Schon der Begriff "Migrant" ist eine Vernebelung

Seite 2: Unterschiede in der Kriminalität: Vermischung von Messung und Bewertung

In der politischen wie ethischen Debatte um die Herkunftsnennung bei Tätern und Tatverdächtigen werden oft Messung und Bewertung von Messbefunden vermischt.

Anstatt erst einmal zu schauen, was Sache ist, dies dann zu analysieren und erst später zu bewerten, wird kommentiert, was es möglicherweise geben könnte und was es erhoffterweise nicht geben sollte.

So heißt es in dem Publizistik-Aufsatz zu Herkunftsmerkmalen in Verbrechensstatistiken:

Ohne explizite Erläuterungen könnten solche Vergleiche von Herkunftsgruppen ähnlich wie Berichte über Einzelverbrechen die nicht haltbare These transportieren, wonach Menschen aus bestimmten Ländern oder Gruppen stärker zu Kriminalität neigen.

Christoph Klimmt, Hans-Bernd Brosius, Hannah Schmid-Petri et. al.

Sollte man sich nicht erstmal die Daten genau anschauen, bevor man entscheidet, welche These unhaltbar ist? Und wenn sie dann falsifiziert werden kann, sind alle einen Schritt weiter - das geht aber nicht im Blindflug.

Natürlich wird es Unterschiede in der Kriminalität geben. Das simpelste Beispiel sind Verstöße gegen das Aufenthaltsrecht - da kann man als Deutscher in Deutschland nicht auffällig werden. Auch beim Drogenschmuggel ist zu erwarten, dass mehr Menschen aus Drogen erzeugenden Ländern beteiligt sind. Solche quantitativen Unterschiede sagen natürlich nichts über das Kriminalitätsleben bestimmter Ethnien, aber etwas zu bestimmten Delikten.

Bettlägrige werden weniger Banküberfälle begehen als mobile Menschen. Und auch zwischen Frauen und Männern gibt es in den Kriminalitätsstatistiken fortwährend signifikante Unterschiede.

Aus Angst vor irgendwelchen (falschen) Bewertungen realer Daten gleich auf die Daten zu verzichten ist jedenfalls weder ein journalistischer noch ein wissenschaftlicher Ansatz. Und nicht selten kann man den Eindruck gewinnen, es stehe nicht die Sorge vor Fehlinterpretationen im Vordergrund, sondern die Angst vor tatsächlichen Ergebnissen.

(Und natürlich der Kampf um den eigenen Vorteil, insbesondere politische Gefolgschaft und entsprechend als Gegenüber Gegnerschaft.)

Warum der Begriff "Migrant" eine Vernebelung ist

Es gibt unbestreitbar statistische Unterschiede zwischen einheimischer und zugewanderter Bevölkerung etwa in Berlin, meist gemessen in Bezug auf Quartiere. Ob man auf den Anteil der Sozialhilfeempfänger schaut, auf Bildungsabschlüsse, Mietpreise oder so etwas Verwegenes wie Mädchen und Frauen im öffentlichen Raum.

Die Bewertung solch messbarer Unterschiede ist dann aber etwas ganz anderes, und dafür wird man weit mehr Daten als Migrationsbiografien benötigen.

Warum werden Döner-Läden immer von Zugewanderten betrieben? Kann niemand ohne nicht-deutsche Vorfahren mit einem Drehspieß arbeiten (denn Asiaten in Ostdeutschland können es, dort ist die Kombination aus Nudel- und Dönerladen weit verbreitet)?

Anstatt über die Gründe zu spekulieren, sollte man nach ihnen suchen, wenn es einen interessiert, aber dazu muss man eben die Herkunft von Menschen als Datum berücksichtigen. Dass dann eine Korrelation noch keine Kausalität ist, haben inzwischen doch viele begriffen.

Dabei ist auch der Begriff "Migrant" schon eine Vernebelung, die eine sachgerechte Debatte seit Jahren enorm erschwert. Es ist ein Unterschied, ob Menschen vor Krieg oder politischer Verfolgung flüchten, um in ihre Heimat zurückzukehren, sobald dies möglich ist, oder ob Menschen sich zur Auswanderung entschließen.

Es wird niemandem gerecht, jeden Menschen in Deutschland ohne deutschen Personalausweis als Zugewanderten oder Migranten zu betrachten. Aber die Debatte wird schon lange extrem verkürzt.

Von der einen Seite aus betrachtet ist jeder, der gegen mehr und schnellere Einbürgerungen ist, xenophob, von der anderen Seite aus treiben alle, die Menschen in existenzieller Not helfen wollen (oder die sich wirtschaftliche Vorteile von spezieller Zuwanderung versprechen), ein böses und verschwörerisches Spiel. Die mangelnde Differenzierung in der Medienberichterstattung und die Vernebelung von Unterschieden haben den Debatten geschadet.