gewalt aufgelöst wird. Die "Verteidiger" schritten am Freitag in Katerini zur Tat: Sie stürmten eine Schule, nahmen den dortigen Direktor fest und warfen ihm die Durchsetzung der Pandemie-Bestimmungen vor.
Den in Handschellen gelegten Direktor brachten sie zur Polizeiwache, wo sie ihn "übergeben" wollten. Das Ganze endete mit der Verhaftung der "Verteidiger" und einer Anklage gegen sie.
Weil auch orthodoxe Priester im griechischen Fernsehen wiederholt Verschwörungstheorien zur Corona-Krise verbreitet haben, hat Erzbischof Ieronymos nun die Notbremse gezogen. Künftig darf nur der der Pressesprecher der Ständigen Heiligen Synode zu Fragen der Pandemie Stellung beziehen. Die Priester erhalten Fernsehverbot. Einige Bistümer gehen noch weiter: Der Metropolit von Dimitriada und Almyros, Ignatios, verbietet sämtlichen Geistlichen seines Bistums, mit Gläubigen über die Pandemie zu diskutieren. Das Verbot betrifft die Predigt, die Beichte und auch private Gespräche.
Kleriker-Gerüchte über Impfstoffe
Im Bistum von Metropolit Kosmas von Ätolien und Akarnanien hatte dessen Stellvertreter Archimandrit Pavlos Danas noch am vergangenen Sonntag gepredigt, dass die Impfstoffe aus den Körpern getöteter Embryonen hergestellt werden. Bischof Kosmas selbst gehört zu den Leugnern der Pandemie. 76-Jährige war selbst erkrankt, was am 18. November bei einem PCR-Test festgestellt worden war. Er weigerte sich allerdings lange, sich in ein Krankenhaus in Behandlung zu begeben.
Erst Anfang Dezember, als sich sein Zustand dramatisch verschlechterte, ließ er zu, dass er mit dem Krankenwagen abgeholt und nach Athen gebracht wurde. Sofort kam er auf der Intensivstation an eine "künstliche Lunge" (Extrakorporale Membranoxygenierung / ECMO).
Ein ähnliches Schicksal ereilte den Journalisten und Politiker Georgios Tragkas. Er hatte während der Pandemie eine Partei gegründet, welche die Gefährlichkeit des Virus leugnet. Am 30. November erkrankte auch er. Auch für ihn gab es sofort ein Bett in der Intensivstation, wo er nach knapp acht Tagen Aufenthalt ebenfalls ins künstliche Koma versetzt und an eine ECMO angeschlossen wurde. Eine solche Behandlung überlebt etwa jeder zweite Patient.
Demgegenüber stehen rund 130 Patienten, die außerhalb von Intensivstationen, in normalen Krankenzimmern oder gar auf Krankenhausfluren ins Koma versetzt und künstlich beatmet werden. Krankenhausärzte klagen, dass die Todesrate bei diesen Patienten mehr als 95 Prozent beträgt. Ein Umstand, der von Premier Kyriakos Mitsotakis im Parlament dementiert wurde.
Mitsotakis erklärte, es gebe keine Studien, welche beweisen würden, dass ins künstliche Koma versetzte Patienten außerhalb von Intensivstationen ein höheres Sterberisiko hätten. Zu den außerhalb von Intensivstationen ins Koma versetzten Patienten zählt auch die Schwester von Bischof Kosmas. Der Gesundheitszustand der 75-Jährigen, die im Krankenhaus von Agrinio liegt, ist so schlecht, dass sie nicht mehr transportfähig ist.
Hinweise auf VIP-Intensivstationen
In einigen Krankenhäusern ist der Sauerstoff knapp und es kommt zu Ausfällen. Zudem fehlt es an qualifiziertem Personal für die Intensivpflege. Fachfremde Ärzte sind gezwungen, in den Stationen Dienst zu tun. Die Gewerkschaft der Beschäftigten öffentlicher Krankenhäuser, POEDIN, protestiert regelmäßig gegen die Mangelwirtschaft des öffentlichen Gesundheitssystems.
"Heute befinden sich mehr als 130 intubierte Patienten außerhalb von Intensivstationen. Im AHEPA-Krankenhaus erleben wir eine moderne Tragödie. Heute Morgen gibt es dort dreizehn intubierte Coronavirus-Patienten außerhalb von Intensivstationen in Mehrbettzimmern, darunter ein 48-Jähriger", erklärte POEDIN am Nikolaustag.
Der Vorsitzende der POEDIN, Michalis Giannakos, prangerte im Fernsehsender Kontra an eine Ungleichbehandlung von Prominenten und Normalsterblichen an:
Das System muss allen Chancengleichheit bieten. Den Prominenten und den Unbekannten, den Geimpften und den Ungeimpften. Tut es das? Um als Mensch mit mehr als 70 Jahren einen Platz auf der Intensivstation zu finden, müssen Sie Metropoliten oder bekannte Politiker, Geschäftsleute oder was auch immer sein. Auf der Intensivstation sollten alle Patienten in einem schlechten Zustand - natürlich auch ohne Intubation - aufgenommen werden. Aber wenn Sie einen Krieg, wenig Intensivstationen und viele junge Leute außerhalb der Intensivstationen haben, dürfen sie die nicht diskriminieren. Denn Diskriminierung ist das, was im Sotiria-Krankenhaus passiert: Ein Politiker, zwar in einem ernsten Zustand, aber nicht intubiert, befindet sich auf der Intensivstation.
Michalis Giannakos, Vorsitzender der Gesundheitsgewerkschaft POEDIN
Am Mittwoch präzisierte Giannakos seine These im Sender SKAI TV. Er erklärte, dass von den 647 Intensivbetten, die für Coronavirus-Fälle im ganzen Land zur Verfügung stehen, 47 unbesetzt bleiben, während mindestens 114 Patienten außerhalb der Intensivstation in Krankenhäusern intubiert werden. Giannakos schloss daraus, dass die 47 Betten für Prominente frei gehalten werden:
Auf den Wartelisten gibt es nur Normalsterbliche, keine Bischöfe oder Prominente.
Juristische Konsequenzen durch neuen Fake-News-Paragraphen
Von "VIP-Intensivstationen" war in den Medien wegen der Intensivbetten für Prominente die Rede. Gesundheitsminister Thanos Plevris stuft die Äußerungen von Giannakos als Verleumdung ein und zeigte ihn wegen Verbreitung von Falschnachrichten an. Plevris weigert sich zudem, die Intensivstationen der privaten Krankenhäuser für die Bekämpfung der Corona-Pandemie zu requirieren. "Wir haben keinen Kommunismus, was requiriert wird, muss bezahlt werden", begründete er seine Entscheidung. Offensichtlich will die Regierung weder bezahlen noch wegen des pandemischen Notstands vorhandene Betten requirieren.
Angesichts der juristischen Konsequenzen zog Giannakos seine ursprünglichen Formulierungen zurück. Statt von VIP-Intensivstationen sprach er am Donnerstag nur von vierzig Intensivbetten, die im System als frei markiert wären, während intubierte Menschen außerhalb von Intensivstationen nach bis zu zwei Wochen auf Wartelisten versterben würden. Für Giannakos ist es unverständlich, dass die Regierung ihn anzeigt, sich aber nicht um die Mängel im Gesundheitssystem schert.
"Nach zwei Jahre tötet das Coronavirus täglich 100 Menschen. Leichenhallen in Krankenhäusern sind ein Chaos. Wir haben das Personal erschöpft, das überall Löcher im System durch endlose Stunden Arbeit stopfen muss. Wir haben 7.000 Suspendierungen (Ungeimpfte wegen der Impfpflicht) und 2.000 Pensionierungen", erklärte er und prangerte an, dass es keine Neueinstellungen gebe. Während es an anderen Stellen offenbar doch genug Geld gibt: So möchte Mitsotakis der Heiligen Synode die Einstellung von 4000 neuen Priestern im Staatsdienst zum Geschenk machen.
Rechnet sich die Regierung die Zahlen schön?
Der Generalsekretär der POEDIN, Panagiotis Papanikolaou, erklärte hingegen, dass Mitsotakis‘ Behauptungen über die Sterblichkeit von Intubierten außerhalb der Intensivstationen Fake News seien. Zudem seien die Äußerungen von Plevris Fake News. Dazu analysierte Papanikolaou eine Äußerung von Plevris zur Zahl der Intensivbetten im Land. Plevris hatte am 27. November erklärt, seine Regierung habe die Zahl der staatlichen Intensivbetten von 557, auf die sie unter der Syriza-Regierung (wegen des EU-Spardiktats) gesunken war, auf 1300 (für Covid und "Non Covid"-Patienten) erhöht, die nun unter der Verwaltung des staatlichen Gesundheitsdienstes stünden. Darin seien 250 von den Privatkliniken requirierte Betten enthalten.
Papanikolaou nimmt als Grundlage seiner Analyse die offizielle Statistik, die von einer 98-prozentigen Auslastung der Covid-Betten spricht, während 569 Betten belegt waren. Zudem führt er an, dass die Privatkliniken weniger als 100 und nicht 250 Betten dem öffentlichen Gesundheitssystem zur Verfügung gestellt hätten. Während der Minister an anderer Stelle von 1650 Intensivbetten im öffentlichen Gesundheitssystem gesprochen hat, kommt Papanikolaou mit seiner Analyse nur auf maximal 1100.
Papanikolaou verwies auch auf eine Erklärung des Gesundheitsministers auf Alpha TV, in der dieser behauptet hatte, dass einige Menschen, die auf ein Intensivbett warten, nicht in ein Krankenhaus weit von ihrer Wohngegend eingeliefert werden könnten, weil sie hämodynamisch instabil seien und ihr Transport von Ärzten als gefährlich eingestuft worden sei: "War der greise Metropolit von Ätolien nicht instabil?"
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