Schützengrabendiplomatie

Nach Jahren der Integration Kubas in die internationale Gemeinschaft verhärten sich die Fronten wieder, Havanna beklagt Provokationen aus Washington und tritt nach innen und außen unnachgiebig auf

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Seit Beginn dieses Jahres wurden in den Vereinigten Staaten von Amerika 25 Menschen hingerichtet. James Colburn, einer der im staatlichen Auftrag Getöteten, war geistig behindert. Scott Allen Hain war minderjährig. Ein dritter, John Elliot, war britischer Staatsbürger. Bobby Cock, der am 11. März im US-Bundesstaat Texas exekutiert wurde, hatte das langjährige Warten auf die Todesstrafe nicht mehr ausgehalten: Er bat um die Hinrichtung. Alle Angeklagten waren wegen schwerer Gewaltdelikte verurteilt. Diese Politik stieß in der internationalen Staatengemeinschaft weitgehend auf Akzeptanz.

Szenenwechsel: Kuba. Am 12. April erklärte die Regierung des Inselstaates 90 Seemeilen vor der US-Küste die Vollstreckung der Todesurteile über drei Männer, die anderthalb Wochen zuvor eine Personenfähre entführt hatten. Zuletzt war die Todesstrafe auf Kuba in den Jahren 1989 und 2000 angewandt worden. Im letzten Fall wurden zwei zentralamerikanische Söldner in einem öffentlichen Verfahren überführt, während eines Jugendfestivals 1997 Bomben in der Hauptstadt Havanna deponiert zu haben. Damals starb ein italienischer Tourist, als ein Sprengsatz in einer gut besuchten Bar in der Altstadt Havannas explodierte. Die beiden Männer wurden zum Tod verurteilt, die internationalen Proteste waren mäßig.

Nicht so im aktuellen Fall. Nicht nur Menschenrechtsorganisationen meldeten ihren Protest an, sogar die EU-Außenminister drohten in einer gemeinsamen Erklärung mit "ernsthaften Konsequenzen". Weshalb sind die Proteste derart massiv? Der Verweis auf die politischen Vorbehalte allein greift offensichtlich zu kurz.

Politische Verhärtung provoziert?

Hat die sozialistische Regierung Kubas mit der Vollstreckung der Todesurteile Öl ins Feuer gegossen? "Ob willentlich oder nicht waren die Entführer in diesem Moment (der Tat) bereits Teil eines übergeordneten politischen Konfliktes", schreibt der linke Soziologieprofessor Heinz Dieterich aus Mexiko. Nur vor dem Hintergrund einer gesteigerten Bedrohung Kubas durch die USA - und nicht nur moralisch, sondern eben auch pragmatisch - seien die Strafen zu bewerten. Tatsächlich spricht vieles dafür, dass sich die kubanische Regierung der Reaktionen auf internationaler Ebene wohl bewusst war. Außenminister Felipe Pérez Roque jedenfalls erklärte wenige Tage nach dem Urteil, man sei "nicht willens, den Provokationen mit verschränkten Armen zuzusehen". Es gilt zu fragen, welchen Schaden Havanna erwartete, wenn es nicht derart gehandelt hätte.

Die "Provokationen", auf die Kuba verweist, stehen in direktem Zusammenhang mit dem Krieg gegen Irak. Stellungnahmen hoher US-Funktionäre zufolge geht von diesem Feldzug "eine deutliche Botschaft an Kuba" aus. Das zumindest erklärte unlängst der gebürtige Kubaner und derzeitige Sonderberater von US-Präsident George W. Bush für Lateinamerika, Otto Reich. Aus dem diplomatischen Korps der USA sprachen sich sowohl Hans Hertell, der US-Botschafter in der Dominikanischen Republik, wie auch Jeb Bush, Gouverneur von Florida und Bruder des amtierenden Präsidenten, dafür aus, die Politik gegen Kuba erheblich zu verschärfen.

Nach Jahren relativer Entspannung verschlechtern sich die Beziehungen zwischen beiden Staaten rapide und vor allem nachhaltig. Die neue radikale Linie der Bush-Administration knüpft an die Kuba-Politik Washingtons während des Kalten Krieges an. In den USA wurden seit 1959 über 600 Mordanschläge auf Staats- und Regierungschef Fidel Castro geplant. Besonders in den ersten Jahren nach der Revolution wurden von den USA aus Sabotageakte durchgeführt und paramilitärische Gruppen wie die vom US-Bundesstaat Florida aus operierende "Alpha 66" ausgebildet.

Im Schatten des Angriffs auf den Ölstaat Irak wendet sich Washington nun von einer Politik der vorsichtigen Kooperation in einem selbst für langjährige Beobachter überraschend schnellen Tempo ab. Gemeinsame Abkommen - vor allem in Migrationsfragen - werden missachtet, laufende Verhandlungen zu bilateralen Fragen wie der Bekämpfung des Drogenhandels blockiert. Nach Informationen der kubanischen Regierung werden Informanten des US-Geheimdienstes als Oppositionelle getarnt, eine Strategie, die in den antikubanischen Gesetzen der USA legalisiert wird. So autorisiert der 109. Absatz des antikubanischen Helms-Burton-Gesetzes von 1996 "die (finanzielle und logistische) Unterstützung der demokratischen und Menschenrechtsgruppen". In der Definition wenige Absätze später werden dabei "geheimdienstliche Tätigkeiten" explizit nicht ausgeschlossen, "sofern sie den gesetzmäßigen Tätigkeiten der US-Regierung dienen".

Es ist eine Doppelstrategie: Während verfassungsfeindliche Gruppen (von dem Label sollte man sich nicht täuschen lassen) entgegen internationalen diplomatischen Regeln von der US-Interessenvertretung aus gefördert werden, schließen die USA ihre Grenzen für Kubaner und versuchen so, eine Zunahme von illegalen Ausreisen und Menschenhandel - Kriminalität eben - zu provozieren. "Vom ersten Oktober 2002 bis zum 28. Februar 2003 wurden von den US-Behörden nur 505 Visa ausgestellt", erklärt Xavier Declercq von der Hilforganisation Oxfam-Belgien. Im gleichen Zeitraum des Vorjahres waren es noch über 7.000, im Jahr davor fast noch 11.000 Visa.

In diesem Kontext ist die Welle von Flugzeug- und Schiffsentführungen auf Kuba in den vergangenen Wochen zu verstehen. Allein in einem Monat wurden drei Flugzeuge und eine Fähre gekapert. Wiederholte Proteste gegen die in den USA bestehende Straflosigkeit für die Entführer blieben ebenso folgenlos wie der damit offensichtliche Verstoß der US-Behörden gegen internationales Recht. Offenbar sollte die Regierung in Havanna zu harten Reaktionen gezwungen werden, die der Anti-Castro-Propaganda dienen. Kuba vermutet, dass ein geplanter mittelbarer Konflikt mit der Dämonisierung des Landes beginnt. Die kommenden Monate werden zeigen, ob dieser Plan aufgeht.

Auch Staatschef Fidel Castro zeigte sich davon überzeugt, "dass wir den Kampf gegen die Provokationen aus den USA führen müssen, eben weil sie auf einen ernsteren Konflikt mit den USA abzielen". Es solle ein Klima erzeugt werden, das gar militärischen Aktionen gegen Kuba den Weg bereite. Trifft dies zu, wären die Vorbereitungen einer militärischen Aktion der USA gegen Kuba mit den Einreisebeschränkungen für Kubaner in die USA, den so provozierten Entführungen, den Urteilen und dem Protest dagegen bereits im fortgeschrittenen Stadium. Die drastischen Strafen sind keineswegs ausschließlich ein Signal nach innen. Die Regierung des Inselstaates versucht, den Provokationen der Gegenseite aus den USA Einhalt zu gebieten. Gelingt dies nicht, wird sie sich international jedoch weit ins politische Abseits katapultieren. Havanna pokert hoch.

Diskussion um Todesstrafe auf Kuba

Der Provokationstaktik aus den USA dient auch die Kritik von Menschen zu, die der kubanischen Revolution bislang solidarisch gegenüber standen. So erklärte der portugiesische Träger des Literaturnobelpreises José Saramago aus Protest gegen die Anwendung der Todesstrafe in einem offenen Brief seine Distanzierung zum sozialistischen Inselstaat. Ricardo Alarcón, der Parlamentsvorsitzende Kubas, versuchte die Wogen zu glätten. "Es war eine Maßnahme, die wir ergriffen haben, weil wir sie ergreifen mussten, um den Angriffen aus Washington zu begegnen."

Im Gegensatz zu den USA und anderen nun protestierenden Staaten war die Todesstrafe auf Kuba über Jahre hinweg nicht angewandt worden. Im Mai 2000 hatte Rubén R. Ferro, der Vorsitzende des Obersten Gerichtshofes, die Einstellung der Todesstrafe auf Kuba angekündigt - ein Vorhaben, das von Beginn an von der Terrordrohung aus den USA behindert wurde. Solange aus dem Nachbarland terroristische Gruppen ungehindert operieren können, wird es keinen "Normalzustand" geben können. Solange gerade die Regierung der einzig verbleibenden Großmacht internationale Abkommen mit dem Ziel missachtet, Kuba zu destabilisieren, wird die Todesstrafe wohl nicht abgeschafft werden. Hinter diesem Argument darf man sich nicht verstecken, wenn es um eine humanistische Kritik an der Todesstrafe geht. Man darf es aber auch nicht außer Acht lassen, wenn die Frage nach Verantwortlichkeiten gestellt ist.