Schon der Begriff "Migrant" ist eine Vernebelung

Seite 3: Urteile und Vorurteile

Das Verschweigen von Herkunftsmerkmalen soll "Vorurteile gegenüber Minderheiten" vermeiden. Es verhindert aber de facto Urteile, also möglichst fundierte Meinungen - die ja hoffentlich weder Pressekodex noch Medienethik untersagen wollen. Gerade Nichtdifferenzierungen führen zu Vorurteilen (also unbegründete Annahmen), weil sich jeder ein paar passende Fakten herauspicken kann, anstatt mit validen Erkenntnissen arbeiten zu müssen.

Auch die Autoren des Publizistik-Aufsatzes verzichten nicht auf diskriminierende, nämlich vorverurteilende Gruppenbezeichnungen. Beispiel:

Populistische Akteur*innen wiesen in den vergangenen Jahren immer wieder lautstark auf eine angebliche Bedrohung der inneren Sicherheit durch Eingewanderte, Geflüchtete oder Angehörige von hier beheimateten Minderheiten hin.

Christoph Klimmt, Hans-Bernd Brosius, Hannah Schmid-Petri et. al.

Sicherlich gibt es "populistische Akteur:innen", aber wenn es sich dabei um eine Tatsachenbeschreibung handelt, kennte man dann doch gerne die genauen, wissenschaftlichen Standards genügenden Messkriterien.

Andernfalls wäre "populistisch" eine Meinung, die sich Rezipienten selbst bilden möchten, was aber ohne Benennung der Bewerteten unmöglich ist.

In jedem Fall dürfte nämlich falsch sein, dass jeder, der in irgendeiner Form auf "Bedrohung der inneren Sicherheit durch Eingewanderte, Geflüchtete oder Angehörige von hier beheimateten Minderheiten" hinweist, ein Populist. Genutzt wird der Populismus-Vorwurf viel mehr als politischer Kampfbegriff zum wenig demokratischen Diskussionsausschluss.

Vermutlich eher versehentlich gestolpert sind die Autoren über ihre Vorurteile bei folgender Aussage, die gleichwohl wissenschaftliche Exaktheit vermissen lässt:

"Insbesondere erwähnen zahlreiche Berichte von Medien, Polizei und Justiz, dass beteiligte Personen eine Einwanderungsbiografie aufweisen oder einer von Rassismus betroffenen Gruppe angehören (z. B. "Migrationshintergrund"; "Geflüchtete")."

Vielfalt als Lösung

Tatsächlich jedoch "erwähnen zahlreiche Berichte" nicht, "dass beteiligte Personen [...] einer von Rassismus betroffenen Gruppe angehören", sondern dass sie eben einen Migrationshintergrund haben oder mit einem Flüchtlingsstatus in Deutschland leben, was die Autoren pauschal und persönlich als "von Rassismus betroffene Gruppe" bewerten.

Vielleicht sind die Argumente Pro und Contra Herkunftsnennung irgendwann ausgetauscht. Und dann bleibt einer pluralistischen Gesellschaft ein medialer Weg der Vielfalt: es wird (weiterhin) Medien geben, die in der Kriminalitätsberichterstattung möglichst oft die Herkunft von Tätern und Verdächtigen nennen, und solche, die darauf weitestgehend verzichten.

Mit beidem kann und wird Schindluder getrieben werden: mit korrektem Wissen durch unkorrekte Verallgemeinerungen, und mit dem nebulösen Nichtwissen durch fiktive Präzisierungen. Denn so oder so angegangen, das größte Problem bleibt mangelndes Erkenntnisinteresse.

Dem wird auch mit ausgefuchst ausbalancierter Berichterstattung nicht beizukommen sein, dafür sind die Medienkonsumenten selbst verantwortlich (siehe Telepolis-Vierteiler "Hürden der Aufklärung").