Schwarze Löcher: Die Singularität des vorigen Tages
Seite 2: Wie man in ein Schwarzes Loch hineinfällt
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Die Gravitationstheorie von Newton ist einfach: Die Kraft, mit der sich zwei Massen anziehen, ist proportional zum Produkt der Massen und Inversproportional zum Quadrat des Abstands. Die Anziehung wird augenblicklich übertragen, als eine Art Fernwirkung. Dies war allerdings ein Schönheitsfehler der Theorie, womit Newton nie zufrieden war.
Die Theorie von Einstein ist dagegen eine lokale Theorie. Sie erklärt, wie Massen Raum und Zeit um sich herum verformen. Statt eine Fernwirkung haben wir eine lokale Wirkung auf Raum und Zeit. Einsteins Tensorformel reduziert sich auf zehn sogenannte Differentialgleichungen, die erklären, wie aus gegebenen Anfangsbedingungen das nächste Stück des Raum-Zeit-Kontinuums berechnet wird, und aus diesem das nächste, usw. Wir können also im Computer für eine gegebene Massenverteilung und unter gewissen Voraussetzungen die Geometrie des Raumes Schritt für Schritt rekonstruieren. Eine Bedingung ist, dass kein Signal sich mit einer höheren Geschwindigkeit als das Licht fortpflanzen kann.
Für die Darstellung der Bewegung von Teilchen kann man Raum-Zeit-Diagramme verwenden, wie in Abb. 3. Hier gibt es nur eine Raumrichtung (x), während die Zeitrichtung vertikal angezeigt wird. Die Physiker ändern die Raum- und Zeit-Einheiten, so dass die Lichtgeschwindigkeit als c=1 geschrieben werden kann. In solchen Einheiten gemessen kann ein Lichtstrahl, der den Ursprung des Systems verlässt, nur über die Diagonale des Diagramms wegfliegen (in beide Richtungen). Jedes andere Partikel kann sich nicht so schnell bewegen und seine Trajektorie bleibt innerhalb des "Lichtkegels" gefangen. Die Zeit tickt nur in Richtung Zukunft und erlaubte Trajektorien müssen dies berücksichtigen.
Wenn man sich jetzt vorstellt, dass die Welt nur zwei Dimensionen hat, können wir die vertikale Achse für die Darstellung der Zeit verwenden. Abb. 4 zeigt den Zukunfts- bzw. Vergangenheitskegel eines Ereignisses am Ursprung des Koordinatensystems. Im Zukunftskegel sind alle Stellen in Raum-Zeit, die vom Ereignis am Ursprung beeinflusst werden können, d.h., dort sind alle Ereignisse in Raum-Zeit, die von einem Signal aus dem Ursprung erreicht werden können (und das Signal kann höchstens Lichtgeschwindigkeit haben). Im Vergangenheitskegel sind alle Ereignisse, die die Gegenwart am Ursprung hätten beeinflussen können (durch ein Signal). Wenn man sich dann in der Welt bewegt, trägt man sein Koordinatensystem mit. Das Merkwürdige bei der Relativitätstheorie ist allerdings, dass die Zeit nicht global tickt, sondern dass jeder Beobachter seine eigene Uhr und Zeit mitschleppt und die Zeitachsen von Beobachtern in relativer Bewegung zueinander nicht parallel stehen.
Wenn man mit einer Rakete unterwegs im Weltraum ist, trägt man also seine lokale Uhr mit sich. Die Vergangenheits- und Zukunftskegel sind lokal definiert. Etwas Merkwürdiges geschieht, wenn eine Rakete in ein schwarzes Loch fällt (Abb. 5).
Auf der linken Seite von Abb. 5 sieht man, wie ein Beobachter geradeaus in ein Schwarzes Loch fällt. Der Schwarzschild-Radius wird angezeigt, das ist der "point of no return". Hat ein Teilchen den Ereignishorizont überquert, kann es nicht mehr raus.
Auf der rechten Seite von Abb. 5 sieht man das entsprechende Raum-Zeit-Diagramm. Die Zeit wird durch die vertikale Koordinate dargestellt. Der Beobachter in grün bleibt im Weltraumschiff draußen stehen (d.h. die Weltlinie bewegt sich nur in der Zeit, d.h. nach oben). Der blaue Beobachter steuert in Richtung Schwarzes Loch. Die lokale Zeitachse ist verdreht in Bezug auf den grünen Beobachter. Am Ereignishorizont angekommen hat sich der Lichtkegel weiter verdreht. Jetzt kann ein Photon am Rande des Lichtkegels nicht mehr wegfliegen vom Schwarzen Loch. Das Photon bleibt exakt am Ereignishorizont stehen (deswegen ist die rechte Diagonale vom Lichtkegel nun vertikal, d.h. die Zeit läuft, aber ein Lichtsignal des blauen hineinstürzenden Beobachters, in Richtung des grünen Beobachters, erreicht sein Ziel nie). Anders gesagt, der außenstehende Beobachter würde sehen, wie die Uhr des Weltraumfahrers immer langsamer wird und am Ereignishorizont stehen bleibt (die Uhr könnte man mit einem hin- und her reflektierenden Lichtsignal visualisieren).
Innerhalb des Schwarzen Lochs ist der Lichtkegel nun "umgekippt". Seltsamerweise wird die Radialrichtung nun "zeitähnlich", während die ursprüngliche Zeitachse "raumähnlich" wird. Das bedeutet, dass Radialbewegung hinter dem Ereignishorizont nur erlaubt ist, wenn der Beobachter unaufhörlich zum Zentrum strebt. Aber was die Zeit betrifft, darf man nun beide Richtungen (Vergangenheit und Zukunft) ansteuern.
Anders erklärt: In den Einsteingleichungen gibt es ein sogenanntes "Linienelement", aus dem die Geometrie von Raum und Zeit rekonstruiert wird. In der Lösung von Karl Schwarzschild ist das Linienelement durch eine Kombination der Änderungen in der Zeit und der Änderungen im Raum gegeben. Der Koeffizient für die Zeitvariable ist
(rs/r-1)
und für den Radialabstand vom Zentrum des Schwarzen Lochs ist der Koeffizient
(rs/r-1)-1
Außerhalb des Schwarzen Lochs ist der Radius r großer als der Schwarzschildradius rs und rs/r ist deswegen kleiner als 1. Der Koeffizient der Zeitvariable ist also negativ, und für die Radialrichtung ist der Koeffizient positiv. Das Linienelement ist in der Schwarzschildlösung insgesamt negativ. Da nur die Zeit einen negativen Beitrag beisteuert, darf die Änderung der Zeit nicht Null sein. Mit anderen Worten: Die Zeit darf außerhalb eines Schwarzen Lochs nie stehen bleiben. Auch nicht, wenn Faust dem Augenblick zuruft: "Verweile doch! Du bist so schön!".
Wenn der Beobachter aber den Ereignishorizont durchquert, wird nun r kleiner als rs, d.h. rs/r wird größer als 1 und die Vorzeichen der Zeit- und Radialvariable ändern sich!
Die Konsequenz des Vorzeichenwechsels ist, dass außerhalb des Ereignishorizonts die Zeit immer nur vorwärts ticken kann, während wir uns in die Radialrichtung zum Schwarzen Loch hin und her bewegen können (mit Raketenantrieb). Jedoch, und wegen des Vorzeichenwechsels, dürfen wir uns innerhalb des Ereignishorizonts in der Zeit frei bewegen, aber nicht in der Radialrichtung. Wir müssen immer in Richtung der Singularität streben, ein dorthin fallendes Partikel darf auf den Weg dahin nie stehenbleiben.
Außerhalb des Ereignishorizonts gibt es eine Technologie (Raketenantrieb), die uns erlaubt, weg vom Schwarzen Loch zu fliegen, jedoch nicht in die Vergangenheit. Innerhalb des Ereignishorizonts können wir nicht auf dem Weg zur Singularität stehenbleiben, egal wie viel Energie wir aufwenden möchten. Aber seltsamerweise sind Zeitreisen erlaubt, wobei die notwendige Technologie (Zeitantriebe?) noch zu erfinden wäre. Das ist was einige Physiker meinen, wenn sie über die Möglichkeit von Zeitreisen innerhalb von Schwarzen Löchern reden (und Science-Fiction Autoren haben häufig genug die Idee ausgeschlachtet).
Wären aber solche Zeitreisen möglich, könnte man sich das so vorstellen: Wenn man auf der Autobahn Berlin-Singularität fährt (diese ist 100 km lang und Berlin steht bei km 0), kann ich bei km 50 in die Vergangenheit wie Dr. Who reisen und wieder auf der Autobahn "landen", aber nur jenseits von km 50, z.B. bei km 75, d.h. immer nur näher zur Singularität. Insbesondere, kann ich nicht zurück in der Zeit reisen, um mich selbst zu töten (da ich nur bis km 50 normal gefahren bin).
Durch Zeitreisen wäre allerdings Bewegung mit Überlichtgeschwindigkeit in die Radialrichtung möglich, womit wir bei allen Paradoxien der verletzten physikalischen Kausalität landen. Um dies zu verhindern, hat Roger Penrose die Hypothese einer "kosmischen Zensur" postuliert: Es soll keine "nackten Singularitäten" im Universum geben, d.h. die oben beschriebenen Phänomene wären für externe Beobachter durch den Vorhang des Ereignishorizonts verdeckt, so dass wir außerhalb von Schwarzen Löchern kein Problem mit der Kausalität bekommen.
In "Inseln des vorigen Tages" von Umberto Eco zweifelt ein gestrandeter Matrose an der Realität einer Insel jenseits des Meridians der Datumsgrenze in Pazifik, die einen Kalendertag vom nächsten Kalendertag trennt. Für den Matrosen liegt jenseits der Datumsgrenze das Gestern, und deswegen denkt er, dass vielleicht die beobachtete Insel nicht mehr da ist (es ist ja die Insel des "vorigen Tages"). Er traut sich nicht, dahin zu schwimmen und ertrinkt.
Die Autobahn Berlin-Singularität wäre auch so etwas. Man kann normal ins Verderben fahren oder mit einer Zeitmaschine. Ganz vorne, direkt am Abgrund, könnte gestern liegen.
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