Schöne neue Arbeitswelt
Wie glücklich macht eigentlich Arbeit in einer Gesellschaft, deren Betriebssystem auf Konkurrenz, Siege und Niederlagen setzt?
Gott brachte die schweißtreibende Arbeit als Strafe über den Menschen. "Sie ist die wesentliche Voraussetzung für die Selbstverwirklichung der Menschen und für ihre Teilhabe am gesellschaftlichen Leben", erläutert uns dagegen der DGB im Grundsatzprogramm Zukunft der Arbeit. Sollte die Bibel doch Recht haben? Solche paradoxen Befindlichkeiten gegenüber der Arbeit, die dem Geschichtsontologen Karl Marx als "ewige Naturnotwendigkeit" erschien, prägen einen diffusen Begriff jenseits einer eindeutigen positiven oder negativen Besetzung. Arbeit macht das Leben sauer und bietet andererseits hohe Zufriedenheitsgarantien und sei es nur die einer höheren gesellschaftlichen Achtung gegenüber Menschen ohne Arbeit.
Der Begriff ist also politikverdächtig, weil er ohne zusätzliche Kategorien definitorisch diffus genug ist, um damit scharfe Unterscheidungen zu präsentieren, die den jeweiligen Gegner fundamental diskreditieren: Ein marxistischer Arbeitsbegriff hat mit einem neoliberalen oder marktorientierten Konzept von Arbeit so viel gemein wie die zugrundeliegenden Menschenbilder. Jenseits der immergrünen Hoffnung auf eine nicht verdinglichte Arbeit, geht es in einer Forsa-Studie im Auftrag des Fürstenberg-Instituts diesmal weniger um Theorie als um unfröhliche Faktizitäten der gegenwärtigen Arbeitswelt.
Untersucht wurde, welche Umstände Arbeitnehmer an der Entfaltung ihrer optimalen Leistungsfähigkeit hindern. 63 Prozent der Arbeitnehmer, die in der Studie befragt wurden, erklären, dass ihre Leistungsfähigkeit am Arbeitsplatz reduziert sei. Mangelnde Anerkennung (27 Prozent), Angst vor Verlust des Arbeitsplatzes (17 Prozent) und fehlende Leistungsmöglichkeiten (22 Prozent) werden als Ursachen genannt. Stress ist ein weiterer Faktor, wobei 41 Prozent der Befragten Leistungsdefizite auch auf Probleme an der privaten Front zurückzuführen.
Die Sorge für die Familie sei eine große Belastung, was jedenfalls nicht ohne weiteres mit einer weiteren Erkenntnis der Studie korreliert, dass jüngere Mitarbeiter mehr klagen als ältere. Summa summarum: "262 Mrd. Euro Kosten, umgerechnet 11,5 Prozent des preisbereinigten Bruttoinlandsprodukts von 2008." Die Rechenkunst ist stupende: Denn ob Menschen je optimale Leistungen erbringen können, von gedopten Sportlern und stressresistenten Politikern einmal abgesehen, muss bezweifelt werden. Der Mensch ist auch vor Erfindung der gegenwärtigen Multitasking-Gesellschaft, die Alpha-Journalisten wie Frank Schirrmacher an der digitalen Überlastung verzweifeln lässt, ein Tier mit vielen, allerdings bedingt zuverlässigen Funktionen.
Insofern können uns solche Studien über die "conditio humana" nicht viel Neues erzählen. Klären Sie uns überhaupt auf? Der frühe Arbeitssoziologe Karl Bücher klagte in seiner ethnologischen Studie "Arbeit und Rhythmus" bereits 1904, dass die moderne Arbeit nicht mehr wie bei Naturvölkern "Musik und Poesie zugleich" sein könne. Die Anforderungen der technisch avancierten Massenproduktion würden die Arbeit seelenlos machen, weil der menschliche Rhythmus technischen Bedingungen geopfert würde. Ob ihm Plantagensklaven, Musik hin oder Blues her, zugestimmt hätten, muss nicht mehr untersucht worden.
Doch auch bei menschenfreundlicheren Modellen, von Robert Owens genossenschaftlich projektierter Arbeitskolonie "New Harmony" von 1825 über Henry Fords ca. 100 Jahre später ersonnenem Fordlândia bis hin zur Human-Relations-Bewegung wollte die "Schöne Neue Arbeitswelt" nur in der idealtypischen Konzeption entstehen. Moderne Arbeitsformen sind Lichtjahre von solchen früh- bis spätsozialistischen Glückseligkeitsformen der Arbeit entfernt. Die Zumutungen, immer neues Wissen in immer kürzeren Zeiten zu erfolgreichen Arbeitsroutinen werden zu lassen, sind ebenso zahlreich wie jene, in Betrieben zu arbeiten, die als krank machende Treibhäuser einer beschädigten Streit- und Hasskultur gelten dürfen, ohne dass der Lohn auch die zwingend notwendige Zusatzfunktion eines Schmerzensgeldes übernimmt.
Trübe Verhältnissse von Profit und Moral, Job und Arbeitsfreude
Betrachtet man Betriebskulturen, werden zahlreiche Rezepte genannt, Produktivität im Verein mit erträglichen Arbeitsbedingungen zu sichern. Glückliche Arbeiter und mindestens ebenso glückliche Unternehmer sind allemal Bilder einer abstrakten Utopie, wie es der just restaurierte Film "Metropolis" in eine krude, leider nur cineastisch erfolgreiche Formel packte: "Mittler zwischen Hirn und Hand soll das Herz sein." Das löste schon damals scharfe Kritik aus, weil man kein Hardcore-Klassenkämpfer sein muss, um die gesammelte Ignoranz gegenüber allen Interessengegensätzen der Beteiligten wahrzunehmen.
"Herz" oder Herzersatzstoffe werden in Unternehmen schon seit vielen Jahren verabreicht, um die Arbeitsplätze zumindest in ihrer Papierform erträglicher zu gestalten. Schwerbehinderten- und Mobbing-Beauftragte, Eingliederungsmanagement, Mitarbeiterkonferenzen ohne Ende, Compliance-guides und verwandte Rezepturen werden aufgeboten, um den Eindruck zu kaschieren, hier ginge es um mehr als öde Maloche. Liest man hochtönende Kodizes der Unternehmen, wenn sie sich im eiligen Vorgriff auf deren Umsetzung beste Noten erteilen, weiß man, dass "Mobbing" ein Alien aus einer fernen Galaxis ist.
In Abwandlung von Jean-Paul Sartres sozialem Pessimismus gilt auf den wölfischen Spuren von Thomas Hobbes: Mobbing, das sind immer die anderen. Oder so: Alle reden vom Mobbing, wir nicht! Es ist grotesk, dass sich alle Welt über die Mobbing- und Burnout-Unterwelten der Unternehmen erregt, die juristischen Konsequenzen aber regelmäßig ausbleiben. Das typische Unternehmen wählt die Spiegelglas-Beton-Idylle der Fassaden auch für die Beschwörung der "corporate identity", die das Unternehmen wider jeden arbeitssoziologischen Befund als "humanoide" Persönlichkeit darstellt. Typisch sind solche unternehmerischen Magien, wie sie tausendfach gebraucht werden: "Wir als X-Gruppe wollen in unserem Kerngeschäft…weltweit Leader sein. Zu einem weltweit führenden Unternehmen zu werden, heißt für uns nicht nur in jedem Land, in dem wir tätig sind, für unsere technische, wirtschaftliche und finanzielle Leistung auf dem Siegerpodest zu stehen, sondern auch durch vorbildliche Geschäftspraktiken und berufsethisches Verhalten Maßstäbe zu setzen." Das funktioniert freilich nicht, weil sich Erfolg und Ethos zwar nicht wie Feuer und Wasser ausschließen. Doch wirtschaftlicher Megaerfolg heißt regelmäßig, dass zahlreiche Sprinttechniken im globalen Haifisch-Becken nicht durch zuviel ethischen "Ballast" und persönliche Probleme der Mitarbeiter behindert werden dürfen.
Dieses weiterhin trübe Verhältnis von Profit und Moral, Job und Arbeitsfreude lässt sich auch so charakterisieren:
Die heutige kapitalistische Wirtschaftsordnung ist ein ungeheurer Kosmos, in den der einzelne hineingeboren wird und der für ihn, wenigstens als einzelnen, als faktisch unabänderliches Gehäuse, in dem er zu leben hat, gegeben ist. Er zwingt dem einzelnen, soweit er in den Zusammenhang des Marktes verflochten ist, die Normen seines wirtschaftlichen Handelns auf. Der Fabrikant, welcher diesen Normen dauernd entgegenhandelt, wird ökonomisch ebenso unfehlbar eliminiert, wie der Arbeiter, der sich ihnen nicht anpassen kann oder will, als Arbeitsloser auf die Straße gesetzt wird. Der heutige, zur Herrschaft im Wirtschaftsleben gelangte Kapitalismus also erzieht und schafft sich im Wege der ökonomischen A u s l e s e die Wirtschaftssubjekte - Unternehmer und Arbeiter - deren er bedarf.
Das sagte nicht Karl Marx, sondern Max Weber in seiner Analyse "Die protestantische Ethik und der Geist des Kapitalismus"
Cum grano salis gilt dieser Determinismus der Rollenverteilung nach wie vor. Guido Westerwelles Ausführungen zum für alle geeigneten Ressentiment-Thema "Arbeit muss sich wieder lohnen" sind demgegenüber deshalb so verkürzend, weil komplexe Gesellschaften nicht ansatzweise funktionieren würden, wenn alleine karriere- und profitorientierte Unternehmermentalitäten prämiert werden, die das soziale Netz nicht brauchen, sondern angeblich mit Motivation und Spucke das Schicksal zum Teufel schicken.
Unerträglich ist nicht das geläufige Lob von Arbeitseifer, Motivation und Selbstverantwortung per se, sondern die flächendeckende Projektion auf eine Wirtschafts- und Arbeitsgesellschaft, die in ihrem Betriebssystem auf Konkurrenz, Siege und Niederlagen gerichtet ist. Westerwelles Welt ist eine Siegerwelt, in der Opfer Betriebsunfälle sind und jene, die behaupten, Opfer zu sein, prima facie auf ihren Simulantenstatus untersucht werden müssten.
Je glücklicher die Arbeit macht, desto weniger Lohn wird dafür gezahlt
Allerdings ist es nicht Westerwelles Privileg, die göttliche Strafe der Arbeit zum heroischen Akt zu stilisieren. "Es gibt kein Recht auf Faulheit in unserer Gesellschaft" erläuterte uns bereits 2001 der pragmatische Sozialdemokrat Gerhard Schröder (Vom Menschenrecht auf Faulheit), seinerzeit noch Bundeskanzler, heute fleißiger Lobbyist. Einige menschliche Charaktereigenschaften schlicht auf gesellschaftliche Strukturen hochzurechnen ist der übliche politisch naive Einseitigkeitsdiskurs, der nie akzeptiert, dass Arbeitslose, "Loser", Verbrecher und das auch im übrigen sehr heterogene Personal wuchernder Parallelgesellschaften systematisch und notwendig von Verhältnissen gemacht werden, um eben diese Gesellschaft zu reproduzieren.
Wer das gegen Max Webers frühe Einsicht anders und besser will, braucht radikalere Rezepte als die Tinkturen aus der wohlfeilen Abteilung "Arbeit muss sich wieder lohnen". Wäre es nicht mutiger, darauf hinzuweisen, dass die Gesellschaft darauf hinsteuert, dass sich Leistung eben immer weniger lohnt. Das sollte noch um den Hinweis ergänzt werden, dass sich auch Bildung nicht mehr auszahlen könnte – jedenfalls nicht im Rahmen dieses Klipp-Klapp-Mechanismus, den hier Politik als ranziges Remedium verkündet. Woran scheitern nach dieser parteiübergreifenden Ideologie eigentlich arbeitslose Akademiker?
Stehen wir nicht längst vor einem kompletten Umbau, besser: Umbruch des Wirtschaftssystems und der Arbeitswelt (Volle Panik auf der Titanic), der konkrete Lebensumstände, Arbeit und Geldkreisläufe entkoppeln muss, um zu erträglicheren Konditionen zu kommen? Vielleicht wäre dann das prekäre "Lohnabstandsgebot" umgekehrt zu interpretieren: Wer arbeitet, bekommt weniger als jene, die darauf verzichten, einen der verbliebenen Arbeitsplätze für sich zu reklamieren. Je glücklicher die Arbeit macht, desto weniger Lohn wird dafür gezahlt.
Diese vorscheinenden Konvertierungen der Gesellschaft mag kaum einer denken, zum wenigsten Politiker, weil diese Radikalität erstens beim Wähler nicht ankommt und zweitens nicht im Ansatz klar ist, welche Gesellschaft unter diesen Auspizien auf uns zukommt. Soweit die Verhältnisse diese Programme diktieren, ist indes auch ohne Kristallkugel davon auszugehen, dass die Zumutungen politischer Rhetorik immer offensichtlicher werden. Ein Trost bleibt: Auch für Politiker werden die Zeiten schwerer, wenn sie mit alten Kategorien in immer neuen Katastrophen schlingern und uns das aus alter Routine heraus als die Kunst des guten Steuermanns verkaufen müssen.