Schweden: Wie die Regierung Löfven über Mietpreise stürzte

Hat sich verkalkuliert: Stefan Löfven. Bild: Staffan Andersson, CC BY-SA 4.0

Das Ende der Regierung des Sozialdemokraten hat etwas mit Sozialpolitik und viel mit der veränderten Parteienlandschaft zu tun

Die schwedische Regierung ist zerfallen und Ministerpräsident Stefan Löfven hat die zweifelhafte Ehre, als erster Amtsinhaber über ein Misstrauensvotum abgesetzt worden zu sein. Ausgangspunkt der Krise war, dass die schwedische Linkspartei im Kampf um ihre Glaubwürdigkeit eine Drohung wahrmachte, die wohl keiner ernst genommen hatte.

Gewinner der Krise dürften aber die rechten Schwedendemokraten sein, die hier am Beispiel des politischen Gegners zeigen konnten, wohin es führt, wenn man demokratisch gewählte Parteien von Gesprächen ausschließt.

Drohungen gehören zum politischen Theater - so werden Interessen durchgesetzt. Viele sind rein rhetorischer Natur. Und so gingen die meisten auch davon aus, die Drohung der ehemaligen Linkspartei-Vorsitzenden Jonas Sjöstedt bei der Regierungsbildung im Januar 2018 werde nie umgesetzt: "Versuchen sie Marktmieten und ein schlechteres Arbeitsrecht umzusetzen, dann entziehen wir unsere Unterstützung. Dann fällt Stefan Löfven", sagte er. Eine Linkspartei, die einen sozialdemokratischen Ministerpräsidenten vorsätzlich absägt? Bis vor kurzem nicht vorstellbar in Schweden.

Regierung mit Geburtsfehler

Löfvens jüngste rot-grüne Minderheitsregierung hatte jedoch einen Geburtsfehler: Die Unterstützer hatten sich lediglich im gemeinsamen Interesse zusammengefunden, eine Mehrheit ohne die Schwedendemokraten zu ermöglichen. Dafür hatten die liberale Zentrumspartei (31 Sitze) und die "Liberalen" (19 Sitze) den sogenannten bürgerlichen Block verlassen und hatten mit den Sozialdemokraten (100 Sitze) und der grünen Umweltpartei (16 Sitze) ein 73-Punkte-Programm verhandelt, das sogenannte Januarabkommen.

Von den 73 Punkten waren einige deutlich (neo-)liberal geprägt, besonders das Aufweichen des Arbeitsplatzschutzes und die freie Mietpreisgestaltung für Neubauten, verkürzt "Marktmieten" genannt. Die Linkspartei (27 Sitze) war nicht Teil der Verhandlungen. Auf ausdrücklichen Wunsch des damaligen Vorsitzenden der Liberalen, Jan Björklund, sollte sie gar keinen Einfluss haben. Der Passus wurde als "Erniedrigungsklausel" bekannt.

Dennoch wurden die Stimmen der Linken benötigt, damit Löfven Ministerpräsident werden konnte. Der Journalist Viktor Barth-Kron beschrieb diese Fünf-Parteien-Konstellation so so:

Zwei haben ihre Politik durchbekommen (die liberalen Stützparteien), zwei haben die schönen Posten bekommen (die offizielle Regierungskoalition aus Sozialdemokraten und Umweltpartei) und eine sollte still sitzen und die Klappe halten (die Linkspartei).

Viktor Barth-Kron

Dabei hatte es bereits im Herbst geknirscht im politischen Gebälk, uns zwar bei der Reform des Schutzes für Angestellte, in Schweden als LAS (lagen om anställningsskydd) bekannt. Linkspartei-Chef Jonas Sjöstedt stand kurz vor seinem Abschied, konnte aber halbwegs sein Gesicht wahren.

Nun nahte die zweite rote Linie, die Frage der Mietpreisgestaltung. Die Linkspartei könne nicht dazu beitragen, das "Folkhemmet", den schwedischen Wohlfahrtsstaat, abzuwickeln, so Nooshi Dadgostar, die neue Parteivorsitzende. Sie stellte der Regierung vergangene Woche ein Ultimatum, das nicht den gewünschten Erfolg hatte. Daraufhin kündigte sie an, Mehrheiten für ein Misstrauensvotum zu suchen.

Über Nooshi Dadgostar brachen die Vorwürfe herein: Es gebe noch keinen Gesetzesentwurf, nur eine Untersuchung zum Thema. Man habe Vorschläge gemacht, sie habe sie nicht annehmen wollen. Und wie könne man überhaupt eine Regierungskrise anzetteln, mitten in der Pandemie!

In der Politiksendung Agenda am Vorabend wurde Dadgostar gefragt, ob das Thema es wert sei, dafür eine sozialdemokratische Regierung zu Fall zu bringen. Die Linke antwortete, ihre Partei sei bei den Kompromissen schon sehr weit gegangen. Dadgostar machte aber auch klar, dass sie niemals eine rechte Regierung unterstützen würde - sie wünschte sich lediglich eine Regierung Löfven, die auch mit der Linkspartei ernsthaft verhandelt.

Die Linkspartei hätte allein nicht die notwendigen Stimmen gehabt, ein Misstrauensvotum zu beantragen. Die rechten Schwedendemokraten (62 Sitze) nutzten dann die historische Chance und stellten ihrerseits den Antrag - die haben Stimmen genug. Die Schwedendemokraten hätten vermutlich jede Chance genutzt, Löfven zu Fall zu bringen.

Tatsächlich sind sie aber auch gegen eine Deregulierung der bisherigen Mietpreisgestaltung. Die Moderaten (70 Sitze) und die Christdemokraten (22 Sitze) wiederum halten deregulierte Mieten für gut, aber nicht die Regierung Löfven, und stimmten deshalb ebenfalls gegen ihn. Insgesamt bekundeten 181 von insgesamt 349 Abgeordneten ihr Misstrauen gegenüber dem Ministerpräsidenten, 51 enthielten sich, 109 sprachen ihm ihr Vertrauen aus und acht waren abwesend.

Wie geht es weiter nach dem Misstrauensvotum?

Als Stefan Löfven versuchte, nach der Wahl im Herbst 2018 eine Regierung zu bilden, dauerte es vier Monate. Er hat nun eine Woche Zeit, sich zu entscheiden, ob ein neuer Versuch aussichtsreich ist oder ob er Neuwahlen ausruft. Unter den heutigen Verhältnissen scheint es noch schwieriger, noch einmal eine Mehrheit zusammenzubekommen. Sozialdemokraten und Grüne würden die Mietpreisfrage zwar leichten Herzens ad acta legen und somit der Linkspartei entgegenkommen.

Doch die Deregulierung der Mietpreise ist ein Herzensprojekt sowohl der Zentrumspartei als auch der Liberalen. Dies sei notwendig, um Wohnungsbau attraktiver zu machen und die Wohnungsnot insbesondere in Stockholm zu lindern.

Die Liberalen – jene Partei, deren ehemaliger Vorsitzender die Linkspartei ausgrenzen wollte – haben sich unter der amtierenden Vorsitzenden Nyamko Sabuni zudem neu orientiert. Man habe das Januarabkommen zwar erfüllen wollen. Die Partei stimmte deshalb auch nicht gegen Löfven.

Grundsätzlich sehe man aber seine Vorstellungen in einer bürgerlichen Regierung besser umgesetzt, auch wenn diese von den Schwedendemokraten gestützt werde. Diese Chance komme nun schon vor der regulären Wahl Herbst 2022. Es habe sich gezeigt, dass es keine Mehrheit für das Januarabkommen gebe.

Ohne die Liberalen wird es für Löfven schon rechnerisch schwierig. Es gibt zwei parteilose Abgeordnete, auf die er aber nicht zählen kann.

Annie Lööf, die Vorsitzende der Zentrumspartei, sah in dem Misstrauensvotum den Anlass dazu, gegen den "Einfluss von Parteien vom äußeren Rand" zu wettern - rechts wie links. Ulf Kristersson von den Moderaten, der potenzielle Ministerpräsident des rechts-bürgerlichen Lagers, nutzte dagegen jede Gelegenheit, um darauf hinzuweisen, dass das eben dabei herauskomme, wenn man nicht mit allen Parteien rede.

Dabei ging es ihm weniger um die Linkspartei, sondern um die Schwedendemokraten. Denn inzwischen reden die Moderaten und Christdemokraten mit den früher tabuisierten Schwedendemokraten. Sie können sich vorstellen, eine bürgerliche Regierung zu bilden und von den Schwedendemokraten unterstützen zu lassen. Allerdings hatten auch Kristersson und die Christdemokraten-Vorsitzende Ebba Busch immer wieder betont, man werde sich von den Schwedendemokraten nicht die Inhalte diktieren lassen. Deren Vorsitzender Jimmie Åkesson wiederum hatte stets klargemacht, dass es keine Unterstützung ohne Einfluss gebe.

Bei den aktuellen Mehrheitsverhältnissen hätte Kristersson aber nur eine Chance, wenn sich Annie Lööf und die Zentrumspartei wieder dem bürgerlichen Lager zuwenden, was nach jetzigem Stand nicht sehr wahrscheinlich ist. Als letzter Ausweg bleiben Neuwahlen, die in Schweden Extrawahlen heißen.

Denn die Verfassung sieht nur feste Mandatsperioden vor. Selbst wenn es im Herbst zu Wahlen käme, müsste deshalb im Herbst 2022 erneut gewählt werden. Zwei Parteien haben besonders wenig Grund, Neuwahlen anzustreben: Nach den jüngsten Meinungsumfragen befinden sich die Liberalen zurzeit unter der in Schweden geltenden Vier-Prozent-Hürde, und auch die Umweltpartei kann sich nicht darauf verlassen, dass sie erneut im Parlament vertreten ist.

Was sagen die Wähler zu dem aktuellen politischen Theater? Gewinnt die Linkspartei an Glaubwürdigkeit, weil sie zu ihren Inhalten steht, oder nimmt man ihr die Aktion übel, weil nun ausgerechnet zu Mittsommer und der Ferienzeit das Chaos ausgebrochen ist? Das wird auch darauf ankommen, wie der nächste Akt aussieht.

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