Schweden: Steckt hinter der verdächtigen "Unterwasseroperation" Russland?
Schweden, das der Nato näher rückt, hat eine lange kriegerische Geschichte mit Russland hinter sich
Die Schwedin Cecilie S. verbringt einen Bildungsurlaub in Berlin, die Ausstellung "Weltenbruch. Die Künstler der 'Brücke' im Ersten Weltkrieg" hat es ihr angetan. Bei der Rückkehr nach Hause hofft sie ebenfalls auf einen "Bruch", nämlich darauf, dass sie in ein Land zurückkehrt, das sich wieder auf schwedische Werte zurückbesinnen wird. Stefan Löfven, der sozialdemokratische Wahlsieger, soll die Privatisierungen der konservativ-liberalen Koalition ebenso rückgängig machen wie das rücksichtslose Denken nur an sich selbst, der Gemeinsinn soll wieder einkehren in Schweden.
Die pensionierte Bibliothekarin sieht sich als klassische Wählerin der Sozialdemokraten, und es ist typisch, dass ihr ein Thema gar nicht gefällt - die Annäherung an die NATO. Löfvens Vorgänger Fredrik Reinfeldt unterschrieb noch kurz vor der Abwahl zusammen mit Finnland ein Partnerabkommen mit dem atlantischen Bündnis, das gemeinsame Übungen vorsieht.
Aus Sicht der typischen Wählerin der Sozialdemokraten sollte jedoch die Tradition der schwedischen Neutralitätspolitik weiter geführt werden, die dieses Jahr ihren 200. Geburtstag feiern durfte.
Doch angesichts der Ukraine-Krise versprachen beide politische Lager bereits im Mai zumindest die Landesverteidigung wieder zu stärken, 70 neue Gripen-Kampfflugzeuge sind in Auftrag gegeben, zu Löfvens Wahlversprechen gehört auch die Wiedereinführung der Wehrpflicht, die Reinfeldt abgeschafft hatte. Zudem ist Anfang Oktober mit Allan Wiman ein NATO-Beitrittsbefürworter der wirtschaftsliberalen Folkpartiet Vorsitzender des parlamentarischen Verteidigungsausschuss geworden.
Und nun fischt die schwedische Marine in den Küstengewässern Stockholms wie in den 1980er Jahren nach einer ausländischen "Unterwasseroperation". Damals lief ein sowjetisches U-Boot vor Schwedens Küste auf Fels, was zu einer diplomatischen Krise zwischen Stockholm und Moskau führte. Damit steht erneut ein konfrontativeres Verhältnis zu Russland in Schweden an, wobei schwedisch-russische Konfrontationen eine weitaus längere Tradition als die Neutralitätspolitik haben.
Russland weist alle Vermutungen von zurück, dass ein russisches U-Boot für die angeblich beobachteten Aktivitäten verantwortlich ist. Russland weist hingegen auf ein niederländisches U-Boot hin, das mittlerweile in den Hafen von Tallin eingelaufen sei.
Eine lange Kriegsgeschichte verbindet Schweden und Russland
Die Auseinandersetzung um den Einfluss im nördlichen Ostseeraum dauet seit dem Hochmittelalter, man spricht von insgesamt 33 Kriegen. Die Gründung der ersten russischen Reiche geht vermutlich auf schwedische Wikinger (Waräger) zurück, die im 9. Jahrhundert auf Schiffen von der Ostsee den Fluss Wolchow hinauf fuhren (Nowgoroder Rus) und den Fluss Dnepr herab (Kiewer Rus) und dort Herrschaftsformen bildeten. (die NS-Instrumentalisierung der "Normannentheorie" soll hier nicht diskutiert werden).
Mit drei Kreuzzügen - der erste dieser Kreuzzüge gilt als historisch nicht belegt - eroberten zwischen 1150 und 1293 die christianisierten Schweden das Küstengebiet des heutigen Finnlands sowie östliche Gebiete und errichteten Burgen.
Dabei ging es wohl nur vordergründig um die Bekehrung der "heidnischen" finno-ugrischen Völker, sondern um die Kontrolle des Handelswegs zwischen Nordeuropa und Byzanz über mehrere Flüsse und Seen und über den finnischen Meerbusen. Aber auch Druck von Seiten des Vatikans soll die damals katholischen Schweden veranlasst haben, gegen das orthodoxe Fürstentum Nowgorod vorzugehen.
Schon im 12. Jahrhundert soll es zu gegenseitigen Überfallen gekommen sein. Von ein paar Unterbrechungen abgesehen befanden sich Schweden und Nowgorod bis zum Pestausbruch 1350 in einem permanenten Kriegszustand. Zwischen 1397 und 1523 war Schweden durch die Gründung der "Kalmarer Union" Teil eines skandinavischen Handels- und Militärbündnisses, das sich aber vor allem selbst befehdete. Ein dänisch-russischer Angriff 1495 auf Wyborg konnte abgeschlagen werden - eine Allianz gegen Schweden, die übrigens bis ins frühe 19. Jahrhundert immer wieder geschlossen wurde.
Mit der Schwächung des Deutschen Ordens im Baltikum erhielten die russisch-schwedischen Auseinandersetzungen im 16. Jahrhundert einen neuen Schauplatz. Im ersten "Nordischen Krieg" gelang es Schweden 1583 mit skandinavischen und polnischen Verbündeten das nun von Moskau regierte Russland zurückzudrängen und von der Ostsee zu isolieren.
Die russischen Ostseefestungen wurden 1590 unter Boris Godonov zurückerobert, 1616 konnten die Schweden diese erneut einnehmen, auch im zweiten Nordischen Krieg (1655 bis 1660) waren die russischen Eroberungen der Ostseegebiete nur von kurzer Dauer. In den Zeiten der Wirren konnte der schwedische Feldherr Jakob De la Gardie 1610 sogar in Moskau einmarschieren, der Höhepunkt der schwedischen Dominanz.
Die Großmachtstellung Schwedens im Ostseeraum, die das Land im 17. Jahrhundert einnahm, fußte auf dem schlagkräftigen Militär und der mächtigen Marine, die Schwachstelle war die geringe Anzahl der Bevölkerung in Schweden und Finnland (ca. zwei Millionen)
Im sogenannten Großen Nordischen Krieg, (1700-1721) war Schweden anfangs in der Lage, die Allianz aus Polen, Dänemark und Russland zurückzuschlagen. Der damalige Zar Peter der Große reformierte jedoch seine Armee und konnte die schwedischen Festungen im sogenannten Ingermannland erobern, um so dort seine künftige Hauptstadt Sankt Petersburg in den Sümpfen der Narwa-Mündung bauen zu lassen. Oft wird die Stadt als "Fenster zum Westen" paraphrasiert, schließlich war Russland durch die Isolierung von der Ostsee über ein Jahrhundert auf den Eishafen Archangelsk für den Handel mit Europa angewiesen. Doch Sankt Petersburg war auch eine Kampfansage an das schwedische Königreich, das trotz wiederholter Angriffe 1705 den Bau nicht mehr verhindern konnte.
Von "rysskräck" zur Neutralitätspolitik
Im Jahr 1707 verstieg sich der schwedische König Karl XII. in seiner Verachtung der russischen Kriegskunst zu einem Marsch auf Moskau, um Russland endgültig in die Knie zu zwingen und wurde 1709 in einer Entscheidungsschlacht bei der ukrainischen Stadt Poltawa geschlagen. Danach diktierten die Gegner Schwedens das Geschehen, das skandinavische Land musste Estland und Livland an Russland abtreten, das ebenfalls eroberte Finnland konnte durch die Friedensverhandlungen 1721 wieder zurück gewonnen werden.
Nun wurde das Wort "rysskräck" ("Russenangst") geboren. Schweden startete im 18. Jahrhundert zwei wenig erfolgreiche Kriegsversuche, um die russische Ostseeherrschaft zurückzudrängen, in den Jahren 1808 und 1809 griff Russland als Verbündeter Napoleons Finnland und Nordschweden an und zwang das Königreich zur Kapitulation. Finnland wurde ein russisches Großfürstentum. Nun war Russland mit den besetzten Aland-Inseln nicht mehr weit von Stockholm entfernt, es soll 1809 sogar einen russischen Kavallerie-Angriff über die gefrorene Ostsee auf die Gegend nördlich von Stockholm gegeben haben. Die schwedische Regierung erarbeitete einen Fluchtplan, um bei einem russischen Angriff ins südliche Karlskrone umziehen zu können.
Mit seiner Beteiligung an der Völkerschlacht bei Leipzig 1813, Gefechten gegen Dänemark (1813) und einem Angriff auf Norwegen (1814) war Schweden dann an seinen bislang letzten offiziellen Kriegshandlungen beteiligt.
König Karl XIV. Johan änderte die Konfrontationspolitik in eine Balance-Strategie zwischen den beiden Großmächten England und Russland sowie zwischen Deutschland und Russland. Als Schwerpunkt dieser Balance-Haltung dienten ab 1900 die großen Eisenerzvorkommen im nordschwedischen Kiruna, an der alle europäischen Mächte interessiert waren.
Doch die Neutralitätspolitik war nicht dogmatisch, sie war immer antirussisch, beziehungsweise antisowjetisch. Dabei hielt die "Russenfurcht", das Bewusstsein der militärischen Überlegenheit Russlands, Schweden davon ab, bei verschiedenen Angriffsszenarien letztendlich einzusteigen.
Der Krim-Krieg stellte die erste Versuchung dar, wieder mit Kampfhandlungen gegen Russland zu beginnen. Pläne mit den Alliierten wurden geschmiedet, St Petersburg zu erobern und Finnland und Schweden in einer Regierungsunion zu verbünden. Doch der damalige König Oskar I. fürchtete zu sehr die russische Übermacht bei einem Gegenangriff und nahm auch die von den Franzosen eroberten Aland-Inseln nicht an.
Ein weiterer koordinierter Angriff auf Sankt Petersburg wurde im Jahre1910 angedacht. In Stockholm fand ein geheimes Treffen zwischen schwedischen und deutschen Militärs statt, die jedoch zu keinem verbindlichen Entschluss gelangten. Die Angst vor möglichen deutschen Ambitionen, sich einen Teil Schwedens einzuverleiben, war zu groß.
Die antisowjetische und prodeutsche Haltung der schwedischen Regierung
In beiden Weltkriegen sympathisierte Schweden mit dem Russland/Sowjetunion-Gegner Deutschland. Der schwedische Außenminister Knut Wallenberg erklärte 1914 gegenüber den Mittelmächten, dass Schweden, wenn es in den Krieg einträte, keinesfalls auf Seiten Russlands, sondern auf Seiten Deutschlands streiten würde.
Im Jahre 1915 wurde Schweden erneut von Deutschland mehrfach vergeblich umworben, eine gemeinsame Attacke auf Sankt Petersburg zu starten. Wallenberg erlaubte dem Deutschen Kaiserreich jedoch das schwedische Telegraphensystem zu nutzen, um so britischen Abhörversuchen zu entgehen. Im Jahre 1917 kamen Schweden und Deutschland überein, die seit 1809 russischen Aland-Inseln zu besetzen, jedoch kam hier die finnische Unabhängigkeitserklärung dazwischen.
Im Zweiten Weltkrieg lieferte Schweden Waffen und Flugzeuge an das am 30. November 1939 von der Roten Armee angegriffene Finnland, 10 000 Freiwillige meldeten sich.
Die antisowjetische und prodeutsche Haltung der sozialdemokratischen Regierung unter Per Albin Hansson manifestierte sich 1941 in der Erlaubnis, deutsche Truppen beim Angriff auf die Sowjetunion von Norwegen nach Finnland durch schwedisches Territorium fahren zu lassen.
Selbst der Chefredakteur der liberalen Zeitung "Dagens Nyheter", Sten Dehlgren, sagte schon vor dem Angriff im Jahre 1940: "Man muss wünschen, dass Deutschland den Krieg gewinnt, um uns vor dem Bolschewismus zu schützen."
Der Angriff auf die Sowjetunion löste auch unter Schweden, die dem NS-Regime nicht nahe standen, erst einmal Begeisterung aus, man hoffte, Hitler würde den Versuch von König Karl XII. zu Ende führen.
Die schwedische Außenministerin Marogt Wallström sieht eine "schwere Bedrohung in der Ostsee"
Nach dem Krieg bemühte sich Schweden vergeblich um einen skandinavischen Block als Verteidigungsbündnis gegen Russland und verblieb neutral. Dass Schweden im Kalten Krieg parteiisch war, bewies 1952 die Catalina-Affäre, bei der im Rahmen eines Spionageflugs im Auftrag der Briten zwei schwedische Flugzeuge von sowjetischen Abfangjägern abgeschossen wurden.
Das bereits erwähnte Eindringen sowjetischer U-Boote in schwedische Küstengewässer in den 1980er Jahren führte wieder zu einem Anwachsen der Russenfurcht. Dies wurde durch die NATO ausgenutzt. Denn auch britische und amerikanische U-Boote, wovon in Schweden damals nur hohe schwedische Militärs wussten, machten Schwedens Küste unsicher, weil sie für sowjetische Boote gehalten worden. Ziel war die Torpedierung der Entspannungspolitik der schwedischen Regierung.
Auch der rätselhafte Untergang der Ostsee-Fähre Estonia im September 1994 kann als Kapitel der schwedisch-russischen Auseinandersetzung gelten. Das schwedische Verteidigungsministerium gab zu, dass die Fähre genutzt wurde, sowjetisches Waffenmaterial aus der ehemaligen Sowjetrepublik nach Stockholm zu transportieren.
Erwähnt sei noch die schwedisch-polnische Initiative "Östliche Partnerschaft", mit der Schweden und Polen eine Annäherung von ehemaligen Sowjetrepubliken an die EU initiierten. Russland sieht diese Initiative, die auch der Ukraine das EU-Assoziierungsabkommen vorschlug, als Eingriff in seine Interessensphäre.
Die Verletzung des Luftraums und des Hoheitsgewässers führen derzeit zu Verunsicherung in Schweden. Nach seiner Wahl hat Stefan Löfven eine NATO-Mitgliedschaft klar ausgeschlossen.
Insgesamt wirkt der neue Premier recht zögerlich. Auf einer Pressekonferenz in Helsinki am Montag mit dem dortigen Amtskollegen Alexander Stubbe äußerte er sich erstmals zu der aktuellen U-Boot-Krise und sagte nicht mehr, als dass man nicht wisse, was das ist. Danach will sich Löfven mit den Staatschefs der baltischen Länder treffen, um eine gemeinsame, noch nicht definierte Sicherheitspolitik zu sprechen. Eine klarere Kante zeigte die Außenministerin Marogt Wallström, die "eine schwere Bedrohung in der Ostsee" ausmachte, ohne den Urheber zu nennen.
Stefan Ring, Dozent an der schwedischen Hochschule für Verteidigung sieht in den Unterwasseraktionen schon den Charakter einer russischen Kriegsvorbereitung. Oder war es vielleicht wieder ein NATO-U-Boot, wie die Leser des Svenska Dagbladet fragen.
Am Donnerstag wird Schweden seinen Verteidigungshaushalt erhöhen. Wenn die "U-Boot-Jagd" des schwedischen Medien und des schwedischen Militärs zu Ende geht, wird die NATO-Debatte im Königreich richtig beginnen.