Schrumpfendes Zeitfenster für Politiker in den Medien
Tutzinger Tagung zum "Zerrbild" der Politiker in den Medien
Die Politik lässt sich immer mehr auf die Spielregeln einer nach Skandalen suchenden Medienlogik ein und die Parteiendemokratie wird zur Mediendemokratie – so lautete eine der Statements einer Medienexpertentagung am vergangenen Wochenende. Die Medien als die Vermittler zwischen dem Politiker und dem Wähler und das Bild, das so von den Mandatsträgern gezeichnet wird standen im Mittelpunkt einer Tagung der Akademie für politische Bildung in Tutzing (Oberbayern) unter dem Titel „Vom Vorbild zum Zerrbild – Politiker-Image in der Mediokratie“.
Das Treffen von Medienfachleuten, Politikern und Kommunikationswissenschaftlern war eingerahmt durch die physischen Sturmwinde des Orkans „Kyrill“ und die politischen Sturmwinde innerhalb der bayerischen Regierungspartei CSU. So konnte Wolfgang Donsbach, Professor an der TU Dresden, nicht umhin, seinen Vortrag mit einer kommunikationswissenschaftlichen Analyse des aktuellen politischen Geschehens in Bayern einzuleiten. Ihm kämen die Vorgänge um den Ministerpräsidenten vor wie aus dem „Handbuch des Politikerrücktritts“: Am Anfang stünde eine halböffentliche Forderung, die in einem zweiten Schritt Anlass für weitere Äußerungen aus der Partei bilde. In einem dritten Schritt stellen sich Parteigrößen hinter den Angegriffenen – laut Donsbach der „Anfang vom Ende“. Als vierte und letzte Station dann die Zuspitzung auf eine reine Personenfrage, die von allen sachlichen Erwägungen befreit ist - und schließlich sei der Rücktritt nur noch eine Frage der Zeit.
Weiter bei der Aktualität bleibend sah der Dresdner Professor in der Berichterstattung der Bildzeitung über das Privatleben des CSU-Politikers Horst Seehofer keinen Zufall, sondern eine gezielte Instrumentalisierung von Informationen. Und anders als Akademieleiter Heinrich Oberreuter in seiner Einführung sah Donsbach dabei kein unethisches Handeln: Wenn Politiker ihr Privatleben zum Politikum machten, sei auch der kritische mediale Blick auf dieses Privatleben erlaubt.
Damit war der Kommunikationswissenschaftler bei seinem Kernvortrag angelangt: Der Unterschied zwischen Wahrnehmung und Wirklichkeit von Politik in der Mediengesellschaft. Er konstatierte Wandel, eine „Zeitwende von der Parteiendemokratie zur Mediendemokratie“. Einerseits ändere sich der Politikertyp: Ohne narzisstische Eigenschaften und mediale Qualitäten käme heute kein Politiker mehr voran. Dabei werde das Privatleben seit den 1990er Jahren zusehends enttabuisiert – was bei Willy Brandt noch unmöglich war (über seine Affären zu berichten) sei heute „normaler“ geworden. Auf der anderen Seite habe sich auch die Darstellung von Politik in den Medien geändert. Diese ist geprägt von Personalisierung und Emotionalisierung, die Politik wird zudem immer schlechter dargestellt und als unfähig, Probleme zu lösen. Und sie wird zerstückelter dargestellt: So sei die Zeit, die Politiker im Fernsehen zur Verfügung ständen, um ungeschnitten ihre Statements abzugeben, von 35 Sekunden im Jahre 1983 auf 15 Sekunden im Jahre 1998 gesunken (US-Politiker haben in der Regel nur noch sechs Sekunden Zeit). Politik wird auch zunehmend als Unterhaltung dargeboten, als Paradebeispiel dafür stünden die Talk-Shows – für die Sender billig zu produzieren, für die Politiker wegen des großen Publikums attraktiv.
Auf Seiten der Wähler wiederum sei ein dramatischer Verfall des Ansehens von Politikern zu beobachten. Dieses Wähler-Publikum blieb freilich von dem Dresdner Medienexperten nicht verschont. Es sei bedenklich unwissend, was politische Zusammenhänge anbelange, richte seine Urteile nach oberflächlichen Merkmalen aus und vor allem die Jugend lese keine Zeitung mehr. Dieses Publikum teilte Donsbach in eine „Drei-Klassengesellschaft" auf: die „Elite“ mit hoher politischen Mediennutzung, die „politisch Halbgebildeten“ mit oberflächlichen Interesse an Politik (das „typische“ Publikum der Talk-Shows) und schließlich das „Kommunikations-Prekariat“ ohne politische Mediennutzung.
Derartige Thesen konnten aufgrund des drängenden Flugtermins des Vortragenden nur sehr kurz diskutiert werden, blieben aber als Anregung für die Tagung bestehen. So gab Professor Niels Diederich von der FU Berlin zu bedenken, dass Skandale in der Politik nichts Neues seien, sondern schon immer ihre Rolle gespielt hätten. Aber auch er schob den Wählern einen Schwarzen Peter zu: Die Parteien hätten gegen die Medien verloren, weil der Konsum von Fernsehen und Funk einfacher sei, als „zum Abgeordneten zu gehen“. Der Geschäftsführer der „Vereinigung ehemaliger Bundestagsabgeordneter“ beklagte eine „Lücke“ im Bild des Abgeordneten, nur wenige Wähler würden ihre Volksvertreter (persönlich) kennen. Und fast 60 Prozent der Bürger könnten keine Angaben dazu machen, wie die politische Arbeit außerhalb des Plenarsaales aussähe, so der Ex-Abgeordnete der SPD.
Unter Stichworten wie „Politiker als Marke“, „Macht und Ohnmacht der Medienberater“ oder „Kunstsprache in der Alltagswelt: Politiker und Öffentlichkeit in der Verständigungsfalle“ wurde das Thema von Politikern, Experten und Medienpraktikern weiter diskutiert. Man hätte sich allerdings auch über eine dezidiertere Fragestellung gefreut, ob es denn vielleicht einfach eine schlechte Politik ist, die das Ansehen von Politikern sinken lässt – und nicht nur die „mediale Vermittlung“.