Schraube um Informationsfreiheit in Europa dreht sich enger
Deutschland votiert für noch mehr Geheimhaltung
Europäische Journalisten können nur neidvoll nach Übersee blicken: Ob US-Militärs strategische Atomraketen gegen Irak und Nordkorea einsetzen wollen, ob sie Details über die polizeiliche Überwachung des Bürgerrechtlers Martin Luther King enthüllen - ihr Wissen über solche Ereignisse verdanken sie dem 1966 erlassenen "Freedom of Information Act".
Doch nicht nur Journalisten profitieren von einem Informationsfreihheitsgesetz, auch Anwälte, Lobbyisten, Wissenschaftler und Bürgerinitiativen. Eigentlich sollte es selbstverständlich sein: Die mit Steuergeldern bezahlten Informationen sollen den Bürgern zur Verfügung stehen. Ein Abgeordneter des schleswig-holsteinischen Landtags stellte sogar fest:
"Der Zugang zu Informationen bekommt immer mehr Charakter eines Grundbedürfnisses und sollte daher ein neues Bürgerrecht werden."
Doch die Durchsetzung eines Informationszugangsrechts scheint nicht gerade einfach zu sein. Die Beamtenschaft scheut davor zurück, sich allzu sehr in die Karten schauen zu lassen. Die Regelung für einen Informationszugang in Europa ist nun in der zweiten Instanz, nach der Kommission also nun der Rat der Europäischen Union. Und es sieht keineswegs besser aus für die Bürgerrechte.
Der Rat hat sich in neun Sitzungen seit Februar mit dem Entwurf der Kommission zum Informationszugang beschäftigt. Das Ergebnis ist aus Bürgersicht alles andere als zufriedenstellend: "Unsere schlimmsten Befürchtungen könnten damit Realität werden", so Tony Bunyan von der britischen Watchgroup Statewatch. Über den Entwurf vom 18. August wird der Rat am 20. November abstimmen. Das Parlament arbeitet derzeit auch an einer Version.
Bei den Änderungsvorschlägen der Regierungvertreter zeichneten sich vor allem Frankreich und Deutschland durch ihren Wunsch nach mehr Geheimhaltung und weniger Informationszugang aus: Frankreich reichte entsprechend neun, Deutschland ganze zwölf Änderungsvorschläge ein, die mehr Geheimhaltung verlangten.
Bereits der "Parlaments- und Ratsvorschlag bezüglich des öffentlichen Zugangs zu Dokumenten des Europäischen Parlaments, des Rats und der Kommission" stieß auf heftige Kritik, da er die bisherige Freigabepraxis verschlechtert hätte. Der EU-Sonderausschuss des britischen Oberhauses monierte, dass durch die lange Liste der Ausnahmen der Eindruck entstehe, dass "Geheimhaltung und nicht Offenheit am besten dem öffentlichen Interesse diene".
In dem jetzt bekannt gewordenen Ratsentwurf sorgen einige Verschärfungen dafür, dass der Beamtenapparat möglichst von der Öffentlichkeit ungestört seiner Arbeit nachgehen kann. Dabei handelt es sich in fast allen Fällen um juristische Formulierungen, die hier und dort die Schraube etwas enger ziehen. Statewatch hat den Entwurf bereits minutiös auseinandergenommen, so dass an dieser Stelle nur die wichtigsten Punkte rekapituliert werden sollen:
Papiere müssen nur dann herausgegeben werden, wenn der Verwaltungsaufwand "vernünftig" ist. Bei "wiederholten" Anfragen kann die Einrichtung die Herausgabe verweigern. "Wiederholte" Anfragen stellen jedoch nicht nur Fachjournalisten, sondern auch Wissenschaftler und Bürgerrechtsorganisationen wie Statewatch. In solchen Fällen "kann" ein fairer Ausgleich gefunden werden - muss aber nicht.
Zurückgehalten werden können auch "sehr große Dokumente" ebenso wie "eine sehr große Anzahl von Dokumenten". Im Fall von Statewatch hatte bereits der europäische Ombudsmann gegen die Termini "wiederholt" und "eine sehr große Anzahl von Dokumenten" entschieden.
Auch dürfen EU-Einrichtungen dann keine Papiere herausgeben, wenn betroffene internationale Organisationen oder Nicht-EU-Mitgliedsstaaten Widerspruch einlegen. Tony Bunyans Kommentar hierzu: "Ein derartiges Veto ist in einem demokratischen System ziemlich unakzeptabel."
Papiere des Generalsekretariats des Rates - Generalsekretär ist überigens Javier Solana - sollen nach Auffassung des Juristischen Dienstes des Rates nicht von der Regelung erfasst werden, da diese Papiere nicht gleichzeitig allen Ländern bekannt seien. Dadurch soll die Situation verhindert werden, dass Mitgliedsstaaten erst aus der Öffentlichkeit von den Dokumenten erfahren. Dieser Meinung schlossen sich sechs Mitgliedsstaaten an, neun lehnten sie ab.
Immerhin berücksichtigt der Rat den Solana-Beschluss nicht. Allein in einer Fußnote heißt es, man wolle die Frage der Verteidigungs- und Militärangelegenheiten in einem separaten Papier behandeln. Vermutlich wollen die Länder erst einmal abwarten, wie die Klagen des Parlaments sowie der Niederlande und Schweden vor dem Europäischen Gerichtshof ausfallen werden. Aufgebracht hatte die niederländische Regierung nicht nur die geheimnistuerische Weise, auf welche der Beschluss zustande gekommen war, sondern auch das Vorhaben, ganze Kategorien von Dokumenten einfach vom Zugang auszuschließen. Schweden hatte sich am 28. September der Klage der Niederlande gegen Rat angeschlossen.
Die Regelung wird als Richtlinie für alle Mitgliedsstaaten rechtlich verbindlich und sofort anzuwenden sein. Dänemark, die Niederlande, Finnland, Schweden und Großbritannien wollten dem nicht zustimmen. Deutschland hingegen stellte fest, dass eine Richtlinie die "richtige rechtliche Form" sei. Der Juristische Dienst des Rates solle zudem versichern, dass "der Text genügend Garantien gebe, dass Mitgliedsstaaten die Richtlinie nicht dadurch unterlaufen, dass sie Zugang zu EU-Dokumenten in ihrem Besitz gewähren."
Dies ist ein eindeutiger Seitenhieb gegen die Schweden: Schwedische Journalisten hatten sowohl bei der Kommission, als auch bei ihrer Regierung die Freigabe von 20 Dokumenten zum Europol-Abkommen angesucht. Während die Kommission allein vier freigab, gab die schwedische Regierung ganze 18 heraus.