Schwedens Sonderweg ist zu Ende

Seite 2: Kurze Immunität – viele zum zweiten Mal erkrankt

Tatsächlich war die staatliche Behörde für Gesundheit bei ihren Prognosen für den Herbst zunächst viel zu zurückhaltend. Zu dieser Fehleinschätzung könnte beigetragen haben, dass die Immunität nach einer durchgemachten Erkrankung offenbar nicht so lange reicht wie erhofft und entsprechend weniger schützt. Im November berichtete Dagens Nyheter von 150 Personen, die bereits zum zweiten Mal erkrankt sind und nun von der Gesundheitsbehörde untersucht würden.

Staatsepidemiologe Anders Tegnell spricht zwar immer noch davon, dass diese Fälle selten seien. Doch in den seit Mitte Dezember gültigen Handlungsempfehlungen steht bereits explizit: "Wenn du im Frühjahr Covid-19 hattest, ist es nicht sicher, dass du weiterhin ein geringeres Risiko hast, dich und andere anzustecken." Es könnte weit mehr Fälle geben als bekannt, denn viele, die im Frühjahr erkrankten, wurden nie getestet. Die Kapazitäten waren damals denen vorbehalten, die ärztliche Hilfe benötigten.

Auch in den sozialen Medien wird das Thema diskutiert. Stockholm, im Frühjahr stark betroffen, ist jedenfalls in der zweiten Welle nicht besser dran als andere Regionen, sondern erneut ein "Hotspot". Eine Herdenimmunität auf natürlichem Wege, wie im Frühjahr immer wieder diskutiert, ist nicht in Sicht.

Die bisherige schwedische Strategie setzte zu einem großen Teil auf die individuelle Verantwortung der Einzelnen, die sich aus Solidarität mit Risikogruppen und Pflegepersonal beschränken sollten. Die jüngsten Ereignisse zeigen die beiden Seiten dieser Methode: Es gibt tatsächlich sehr viele, die sich einschränken und zurückhalten - ob dies reicht, um die Infektionszahlen zu senken, ist noch nicht klar. Die Grauzone zwischen dem, was gesetzlich und dem, was moralisch erlaubt ist, wird dann von sozialer Ächtung kontrolliert.

Dass sich Stefan Löfven nun für ein Weihnachtsgeschenk für seine Frau verantworten muss, ist streng genommen lächerlich gegen Fälle wie den britischen Regierungsberater Dominic Cummings oder den Fidesz-Politiker József Szájer in Brüssel (Der Gangbang von Brüssel), die es ebenfalls nicht so genau damit nahmen, das einzuhalten, was sie selbst anderen predigten.

Man kann sich aber fragen, ob Ladenschließungen möglicherweise nicht nur die effektivere, sondern auch die sauberere Lösung sind. Nicht zuletzt gegenüber den Ladeninhabern selbst: Diese wollen wohl kaum dazu beitragen, dass Menschen sich infizieren und möglicherweise erkranken. Sie sind aber für ihr wirtschaftliches Überleben darauf angewiesen, dass Leute gegen die Empfehlungen verstoßen.

Staatliche Ersatzleistungen könnten ihnen helfen. Genau hier schwächelt das Pandemiegesetz, denn die Kompensation ist bisher nur vage in Aussicht gestellt. "Wir haben uns klare Regeln gewünscht. Aber dass man eine Kompensation erwägt, wie Hallengren sagt, ist zu schwach. Das reicht nicht, finde ich", so Mats Hedenström vom Verband Svensk Handel.

Maske und Grenzschließungen

Das Gesetz kommt spät, aber nicht zu spät, denn trotz Impfbeginn ist die Pandemie bekanntlich noch nicht vorbei. Es ist zum jetzigen Zeitpunkt noch unklar, wie sich Weihnachts- und Silvesterfeiern auf das Infektionsgeschehen ausgewirkt haben und was passiert, wenn nach den Feiertagen wieder mehr Leute zur Arbeit gehen.

In Schweden haben die Gymnasieskolor, vergleichbar gymnasialen Oberstufen, vorsorglich noch bis zum 24. Januar Fernunterricht, und viele öffentliche Einrichtungen ebenfalls so lange geschlossen. Ab dem 7. Januar soll außerdem in Bussen und Bahnen an Wochentagen zwischen sieben und neun Uhr sowie zwischen 16 und 18 Uhr eine Maske getragen werden, heißt es nun von der Gesundheitsbehörde. "Wir wissen, dass es im öffentlichen Nahverkehr Situationen gibt, in denen man Gedränge schwer ausweichen kann", so Anders Tegnell. Damit fällt ein weiteres Markenzeichen des "schwedischen Sonderweges".

Auch die Politik der offenen Grenzen innerhalb der EU/EFTA/GB wurde inzwischen aufgegeben – nachdem bekannt wurde, dass es in Großbritannien eine möglicherweise noch ansteckendere Virusmutation gibt. Einreisen aus Großbritannien und auch aus Dänemark sind deshalb aktuell nur in Ausnahmefällen möglich, und auch deutsche Transitreisende durch Dänemark werden an der Grenze abgewiesen. Die Grenzschließung Richtung Dänemark soll nicht nur die Virusmutation stoppen, sondern auch verhindern, dass Dänen in den Einkaufszentren von Skåne die Freiheit suchen, die sie im eigenen Land gerade nicht haben.

Kolumnistin Gina Gustavsson verglich in Dagens Nyheter die schwedische Corona-Strategie mit der Vasa, jenem Schiff, das das Symbol der damaligen Großmacht Schweden sein sollte und das aufgrund eines Konstruktionsfehlers schon bei der Jungfernfahrt sank. Die schrittweisen Kursänderungen zeugen jedoch davon, dass man, wenn auch langsam, zumindest in der Lage ist, Fehleinschätzungen zu korrigieren und Realitäten anzuerkennen.<BR>

Interessant wird nun sein, wie das Pandemiegesetz angewendet wird, wenn es denn einmal in Kraft ist. Die Vollmachten, die sich die Regierung im Frühjahr befristet hatte geben lassen, wurden nämlich nie genutzt.

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