Schuldner-Atlas: Ruhe vor dem Sturm?
Die Zahl der Insolvenzen ging 2021 zurück. Doch die Nachwirkungen der Pandemie zeigen sich erst noch, betonen Forscher
Wirtschaftlich ist Deutschland bislang vergleichsweise gut durch die Pandemie gekommen. Das zeigt sich unter anderem in der Zahl der überschuldeten Haushalte, die im vergangenen Jahr deutlich zurückging und auf dem niedrigsten Stand seit 2014 steht. Das erklärte die Wirtschaftsauskunftei Creditreform am Donnerstag, als sie ihren aktuellen Schuldner-Atlas vorstellte.
Im letzten Jahr waren demnach 6,16 Millionen Privatpersonen überschuldet – immerhin rund 700.000 Fälle weniger als im Vorjahr. Betroffen sind damit bundesweit rund 3,08 Millionen Haushalte, die ihre laufenden Ausgaben nicht durch ihre Einnahmen decken könne. Dieser Rückgang ist ein gutes Zeichen – doch der Schein trügt.
Die Folgen der Corona-Pandemie machen sich erst zeitverzögert bei der Verschuldung bemerkbar. Und sie treten mit Langzeitwirkung auf. "Megatrends wie gestörte Lieferketten, steigende Energiepreise und anhaltende Inflation wirken erst auf die Wirtschaft und dann auf die Geldbeutel der Verbraucher", erläuterte der Leiter der Wirtschaftsforschung bei Creditreform, Patrik-Ludwig Hantzsch, als der "SchuldenAtlas" vorgestellt wurde.
Die positiven Zahlen nannte Hantzsch ein "Überschuldungs-Paradoxon". Die staatlichen Maßnahmen in der Pandemie hätten die Lage stabilisiert. Insbesondere das Kurzarbeitergeld und die Überbrückungshilfen. Sie hätten die Unternehmen massiv gestützt – und damit auch Arbeitsplätze und Verbraucher. Aber: "Die derzeit noch stabile Situation der Verbraucher ist eng mit der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung verbunden", so Hantzsch weiter.
Konsumverzicht durch Corona-Maßnahmen
Ein anderer Grund für die rückläufigen Zahlen bei den Privatinsolvenzen sei der Konsumverzicht durch die staatlichen Corona-Maßnahmen. Wenn die Urlaubsreise zum Beispiel nicht erlaubt ist, dann kann auch dafür kein Geld ausgegeben werden. Deshalb hätten die Verbraucher seit Anfang 2020 mehr als 200 Milliarden Euro zusätzlich angehäuft. Das hätte aber auch dazu geführt, dass viele Schuldner in laufenden Inkasso-Verfahren die geschuldeten Beiträge zügiger gezahlt hätten, sagte Hantzsch.
Damit könnte es aber bald wieder vorbei sein, denn steigenden Preise belasten die Menschen in Deutschland immer stärker, vor allem die mit niedrigen Einkommen. Mit der galoppierenden Inflation müssen sie für alltägliche Ausgaben immer tiefer ins Portemonnaie greifen. Damit wird für sie der Spielraum geringer, in dem sie Schulden begleichen können.
Mickrige Renten und niedrige Löhne machen sich auch in Form der Überschuldung von älteren Menschen bemerkbar. In der Altersgruppe der 60- bis 69-Jährigen zeigte sich 2021 ein deutlicher Anstieg. In dieser Altersgruppe seien rund 769.000 zu verzeichnen, heißt es in dem Bericht. Und das entspricht einem Anstieg von sechs Prozent. Dabei nehme die Zahl "harter" Überschuldungsfälle weiter zu. Sie stiegen um 113.000 Fälle.
Doch auch für die Jüngeren gibt Creditreform keine Entwarnung. Überschuldungsquoten und Überschuldungsfälle sinken demnach zwar in fast allen Altersgruppen, doch immer noch hätten viele Menschen mit Einkommenseinbußen zu kämpfen. 32 Prozent oder rund 13,5 Millionen Haushalte müssen demnach noch Einbußen vom Nettoeinkommen verkraften. Außerdem habe der sogenannte "finanzielle Stress" der Verbraucher wieder zugenommen und sei auf dem höchsten Wert seit 2020.
Auch die Firmenpleiten sind auf einem niedrigen Niveau angekommen – aber die wirtschaftlichen Probleme vieler Unternehmen könnten in den nächsten Monaten zunehmen, sagte Hantzsch. Er begründete das mit den staatlichen Corona-Hilfen. Fast die Hälfte der Hilfszahlungen machen demnach Kredite der Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) aus, die zurückgezahlt werden müssen. Noch habe aber die Tilgungsphase nicht begonnen.
Noch ist wenig von den potenziellen Problemen zu spüren. Bei den Amtsgerichten gingen von Januar bis einschließlich Oktober 2021 insgesamt 11.738 Meldungen von Unternehmensinsolvenzen ein. Für das Gesamtjahr schätzt Creditreform die Zahl auf 14.300 Firmenpleiten.
Doch in diesem Jahr könnte die Zahl wieder ansteigen. Davon sind Experten überzeugt. Der Kreditversicherer Euler Hermes hatte schon im Oktober prognostiziert, dass bis zu 16.300 Unternehmen Insolvenz beantragen könnten.
Ähnlich sehen es die Forscher vom Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung Halle (IWH), das monatlich einen Insolvenztrend veröffentlicht. "Die Nachwirkungen der Pandemie werden sich vollumfänglich erst nach Auslaufen der großzügigen Kurzarbeitergeld-Regelungen in den Insolvenzzahlen zeigen", sagte IWH-Forscher Steffen Müller der Deutschen Presse-Agentur. Mit massiven Jobverlusten rechnet er allerdings nicht mehr.
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