Scholz und Macron: Harte Nüsse zum Arbeitsessen
Verärgerung in Paris: Macron wirft Deutschlands Alleingängen "destabilisierenden Charakter" vor. Die Konkurrenz in der Rüstungspolitik zeigt sich schärfer.
Der deutsche Kanzler wird in Paris gesnobt, prophezeit Politico: Es werde heute kein Foto für Scholz mit Macron geben und keine Pressekonferenz, obwohl der Kanzler mit einem großen Medienaufgebot angereist sei. Es ist kalt geworden zwischen Frankreich und Deutschland: "Sie sind sich nicht einmal einig, ob sie sich gemeinsam vor der Presse zeigen sollen."
Der Temperatursturz hat viele Gründe. Die US-amerikanische Publikation im Besitz des Springer-Verlags listet eine ganze Reihe davon auf: Allen voran den französischen Frust über Scholzens Doppelwumms.
Die Alleingänge der deutschen Regierung bei der 100-Milliarden-Euro-Aufstockung des Militärbudgets - gleichzeitig zeige sich Deutschland bei gemeinsamen Rüstungsprojekten wenig enthusiastisch und gehe auf Distanz – und beim 200-Milliarden-Euro-Entlastungspaket gegen hohe Energiepreise verärgerten Paris.
Dazu kommt die brüske Absage Macrons eines gemeinsamen Treffens letzte Woche und der Ausspruch Macrons beim EU-Gipfel:
"Es ist weder für Deutschland noch für Europa gut, wenn Deutschland sich isoliert."
Macron-Merkel: Andere Maßstäbe
Auch die deutsche China-Politik verärgert Paris wegen des Alleingangs von Olaf Scholz. Der Kanzler plant Anfang November eine Reise nach Peking. Laut Politico hätte es Paris gerne gesehen, wenn der französische Präsident mit von der Partie wäre.
Auch sei der Zeitpunkt, so kurz nachdem Xi Jinping mit neuer Macht ausgestattet worden ist, diplomatisch wenig feinfühlig. Erinnert wird an andere Gepflogenheiten seitens Frankreich. Das Tandem Macron-Merkel habe da andere Maßstäbe gesetzt.
Das unkoordinierte Vorgehen Deutschlands und Frankreichs gegenüber China steht im Gegensatz zu Xis letztem Besuch in Europa im Jahr 2019, als er von Macron empfangen wurde, der auch die ehemalige Bundeskanzlerin Angela Merkel und den ehemaligen EU-Kommissionspräsidenten Jean-Claude Juncker nach Paris eingeladen hatte, um die europäische Einheit zu demonstrieren.
Politico
Merkel, die mit Macron täglich SMS-Nachrichten austauschte, hätte ihrem Stil nach vorab über ihre Vorhaben informiert, so sieht man das angeblich in Paris. Anders bei Scholz.
Konkurrenz in der Rüstungspolitik
Der Kanzler würde in Soloshow, Frankreichs Verteidigungshaushalt von 44 Milliarden Euro übertreffen, sich mehr um die Aufrüstung Osteuropas kümmern, das gemeinsame Hubschrauber-Projekt "Tiger" einstellen, ebenso gemeinsame Marine-Patrouillen, wird aus dem Verteidigungsausschuss der französischen Nationalversammlung zitiert.
Auch die konservative französische Tageszeitung Le Figaro sieht Kälte und Verstörungen über dem heutigen gemeinsamen Mittagessen im Élysée-Palast. Berlin habe "einen Modellwechsel vorgenommen, dessen destabilisierender Charakter nicht unterschätzt werden darf", zitiert man dort eine Aussage Emmanuel Macrons.
Auch Le Monde stellt diesen Satz heraus und unterlegt dies mit Einschätzungen, wonach Scholz besser verstehen müsse, "dass das, was er in Berlin tut, Auswirkungen auf die EU hat".
Im Verteidigungsbereich habe Deutschland, eine 180-Grad-Wende vollzogen, um seine Armee zur "am besten ausgerüsteten Streitkraft Europas" zu machen, schreibt der Figaro. Deutschland arbeite "nicht unbedingt" auf die von Paris propagierte Stärkung der strategischen Autonomie Europas hin.
Geschweige denn auf die deutsch-französische militärisch-industrielle Zusammenarbeit. Stattdessen würde Berlin ein europäisches Raketenabwehrsystem mit israelischer Komponente fördern (European Sky Shield Initiative, Essi), das in Konkurrenz steht mit dem von Paris und Rom geplanten Mamba-System.
Frankreich ist bei Essi nicht dabei. Und Berlin will das einsatzbereite Mamba-System nicht.
Macron sei geradezu wütend über Scholz, "weil dieser mit 14 EU-Partnern einen Raketenabwehrschirm gegenüber Russland aufziehe, ohne dass sich Frankreich beteiligen könne", berichtete die Frankfurter Rundschau am vergangenen Donnerstag. Macron habe Angst vor einem französischen Machtverlust in Europa, kommentierte die NZZ.
"Deutschland und Frankreich haben an Einfluss in Europa verloren"
Auch der Grünen-Politiker Anton Hofreiter kommt bei Le Monde ausführlich mit einem Resümee zu Wort:
Seit Beginn des [Ukraine-] Krieges hat nicht nur Deutschland, sondern auch Frankreich an Einfluss in Europa verloren. Indem sie den Eindruck erweckten, die Ukraine nicht in dem Maße zu unterstützen, wie sie es könnten, insbesondere wenn es um Waffenlieferungen geht, wurden beide Länder ihrer Führungsrolle nicht gerecht. Es ist das deutsch-französische Tandem, das marginalisiert wird, und nicht nur Deutschland, das sich isoliert".
Anton Hofreiter
Der französische Sender BMTV zeigte heute Mittag Bilder von Kanzler Scholz auf dem Weg in den Elysée-Palast. Es werde keine Pressekonferenz geben, wurde bestätigt. Regierungssprecher Véran verkündete, dass die Freundschaft zwischen den beiden Ländern wichtig sei. Neuigkeiten vom Arbeitsessen gibt es nicht.