Schweben statt fahren: Mehr Luftseilbahnen in die Städte!

Seite 2: Kurze Bauzeiten, niedrige Baukosten

Ein Hauptvorteil sind die im Vergleich zu einer Straßen- oder U-Bahn deutlich kürzeren Bauzeiten und niedrigeren Baukosten. Denn die Seilbahn ist "minimalinvasiv" – nur für Stationen und Masten nimmt sie städtischen Grund in Anspruch. So benötigte der österreichische Hersteller Doppelmayr für den Aufbau des heute zehn Linien und 37 Stationen umfassenden Netzes in La Paz lediglich acht Jahre (2012-2019); eine elfte Linie steht vor der Eröffnung.

Punkten kann die Seilbahn auch bei den Betriebskosten, da ihre Kabinen sozusagen "autonom" fahren und lediglich in den Stationen Personal zur Steuerung und Überwachung des Systems benötigt wird. So soll sich der Bau der ersten, vom Südtiroler Hersteller Leitner errichtete Linie in Medellín bereits nach einem Jahr amortisiert haben.

Auch für sich selbst haben die Hersteller mit den urbanen Systemen ein lukratives neues Geschäftsfeld geschaffen: Während die meisten alpinen Destinationen längst erschlossen sind, schlummert in den Städten der Welt noch ein riesiges, unausgeschöpftes Potenzial. Nahezu alle neueren Systeme stammen von den beiden Branchenführern Doppelmayr und Leitner und ihren diversen Partner- und Tochterfirmen.

Deutsche Projekte noch in der Schwebe

Dass der aktuelle Luftseilbahn-Boom zuerst die dynamisch wachsenden Städte in Schwellenländern erfasste, verwundert nicht, denn dort besteht ein großer Nachholbedarf beim öffentlichen Nahverkehr. Vor allem informelle Siedlungen sind oft komplett von der Kernstadt abgehängt und erhalten durch die Seilbahn erstmals eine leistungsfähige ÖPNV-Anbindung.

In deutschen und europäischen Städten mit ihren etablierten Nahverkehrssystemen geht es allenfalls um eine Ergänzung bereits gut ausgebauter Netze. Seit die lateinamerikanischen Seilbahnen Furore gemacht haben, entstanden aber auch hier viele Projekte und Ideen.

Tatsächlich gebaut wurden davon bisher nur wenige, wie z.B. die drei Kilometer lange Linie im südfranzösischen Toulouse, die einen Universitätscampus mit U-Bahn-Anschluss und ein auf einem Hügel gelegenes Großkrankenhaus über den Fluss Garonne hinweg mit einem Großparkplatz verbindet und im Mai 2022 in Betrieb gehen soll.

Bereits weit gediehene deutsche Projekte scheiterten hingegen am Bürgervotum (Hamburg und Wuppertal) oder sind auch nach Jahren der Überlegung und Diskussion noch buchstäblich "in der Schwebe" (München, Bonn).

Die Bonner Seilbahn hat aktuell eher gute Chancen auf eine Realisierung, während sich die bereits erwähnte Münchner Strecke nach einer kürzlich vorgelegten Machbarkeitsstudie nicht rechnet und stattdessen andere Verbindungen auf Seilbahn-Tauglichkeit untersucht werden sollen.

Weitere Untersuchungen sind auch zum Kölner "Rheinpendel" im Gange. Das spektakuläre Projekt sieht eine 33,5 Kilometer lange, im Zickzack mehrfach über den Rhein geführte Seilbahn mit 21 Stationen vor.

Was macht eine Seilbahn "urban"?

Ein wesentliches Kriterium ist die konsequente Einbindung der Seilbahnstrecke(n) in das lokale Nahverkehrssystem. Lediglich dem Tourismus dienende Verbindungen mit eingeschränkten Bedienungszeiten und einem Spezialtarif zählen somit nicht dazu, selbst wenn sie teilweise durch städtisches Gebiet führen.

Ein Beispiel ist die 2017 auf dem Gelände der Internationen Gartenschau im Berliner Bezirk Marzahn-Hellersdorf errichtete Umlaufbahn mit drei Stationen. Sie könnte von einer touristischen zu einer urbanen Seilbahn werden, wenn sie in die benachbarte Großsiedlung hinein verlängert und ins städtische Tarifsystem integriert würde – Überlegungen dazu gibt es bereits.

Wesentlich für den urbanen Charakter ist außerdem der praktische Nutzen im Rahmen des gesamten Verkehrssystems einer Stadt: Anstatt mit der Seilbahn ein zusätzliches Verkehrsmittel einzuführen, kann die Verlängerung einer vorhandenen Straßenbahn- oder Buslinie die bessere (da umsteigefreie) Lösung sein.

In diesem Sinn hätte man z.B. in Nizza anstelle der erwähnten Seilbahn auch eine neue Straßenbahnbrücke über Fluss und Autobahn bauen können. Diese für die Fahrgäste praktischere Lösung wäre aber vermutlich teurer (und weniger prestigeträchtig) gewesen.

Möglicherweise lässt sich ein Umsteigen zwischen Seibahnen und bodengebundenen Verkehrsmitteln künftig vermeiden. Bei dem an der RWTH Aachen entwickelten System "upBUS" lässt sich die Seilbahnkabine auf ein Fahrgestell umsetzen, um als Bus weiterzufahren. Ein ähnliches Konzept namens "ConnX" hat kürzlich der Seilbahnhersteller Leitner vorgestellt. So könnte aus der städtischen Seilbahn perspektivisch ein ganz neues, hybrides Verkehrsmittel entstehen.

Kritik an der urbanen Seilbahn

Neben ihrem bisweilen fragwürdigen Verkehrswert hat die urbane Seilbahn ein weiteres Problem, das es im Hochgebirge so nicht gibt: Sie schwebt über die Häuser, Gärten und Köpfe von Stadtbewohner:innen hinweg, die davon nicht immer begeistert sind.

So erwirkte eine von einem künftigen Seilbahn-Anlieger gegründete Bürgerinitiative das Aus für das bereits weit gediehene Seilbahnprojekt in Wuppertal. (Dabei hat man in der Stadt schon 120 Jahre Erfahrung mit "schwebenden" Verkehrsmitteln ...)

Um möglichen Protesten vorzubeugen, sollte eine Seilbahn daher nach Möglichkeit über öffentliches Gelände wie Straßen oder Parks geführt und die Überquerung von Privatgrundstücken vermieden werden. (Was übrigens auch bei der historischen Wuppertaler Schwebebahn beherzigt wurde.)

Ein weiterer, häufig geäußerter Kritikpunkt ist die mögliche Beeinträchtigung des Stadtbildes durch weithin sichtbare Masten und klobige Stationsgebäude. Hier sind die Planer:innen gefordert, gefällige Lösungen zu entwickeln – Musterbeispiele sind die vom niederländischen Architekturbüro UNstudio für Amsterdam und Göteborg entworfenen Seilbahnarchitekturen.

Historische Vorbilder

Übrigens sind Seilbahnen in städtischen Nahverkehrssystemen auch nicht völlig neu – allerdings handelt es sich bei historischen Systemen überwiegend um Standseilbahnen, die in topografisch schwierigen Städten wie Lyon, Neapel oder San Francisco schon seit weit über hundert Jahren ihren Dienst tun.

Luftseilbahnen, die nicht (nur) dem Tourismus, sondern auch dem Nahverkehr dienen, gab es vor dem aktuellen Boom hingegen nur vereinzelt. Ein Beispiel ist die "Roosevelt Island Tramway" in New York, die 1976 wegen Verzögerungen beim U-Bahn-Bau errichtet wurde und die im East River gelegene, bewohnte Insel mit dem Stadtteil Manhattan verbindet.

Auch in der algerischen Hauptstadt Algier wurden bereits ab 1956 Seilbahnen zur Erschließung höher gelegener Stadtviertel gebaut, mittlerweile gibt es sechs Linien.

Unumstrittener Rekordhalter bei urbanen Seilbahnen ist jedoch die georgische Bergbaustadt Tschiatura, in der zu Sowjetzeiten bis zu 26 Pendelbahnlinien für die Personenbeförderung und zusätzlich zahlreiche Seilfördersysteme für den Transport des abgebauten Manganerzes im Einsatz gewesen sein sollen. Die klaustrophobischen, rostigen Kabinen haben in der internationalen Seilbahn-Fangemeinde längst Kultstatus erlangt.

Mittlerweile wurden alle historischen Linien in Tschiatura aus Sicherheitsgründen stillgelegt. Als Ersatz ging im Sommer 2021 ein von der Leitner-Tochter Poma errichtetes, vier Linien umfassendes neues System in Betrieb. Außerdem sollen zwei der alten Pendelbahnen, darunter die sogenannte "Stalin-Bahn", denkmalgerecht restauriert werden.