Schulstreiks: Was wollen die Schüler?
Kohleausstieg bis 2030, ein Viertel aller Kohlekraftwerke sofort abschalten, 180 Euro pro Tonne CO2. Sonst wird weiter gestreikt
"Die Naturgesetze lassen sich nicht verhandeln", sagte Svenja Kannt, eine der Sprecherinnen der streikenden Schüler des deutschen Ablegers der FridaysForFuture-Bewegung, die am Montag in Berlin ihre Forderung vorstellte - ihre Forderungen an die hiesigen Politiker und nicht allgemein an die Weltgemeinschaft, denn: "Deutschland darf seine Probleme nicht den armen Ländern aufhalsen", ergänzte Šana Strahinjić, eine Mistreiterin von Kannt.
Überhaupt spielt Klimagerechtigkeit für die Schüler eine große Rolle. Das ist sowohl auf den Demonstrationen zu hören und zu sehen, wie es auch im vorgestellten kurzen Grundsatzpapier deutlich wird. "Sozial ausgewogenen Klimaschutz, der niemanden zurücklässt", forderte Linus Steinmmetz, der am Montag mit auf dem Podium saß. Als reiches Land habe Deutschland eine besondere Verantwortung, so Sebastian Grieme, in Berlin der Vierte im Bunde. Bis 2035 müssten die Emissionen spätestens auf Null sein, eigentlich müsste es sogar noch schneller gehen.
Die Pressekonferenz fand im Berliner Naturkundemuseum statt und wurde auf Phoenix übertragen (hier kann man sie sich noch in der Mediathek des Senders anschauen). Museumsdirektor Johannes Vogel begrüßte eingangs die reichlich erschienenen Presse-Vertreter. Insbesondere viele Funkmedien zeigten Interesse. Wissenschaft und Schüler hätten ein gemeinsames Anliegen, so Vogel: "Sie wollen in der Frage, wie geht es mit diesem Planeten nachhaltig weiter, gehört werden. Das heißt: Jetzt müssen wir aktiv werden."
Vogel verwies auf die großen Saurier-Skelette, die den dramatischen Hintergrund der Pressekonferenz bildeten. Es gebe wohl keine bessere Ausstellung, die zeige, "wie es sich anfühlt, durch Klimawandel, durch Veränderungen der Umwelt ausgestorben zu sein".
Die Saurier waren vor 65 Millionen Jahren dem Einschlag eines großen Meteoriten im Golf von Mexiko zum Opfer gefallen. Dieser wirbelte so viel Staub auf, dass die Erde für einige Jahre erheblich verdunkelt wurde und abkühlte. In der Folge ging das Pflanzenwachstum zurück, was viele Nahrungsketten zusammenbrechen ließ.
Kohleausstieg bis 2030
Die Schüler haben derweil ihre mit fast 500 Ortsgruppen in Deutschland abgestimmten Forderungen bewusst allgemein gehalten. Man habe nur Ziele formulieren wollen. Dorthin gebe es verschiedene Wege, die von Politik und Wissenschaft beschrieben werden müssten. Die Ziele haben es aber immerhin in sich.
Oberste Priorität habe die Einhaltung des Pariser Klimaschutzübereinkommens, in der sich die 185 teilnehmenden Staaten darauf verpflichten, die globale Erwärmung "deutlich unter zwei Grad gegenüber dem vorindustriellen Niveau und möglichst nicht höher als 1,5 Grad Celsius" zu halten.
Die Schüler legen sich dabei auf das untere Ende, auf die 1,5 Grad-Celsius-Grenze fest, deren Einhaltung sie fordern. Dabei können sie sich auf den IPCC (Intergovernmental Panel on Climate Change), die UN-Organisation für Klimawissenschaften, berufen. Der hatte im vergangenen Jahr in einem Sonderbericht darauf hingewiesen, dass schon im Bereich zwischen 1,5 und zwei Grad globaler Erwärmung die Warmwasser-Korallenriffe gänzlich absterben könnten und auch die langfristige Destabilisierung einiger großer Eisschilde drohe.
Auch die Schüler wiesen am Montag in Berlin darauf hin, dass es zahlreiche Kipppunkte im Klimasystem gebe, die überschritten werden könnten. Entsprechend sehen sie eine große Dringlichkeit. "Die Zeit drängt", so Sebastian Grieme. Der Meeresspiegel steigt, die Dürren nehmen zu, aber in Deutschland würden weiter fossile Energieträger mit 45 Milliarden Euro im Jahr subventioniert.
Die Ziele des Pariser Klimaübereinkommens könnten nur erfüllt werden, meinten die Schüler unter Berufung auf die Wissenschaft, wenn die deutschen Emissionen bis 2035 auf netto Null gedrückt würden. Bis zu dem Zeitpunkt müsse die Energieversorgung vollständig auf erneuerbare Energieträger umgestellt sein. Die notwendige Technologie sei dafür bereits vorhanden.
Und Deutschland müsse bis 2030 aus der Kohle aussteigen. Man habe schon, als die Kohlekommission noch tagte, deutlich gemacht, dass bei deren Ausstiegsdatum 2038 nicht von einem gesellschaftlichen Konsens gesprochen werden könne.
Unterstützung von den Eltern
Aufgeben wollen die Schüler jedenfalls noch lange nicht. Man werde weiter streiken, bis Deutschland auf den Weg ist, die Pariser Ziele zu erreichen, so Steinmetz. Trotz allen Diskussionen über Lebensstilveränderungen, die bei den Schülern offensichtlich beliebt sind, wurde auch klar, dass es um das große Ganze geht: "Solange die Politik nicht handelt, kann das Individuum die Welt nicht retten", so Grieme.
Die Erwartungen an die Politik sind hoch. Noch in diesem Jahr solle die Subventionen für fossile Energieträger eingestellt werden. Ebenfalls noch 2019 wollen die Schüler ein Viertel aller Atomkraftwerke abgeschaltet sehen. Das ginge schon, wenn Deutschland aufhörte, die Nachbarländer mit billigem Kohlestrom zu überschwemmen.
Schließlich wollen sie eine sofortige Bepreisung aller CO2-Emissionen. Eine Forderung, wie sie zuletzt sogar aus Kreisen der FDP erhoben wurde. Nur wird den Liberalen vermutlich nicht gefallen, was den Schülern vorschwebt. Diese wollen nämlich, dass der Preis pro Tonne CO2 zügig auf 180 Euro pro Tonne hochgeschraubt wird.
Derzeit liegt er für Kraftwerke eher bei etwas über 20 Euro. Die Schüler berufen sich dabei auf Untersuchungen des Umweltbundesamtes, wonach eine heute emittierte Tonne CO2 in Zukunft Schäden in der genannten Höhe anrichten wird.
100prozentige Unterstützung kommt von den "ParentsForFuture", Eltern- und Erwachsenengruppen, die sich hierzulande und in anderen Ländern in zahllosen Ortsgruppen zusammengeschlossen haben, um die Schulstreiks für mehr Klimaschutz zu unterstützen.
Diese haben inzwischen über Ländergrenzen hinweg einen globalen Aufruf zum Handeln abgestimmt und veröffentlich. Darin heißt es unter anderem, dass sich der Klimawandel über die Erwartungen hinaus beschleunigt habe. Was die Kinder sagten sei das gleiche, was die Wissenschaften bereits seit vielen Jahren immer wieder betonen. Die Kinder hätten den Anstoß gegeben und müssten unterstützt werden. Sie trügen die Hauptlast, in dem sie gegen die Trägheit der bestehenden Systeme aufstünden.
Für Lorenz Gösta Beutin, bei der Linksfraktion im Bundestag für Energie- und Klimapolitik zuständig, sind die Forderungen der Schüler ein "Weckruf an die tatenlose Bundesregierung". Ein Kohleausstieg bis 2030 und eine 100prozentige Versorgung mit erneuerbaren Energieträgern bis 2035 seien machbar. Die Linke erkläre sich solidarisch mit den Klimastreikenden und ihren Forderungen.
Die Bundesregierung müsse ihre Ziele endlich in Übereinstimmung mit der Pariser Übereinkunft bringen und ein verbindliches Klimaschutzgesetz schreiben. Er erhofft sich mehr gesellschaftlichen Druck, durch die im Sommer im Rheinland an den Braunkohlegruben geplanten Aktionen sowie durch eine internationale Klimaschutzdemonstration in Aachen.
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