Schöne neue Arbeitswelt: Verantwortung ohne Macht
Seite 2: Was hat sich wie geändert?
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Von solchen Forderungen nach Eigenverantwortung blieb die Arbeiterin in Endicott verschont. Niemand erwartete von ihr eine Übernahme von Verantwortung für das Unternehmen und dessen Ziele, und der Begriff Eigenverantwortung existierte noch nicht im Sprachschatz des Managements. Die Fragen stellen sich von selbst: Warum ist es heute anders? Was hat sich wie geändert? Wodurch werden Beschäftigte dazu gebracht, sich für den Arbeitsfluss im kapitalistischen Unternehmen verantwortlich zu fühlen?
In arbeitssoziologischen Analysen wird die Zunahmen von Verantwortung als Zeichen einer "Subjektivierung" des Arbeitshandelns gedeutet. Verstanden wird darunter ein ambivalenter Prozess. Einerseits sei eine höhere Verantwortung Ausdruck gestiegener Ansprüche der Beschäftigten an ihre Arbeit, andererseits stehe der Begriff für das gesteigerte Interesse der Unternehmen am profitablen Einsatz ihrer Arbeitskräfte.
Verantwortung erscheint in diesem Zusammenhang als subjektive Eigenschaft, die von den Beschäftigten nicht nur eingefordert, sondern als Fähigkeit beziehungsweise Arbeitsvermögen von Management und Unternehmensleitungen auch systematisch genutzt wird.
In diesem Essay wird ein anderer Blick auf das verantwortliche Handeln der Beschäftigten geworfen. Die These, die hier erläutert wird, lautet, dass – lange bevor der Begriff der Subjektivierung aufkam – bereits Firmenvorstände und ihnen nahestehende Berater Überlegungen anstellten, wie eine Verantwortungsbereitschaft bei den Lohnabhängigen zu wecken sei und wie diese Bereitschaft zur Steigerung des Mehrwerts nutzbar gemacht werden könnte.
Folge konkreter Maßnahmen zur Leistungssteigerung
In engem Bezug dazu entstanden zur gleichen Zeit einige Machttechniken, die heute als Dezentralisierung und Responsibilisierung bezeichnet werden und auf eine Lösung des Verantwortungsproblems im Sinne von Management und Unternehmensleitungen hinarbeiteten. Sich für das eigene Team oder für den reibungslosen Ablauf des Arbeitsprozesses verantwortlich zu fühlen und zu zeigen, ist demnach nicht einfach so entstanden oder etwas, was sich Beschäftigte im Laufe der Zeit angeeignet haben.
Es ist vielmehr eine Folge konkreter Maßnahmen, die zum Ziel haben, Leistung und Motivation der Beschäftigten zu steigern. Die Politikwissenschaftlerin Wendy Brown versteht die genannten Techniken in diesem Sinne als "eine Herrschaftsform, in der die singuläre menschliche Fähigkeit zur Verantwortung entfaltet wird, um Subjekte zu konstituieren und zu regieren und durch die ihr Verhalten organisiert und gemessen wird, wodurch sie für eine neoliberale Ordnung umgestaltet und neu ausgerichtet werden." (Wendy Brown : "Die schleichende Revolution – Wie der Neoliberalismus die Demokratie zerstört", Suhrkamp-Verlag, 2018)
Im folgenden Teil 2 werden die in den Unternehmen geführte Diskussion um den Verantwortungsbegriff und die angesprochenen Techniken in ihrer Bedeutung für die Übertragung von Verantwortung auf die Beschäftigte skizziert. Dieser Diskurs und die Anfänge dieser Techniken lassen sich bis in 1950er-Jahre zurückverfolgen. Gegenwärtig findet Verantwortungsübertragung in Form von Vereinbarungen statt, die das Management mit einzelnen Beschäftigten oder Teams schließt.
Diese Zielvereinbarungen sind eine weit verbreitete Methode zur Erhöhung von Leistung und Arbeitsintensität in den Unternehmen. Übertragen wird dabei eine Verantwortung, ohne dass Beschäftigte über eine wirkliche Handlungsmacht verfügen (Teil 3). Dies steigert den äußeren und inneren Druck, auf die Beschäftigte, die darauf mit Gegenwehr und Formen von Widerständigkeit reagieren.
Hermann Bueren ist Autor des Buchs "Bewegt Euch Schneller! Zur Kritik moderner Managementmethoden. Ein Handbuch" 300 Seiten, Kellner Verlag Bremen