Schranken des Sicherheitswahns in der UNO-City Wien

Teure, aber unwirksame Sicherheitssysteme gegen mögliche Angriffe mit Fahrzeugen, die mit Sprengstoff beladen sind

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Als Ergebnis der Folgen verheerender terroristischer Anschläge der jüngsten Vergangenheit in aller Welt kommt es zu einer sich immer mehr abzeichnenden Macht- und Profilierungssucht einiger Sicherheitspolitiker. Ein anschauliches Beispiel dazu ist die Schrankenanlage an der Peripherie des UNO-Geländes in Wien. Hier entstand eine Ausgeburt neurotischen Sicherheitsdenkens, die aufgrund der horrenden Ausgaben zu ihrer Finanzierung und der beachtlichen Materialvergeudung bei der Wiener Bevölkerung zu Zweifeln an der Ernsthaftigkeit und des Sachverstandes der Verantwortlichen führte.

UNO-City. Alle Fotos: Schröder

Das Vienna International Center (VIC) oder die UNO-City, wie das Gebäude von den Wienern verniedlichend gerne genannt wird, ist seit seiner Gründung auf einer ehemaligen Mülldeponie ein Wahrzeichen Österreichs und ein Symbol für den internationalen Charakter Wiens. In ihm sind ca. 1000 Österreicher und 3000 ausländische Mitarbeiter, die aus über 100 Ländern kommen, tätig. Mit seinen fast 24000 Fenstern, 15000 Türen, 43 Personen- und 15 Lastenaufzügen, Konferenzsälen, unterschiedlichsten Dienstleistungsbetrieben, Sporteinrichtungen und ca. 1000 WC-Anlagen ist es ohne Zweifel einer der imposantesten Bauten Wiens. Pro Jahr werden etwa 1000 Konferenzen abgehalten und man schätzt den wirtschaftlichen Gewinn für die Stadt Wien auf bis zu 360 Millionen Euro.

Der gesamte Gebäudekomplex ist in sieben Teile gegliedert. Ein 56 Meter hoher Rundkörper, in dem neun Konferenzräume untergebracht sind, bildet den Mittelpunkt der Anlage. Die zweigeschossige Eingangshalle (Rotunda) beherbergt Bankfilialen, Postamt, Abstell- und Lagerräume. Das Konferenzgebäude ist von zwei Y-förmigen Türmen flankiert, an die sich vier weitere Gebäude anschließen. Das VIC wurde zu einem symbolischen Pachtzins von 7 EuroCent pro Jahr für 99 Jahre von der Stadt Wien den Vereinten Nationen vermietet. Die Betriebskosten werden von den Organisationen selbst getragen.

Ihren Hauptsitz im VIC haben neben vielen anderen Organisationen: Die Internationale Atomenergie-Organisation (IAEA) und die Vorbereitende Kommission für die Organisation des Vertrages über das umfassende Verbot von Nuklearversuchen (CTBTO), die Organisation der Vereinten Nationen für Industrielle Entwicklung (UNIDO) und das Büro der Vereinten Nationen für Drogen- und Verbrechensbekämpfung (UNODC).

Seit dem Attentat gegen den UNO-Hauptsitz in der irakischen Hauptstadt Bagdad am 19. August 2003 mit 21 Toten, darunter auch der Chef der UNO-Mission, hat die UNO ihre Sicherheitsmaßnahmen drastisch erhöht. Dem ging eine Beurteilung der Gefährdung ihrer Gebäude voraus. Auf der Basis der von der UNO in New York definierten Sicherheitsstandards, die natürlich nach diesem Anschlag verschärft worden sind, hat die Organisation zusammen mit den jeweiligen Sitzstaaten ein neues Sicherheitskonzept für jedes UNO-Gebäude erarbeitet. Die Sicherheit in den betroffenen Gebäuden, sowie innerhalb ihrer Umfriedung ist hierbei Sache der ausländischen Vertretungen und der internationalen Organisationen selbst.

Einfahrt in die UNO-City

Nimmt man an einer Führung durch das VIC teil, muss man vorher die bei Flugreisen gewohnte Sicherheitsprozedur über sich ergehen lassen, welche die Kontrolle von Person und Gepäck einschließt (dies gilt auch für die UNO-MitarbeiterInnen). Außerdem wird zusätzlich der Personalausweis kopiert, eine Sichtmarke an der Kleidung angebracht, 5 Euro Eintrittsgeld kassiert und mit dem Hinweis, sich nie von der Gruppe zu entfernen, darf man dann endlich „UNO-Luft“ schnuppern. Deutlich feststellbar dabei ist das ständig überall präsente Sicherheitspersonal. Dies empfindet man aber heute schon als fast normal. Das eigentliche Sicherheitsproblem jedoch lauert außerhalb, vom Besucher unbemerkt. Dort verlaufen im Bereich der hinteren Umzäunung des UNO-City-Areals mehrere Straßen, die auch zur Zufahrt genutzt werden können.

Deshalb überlegte man im VIC, wie man es verhindern könne, dass ein mit Sprengstoff voll beladener Lkw, wie damals in Bagdad, ungehindert auf das UNO-Gelände gelangen kann. Als Folge wurde Ende vergangenen Jahres im Bereich des Kreisverkehrs bei der Leonard-Bernstein-Straße eine Sicherheitszone eingerichtet. Höhenverstellbare Kippschranken an mehreren Stellen von Zufahrtsstraßen zum UNO-Gelände sollen verhindern, dass bei Terrorwarnung möglicherweise mit Sprengstoff beladene Lkws in das exterritoriale Gebiet der Vereinten Nationen einfahren können.

Ist Gefahr im Verzug, werden die Schranken in kürzester Zeit über die Straßen abgesenkt. Für Lkws mit über 2,20m Höhe wird durch einen, die gesamte Straßenbreite überspannenden großdimensionierten Stahlschild die Weiterfahrt unmöglich gemacht. Mit diesen Maßnahmen will man Anschlägen wie in Bagdad vorbeugen. Unterdessen wachsen aber in der Bevölkerung Wiens berechtigte Zweifel an der Wirksamkeit der getroffenen Maßnahmen, denn sie erforderten außerdem ansehnliche Kosten.

  1. Der Steuerzahler fragt sich nämlich, wie soll die martialisch anmutende Schrankenanlage im Notfall überhaupt wirkungsvoll funktionieren? Sollte nämlich dieser Ernstfall eintreten, so werden zwar die Lkws mit über 2,20m Höhe an der Weiterfahrt gehindert, aber alle nicht so hohen Fahrzeuge kämen problemlos durch das Sperrsystem. Für Terroristen, die gezielt genügend Sprengstoff in niedrigerern Lkws, Kleintransportern oder Pkws unterbrächten, wäre es ein Leichtes, im UNO-Gelände entsprechende Schäden anzurichten.
  2. Damit aber nicht genug, denn es gibt noch eine weitere entscheidende Schwachstelle, welche die Ausgabe von rund einer Million Euro für die stählerne „Höhenverstellung“ als völlige Fehlinvestition erscheinen lässt und schon leicht den Anschein von Schildbürgerei erweckt. In unmittelbarer Nachbarschaft der unübersehbaren Hightech-Schrankenanlagen verläuft eine Straße, die aus der Stadt kommend, direkt auf das UNO-Territorium führt und von jedem Fahrzeug befahrbar ist, ohne daran irgendwie gehindert werden zu können. Es gibt zwar ein schließbares Gitter, aber dieses würde für Lkw und Pkw gleichermaßen kein ernstes Hindernis darstellen.
  3. Außerdem lässt sich wohl mit großer Sicherheit annehmen, dass mit Sprengstoff herannahende Terroristen kaum ihre Ankunftszeit bekannt geben werden. Wie will man die Sperren überhaupt rechtzeitig in Aktion setzen können, wo doch akute Bedrohungsszenarien bekanntlich nur schwerlich rechtzeitig erkennbar sind (siehe Madrid u. a.)?

Welchen Zweck verfolgt man also mit dieser sinnlos anmutenden „Sicherheitseinrichtung?“ Erfreut sich der Auftraggeber und Hersteller an dem technischen „Wunderwerk“? Hat man dem immer mehr um sich greifenden Sicherheitsaktionismus eine neue, aber nutzlose wie teuere Großtat hinzugefügt? Dienen diese Anlagen gar zur Selbstberuhigung und als Nachweis, etwas Entscheidendes im Kampf gegen den Terrorismus getan zu haben? Eine unbefriedigende Antwort kam von der Wiener Gemeinderätin Karin Schrödl:

Die „UNIDO“ (UNIDO - Organisation für industrielle Entwicklung), die für die Einrichtung der Sperranlagen verantwortlich ist, hat im Rahmen eines ausgearbeiteten Sicherheits-Konzepts die Zufahrtsbeschränkung für Lkws deshalb einrichten lassen, weil die mittels Pkw transportierbare Sprengstoffmenge nicht so große Schäden im UNO-Komplex anrichten kann.

Die Stadt Wien hat das Vorhaben großzügig unterstützt. Grundlage dazu ist ein Staatsvertrag, und zwar das Abkommen zwischen der Republik Österreich und den Vereinten Nationen über den Amtssitz der Vereinten Nationen in Wien. Er ist veröffentlicht im Bundesgesetzblatt Nr. 99/1998, und mit diesem Abkommen hat sich die Republik verpflichtet, Sicherheitsvorkehrungen gegenüber der UNO zu finanzieren und für die Sicherheit im Zusammenwirken mit der UNO zu sorgen.

Dort heißt es im Abschnitt 18: Die zuständigen österreichischen Behörden werden entsprechend Vorsorge treffen, um zu gewährleisten, dass die Ruhe im Amtsbereich der Vereinten Nationen nicht gestört wird. Und weiter: Die zuständigen österreichischen Behörden und die Vereinten Nationen arbeiten im Hinblick auf die Aufrechterhaltung einer wirksamen Sicherheit eng zusammen.

Noch heute lacht man in Wien über Innenminister Strasser, der vom Einsatz von 400 Videokameras zur Überwachung der terrorismusgefährdeten österreichischen Bevölkerung träumte, die er bei den Isländern schon im Einsatz wähnte. Leider hatte nur ein satirischer Film von ARTE, in dem isländische Schauspieler einen überwachungswütigen Polizeipräsidenten dargestellt haben, die Denkvorlage für den Innenministerwunsch geliefert.

Die Schrankenanlagen am VIC stellen offensichtlich keinen erfolgversprechenden Beitrag zur Bekämpfung des internationalen Terrorismus dar. Sie sollten eingehend von Sicherheitsexperten auf ihre Daseinsberechtigung überprüft werden und dann im Technischen Museum der Stadt Wien ihren Platz finden – noch besser für die Nachwelt aufgehoben wären sie allerdings in einem Panoptikum.