Schweine sind auch nur Menschen

Was das seltsame Paarungsverhalten von Großstädtern mit den paarhufigen Nutztieren zu tun hat

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Forschungsergebnisse zeigen, dass Sauen von den aggressivsten, stinkendsten und prolligsten Ebern in einer Gruppe grundsätzlich am ehesten sexuell angezogen werden Verwandelt man die natürliche Ordnung, in der Männchen eher rustikale Einzelgänger sind, aber in eine größere domestizierte Herde, dann machen schließlich auch die gröbsten Grunzer schlapp. Eigentlich allzumenschlich, wie Forscher meinen.

Der Mensch isst nicht nur das Schwein, manchmal stellt sich sogar heraus, dass er es auch ist - oder zumindest ihm ähnlich ist. Gerade in Bezug auf sexuelle Attraktivität haben Wissenschaftler aus Australien und Großbritannien jedenfalls alarmierende Parallelen zwischen dem Homo sapiens und dem Schwein entdeckt. Der Zuchtexperte Keith Thornton aus dem englischen Bristol hat bei einem Vortrag im kanadischen Winnipeg nämlich enthüllt, dass weibliche Schweine am meisten ausgerechnet von den jeweils bösesten und wildesten Ebern in ihrer Herde betört werden. Thornton führt dies auf eine intensivere Wirkung von Sexuallockstoffen, den Pheromonen zurück. Denn es zeitigt eindeutig mehr Erfolg für einen Schweinefarmer, wenn er ein dominantes, richtig maskulines Männchen durch einen Pferch mit erwachsenen Weibchen führt, um sie mit seiner Aura (des Ebers natürlich) in Wallung zu bringen. Die handzahmeren und ruhigeren Eber, die als Scharfmacher eigentlich von den Züchtern bevorzugt werden, weil sie leichter zu kontrollieren sind, bringen leider weniger frische Erotik in den Koben.

Keith Thornton zieht daraus den delikaten Schluss, dass es bei den Schweinderln ja in gewisser Weise genauso zugehe wie bei den Menschen. Immerhin würden gerade die Männer, die als bad gelten bzw. sich so gebärden, meistens abräumen. Spricht da der Neid des Nerd? Nein, da ist schon was dran. Jacko muss man zwar ausdrücklich ausnehmen (Liz Taylor zählt im heutigen Zustand eh nicht mehr), aber in den unverlangten Bewerbungsvideos der ganzen HipHopper z.B. wimmelt es ja geradezu von leichtbekleideten arschwackelnden Bunnies. Vergessen wir überdies nicht einheimische Exemplare wie Dieter Bohlen, den Hitman des Schlagers oder den ewig unrasierten "Ich hab was Neues zuhause"-Boris (obwohl er sich im neuen AOL-Spot schon reichlich unvorteilhaft zum Blödel macht, Patrice scheint ihn nicht gesehen zu haben). Und wie haben erst die legendären Buffos Klaus Kinski, James Brown oder Gerhard Schröder seinerzeit abgeräumt. Die einzige auf natürliche Weise demokratisierende Waffe gegen diese fiese Sex-Diktatur (siehe auch Die Zähmung des Freien Liebesspiels der Kräfte) ist wohl das Aufgehen in einer größeren Herde. Auf dem flachen Lande ist es ja so, dass man mit dem GTI impressiv durchs idyllische Dorf röhrt, dem Rivalen um die Jacqueline nach dem neunten Rüscherl souverän eine aufs Maul haut und die 501 für die nächsten Hasen lieber eine Nummer enger im Schritt kauft. In die Großstadt umgesiedelt verbirgt man den Körper eher unter hipper bequemer Sportswear, kann sich nur noch zwei Bier pro Abend leisten und ist froh, wenn es beim Verlassen der Disco in Richtung Nachtbus regnet, damit keiner die Tränen bemerkt.

Was das seltsame Paarungsverhalten von Großstädtern mit Schweinen zu tun hat? Forscher am Prairie Swine Centre in Saskatoon/Kanada haben festgestellt, dass gezähmte Schweine als Nutztiere ihre ursprünglichen Verhaltensmuster ähnlich tiefgreifend ändern. Die Lebensweise von Schweinen in freier Wildbahn ist den Raubkatzen vergleichbar. Ein paar Weibchen und ihre Jungen bilden einen kleineren Verbund, die Männchen streifen meist als davon unabhängige und ungehobelte Einzelgänger durch die Pampa. Das gute Funktionieren dieser Ordnung beruht laut Verhaltensforscher Harold Gonyou vom Swine Centre auf der engen verwandtschaftlichen Bindung der Rudelmitglieder. Domestiziert man die Tiere und bringt sie mit fremden Artgenossen in einem Pferch zusammen, fangen sie zunächst an, sich wild um eine neue Rangordnung zu kloppen. Dann beruhigt sich die Schweinerei erst einmal. Bisher dachte man daher, dass Stallungen nicht mehr als 20 Tiere enthalten sollten, um ständige unkontrollierte Aggressionen zwischen den Paarhufern zu vermeiden.

Harold Gonyou hat aber erforscht, dass in großen Herden von mehr als 100 Tieren tatsächlich viel weniger Kämpfe ausgetragen werden. Und in größeren Gruppen sozialisierte Schweine verhalten sich selbst bei der Umsiedlung in fremde Herden grundsätzlich friedlicher. Wie der Verhaltensforscher sagt, geht es also auch bei Schweinen letztendlich darum, sich instinktiv anzupassen, um einen Zusammenbruch einer komplexer gewordenen sozialen Ordnung zu vermeiden. In kleinen Gemeinschaften interessiert man sich noch für den Nachbarn und kommuniziert mit seiner Umgebung, oft auch mit den Fäusten. Dies im Dorf genauso wie im Öko-Koben. In den großen, nicht mehr überschaubaren Herden der Massentierhaltung kümmern sich die marginalisierten Viecher kaum noch um ihre Artgenossen und verlernen dabei das Raufen und die schweißige Macho-Erotik. Echte Großstädter eben.