"Schwule Priesterpaare am Nato-Altar sind auch keine Lösung"
Zur Kritik der bürgerlichen Wohlfühl-Kirchenreform im Licht weltkirchlicher Widersprüche. Kirchenrevolte für die Liebenden (Teil 3 und Schluss)
Der Bischof von Rom repräsentiert in religiöser Hinsicht derzeit mehr als 1,3 Milliarden Menschen, einen nennenswerten Teil der Weltbevölkerung also. Papst Franziskus weiß, dass uns der Globus im Atomzeitalter um die Ohren fliegt, wenn nicht einmal die so eng verwandten drei "Abrahams-Religionen" - einschließlich ihrer Denominationen - sich an einen gemeinsamen Familientisch hinsetzen können. Auch deshalb ist er - ungeachtet der Lamentos mancher Lokalkirchenredakteure in reichen Ländern - vom 5. - 8. März 2021 in den Irak gereist.
Im Blickfang des von den deutschen Bischöfen finanzierten Internetportals katholisch.de fand dieses wahrlich historische Ereignis zunächst nur untergeordnete Aufmerksamkeit. Dort prangte als Leitartikel mit Hauptbild am Samstag (6. März) ein Beitrag "Warum der Vatikan seine Butter in Österreich kauft", sodann nachmittags der Text über eine "dank innovativer Lasertechnik" mögliche "Schönheitskur für Engel". Bei einigen erneuten Aufrufen am Sonntagnachmittag (7. März) leitete mich der redaktionelle Wochenenddienst des Mediums an erster Stelle hin zu etwas Kulinarischem: "Trierer Bischofswein".
Teil 1: Kirchenrevolte für die Liebenden
Teil 2: Rom und die blutige Geschichte der Verfolgung von Schwulen und Lesben
Man sieht, dass thematische Schwerpunktsetzungen und Informationsbedürfnisse im katholischen Spektrum höchst unterschiedlich ausfallen können. Die einen interessieren sich für Butter, Marmor-Engel und Bischofswein, andere wiederum für das historische Weltgeschehen. Die einen üben sich in exquisiten Nahrungsmitteleinkäufen und Gelassenheit, die anderen sind beunruhigt und wollen sich partout nicht abfinden mit der Welt, wie sie ist.
Kirche im zivilisatorischen Ernstfall
Es ist zu spät auf dem Planeten Erde für kleinschrittige ökologische Transformationen und ein Zuwarten auf jenen Sankt-Nimmerleinstag, an dem die demokratisch schon längst nicht mehr kontrollierbaren Konzernkomplexe - in einer Quadratur des Kreises - ihren einzigen Daseinszweck "Profitmaximierung" (Beispiel: Impfstoffpatente) freiwillig austauschen durch eine neue Vorgabe: "Wirtschaften allein zum Wohl der gesamten menschlichen Gattung und im Bewusstsein von begrenzten planetarischen Ressourcen".
Es ist zu spät in dieser Welt für eine weithin nur noch aus "ungedeckten Schecks" und "virtuellen" Wettbüros bestehende Geldapparatur mit Fetischcharakter, zu spät für Heimatträume im Format von Marketing-Regionen, vor allem auch zu spät für die Heilsreligion des Militärischen und die Unterhaltung von Todesindustrien, deren profitable Massenproduktion die Herrschaft über Räume absichert und eine möglichst effiziente Vernichtung von möglichst vielen Mitgliedern unserer Spezies ermöglicht …
Gerade auch von den Religionen sollten wir erwarten dürfen, dass sie den Blick auf das Ganze öffnen, uns befreien zu einer ungeschönten Analyse zukünftiger Barbarei und im Transzendieren der Sterblichkeit unseres eigenen kurzen Erdendaseins die nach uns Kommenden via "Zeitkonferenz" an den Weichenstellungen der Gegenwart beteiligen. Unter solchen Vorzeichen würden Kirchen und Religionen helfen, "dem Rad in die Speichen zu fallen" (D. Bonhoeffer), und sich auf dem gesamten Globus einbringen in die Kooperationen für eine andere ökonomische, politische wie kulturelle Hegemonie, in der das Lebensdienliche - nicht das Todbringende - zur maßgeblichen Richtung wird.
Dies ist unzweifelhaft die "Agenda" des gegenwärtigen Bischofs von Rom, der auch präzise benennt, dass die ökonomisch "Nutzlosen" am Ende wie Müll entsorgt werden. Das Lager derjenigen, die dieser Agenda gleichgültig oder feindlich gegenüberstehen, bildet mitnichten ein einheitliches Gefüge. Vielmehr sabotieren konträre Strömungen, die sich untereinander wie Feuer und Wasser verhalten, gleichermaßen den Weg einer neuen Weltkirchlichkeit im zivilisatorischen Ernstfall.
Widersprüche und Lager in der Weltkirche
Umso fahrlässiger ist es, wenn neuerdings aus Bequemlichkeit, Verzweiflung oder Geschichtsvergessenheit immer öfter schwadroniert wird, innerhalb der römisch-katholischen Gemeinschaft seien Gegensatzpaare wie "aufgeklärt - fundamentalistisch", "konservativ - fortschrittlich", "liberal - autoritär" oder "rechts - links" letztlich gegenstandslos.
Dass es nur mit Mühe gelingt, Vielfalt und Widersprüchlichkeit eines Verbundes von deutlich mehr als einer Milliarden Menschen zumindest in einem vagen Überblick zur Anschauung zu bringen, versteht sich von selbst.
Die leichtsinnigen Einheitsvoten sind allerdings schon erledigt, wenn ein fremdenfeindlicher und homophober Nationalkatholizismus in Polen sich unfähig zeigt zur Umkehr, italienische Politiker die "Muttergottes" zur Abwehr von Migranten anrufen oder demnächst womöglich die von traditionalistischen Katholiken unterstützte Rechte in Frankreich auf der Regierungsbank sitzt.
Den autoritären Schatten eines 1869/70 neu konstruierten römischen Kirchengebildes, welches auf dem letzten Konzil 1962-1965 nur auf halbherzige Weise wieder evangelisiert worden ist, kann niemand leugnen. Zu den unseligen Früchten gehören u.a. Kooperationen mit italienischen und deutschen Faschisten sowie alle klerikal-faschistischen Regime des 20. Jahrhunderts.
Die deutschen Rechtskatholiken, die an der Zerstörung der Weimarer Republik beteiligt waren, kann man schlechterdings nicht in einen Topf werfen mit den katholischen Pazifisten, Sozialisten und Zentrumsdemokraten der 1920er Jahre. Die vom Staat besoldeten deutschen Bischöfe, die ab 1939 dem Rasse- und Vernichtungskrieg Predigtbeihilfe gewährten, standen mitnichten für die Kirche jener Laien und Leutepriester, die durch Konzentrationslagertorturen ermordet wurden.
Widerspruchsfrei kann man auch nicht behaupten, die an der Seite der Militärdiktaturen stehenden Kirchenkomplexe der Reichen in Lateinamerika und ihre Sympathisanten im Kardinalskollegium seien mit gleichem Recht als "katholisch" zu bezeichnen wie die Märtyrerkirche der Armen des Kontinents, die seit den 1970er Jahren blutig verfolgt wurde.
Genauso gehören z.B. heute schwule Priester, die sich für menschenfreundliche Reformen stark machen, zu einer anderen Gruppe als jene sich selbst hassenden homosexuellen Kleriker, die im gleichen Atemzug Homophobie, Priesterselbstanbetungsreligion und materielle Privilegien in der Kirche zementieren wollen.
Falls man mit der Unterscheidung von "Lagern" auf ästhetische Empfindlichkeiten zielen will, so verbleiben Etiketten wie "konservativ" freilich zumeist an der Oberfläche. Als linker Katholik kann ich mich z.B. leidenschaftlich darüber aufregen, wenn Frömmigkeitsformen aus meiner wirklich sehr katholischen Kindheit mit seichtem Pastoral-Entertainment kombiniert werden. Ich käme aber nie auf die Idee, dass Stilbrüche die Grundlage der christlichen Gemeinde bedrohen oder eine goldene Monstranz Gegenstand von göttlicher Offenbarung wäre.
Es gibt schließlich das Paradoxe und Ambivalente, welches einem allzu platten Lagerdenken wirklich entgegensteht: Einige katholische Konservative aus dem föderalistisch-großdeutschen Spektrum gehörten z.B. zu den frühesten Feinden der Nationalsozialisten und arbeiteten punktuell mit Linken zusammen.
Ein ausgewiesener Reaktionär wie Kardinal Alfredo Ottaviani (1890-1979) erkannte als erster, dass im Zeitalter der Massenvernichtungstechnologie aus der kirchlichen Lehrtradition nur eine mögliche Konsequenz bleibt: Jegliches Kriegführen ist zu untersagen. ("Bellum omnino interdicendum esse.")
Ganz anders der US-Militärkardinal Francis Joseph Spellman (1889-1967), der vielleicht aufgrund einer heimlichen Liaison mit einem Broadway-Tänzer durch staatliche Dienste erpressbar war. Er wollte mit seiner Clique die Ächtung der Atombombe durch das letzte Konzil verhindern und spendete dem Morden der US-Streitkräfte in Vietnam bedenkenlos seinen Segen.
Das neoliberale Paradigma der "Unternehmerkirche"
Die frappante Anpassungsfähigkeit eines gleichsam staatskirchlich subventionierten Katholizismus könnte ich am Beispiel meines westfälischen Heimatbistums Paderborn gut illustrieren:
- Nach der heißen Phase des Kulturkampfs (1871-1878) war man im Kaiserreich dem heiligen Hohenzollernregime bis 1918 vollkommen ergeben.
- Dem ersten Weltkrieg folgte eine patriotische Zentrumslinie - mit deutschnationalen Sprenkeln.
- 1933 erklärte die Bistumsleitung ihre unverbrüchliche Treue zur staatlichen Autorität und tolerierte völkische Töne in der Kirchenzeitung, um sodann die militärische "Daseinssorge des deutsches Volkes" 1939-1945 eifriger als alle anderen mitzutragen.
- Während der Adenauer-Ära legitimierte die Hoftheologie der Diözese - mit Vorbehalten gegenüber der Demokratie - selbstverständlich Remilitarisierung und Atombombe, aber auch die bereits abgeschaffte Todesstrafe.
- In den neoliberalen Jahrzehnten schließlich setzte - zunächst unter Beibehaltung der Priester-Alleinherrschaft - eine rasante Modernisierung ein. Der Planungsprozess des superreichen Bistums für neue "Pastoralräume", dokumentiert u.a. in kostspieligen - aber weitgehend inhaltsleeren - Events und Hochglanzbroschüren, wurde von professionellen Unternehmensberatern gelenkt.
Schließlich firmierte die Presseabteilung der Diözese zeitweilig gar als "Marketingabteilung", was - wie Joseph Ratzinger sicher auch anmerken würde - einem Ausverkauf der christlichen Gemeinde gleichkommt. Zuerst, so schien es, konnte die Bistumsleitung gar nicht verstehen, was Kritiker so anrüchig daran fanden.
In der Marketing-Kirche ist Ästhetik eine ganz wichtige Sache. Mitunter verspürt man keine Skrupel, Jugendliche, die kaum über einen Begriff vom Abendmahlssakrament verfügen, vor goldenen Monstranzen - flankiert von Beleuchtungsspektakeln und elektronischen Klängen - niederknieen zu lassen.
Punktuell wurde sogar die Soziallehre der Kirche revidiert in Richtung der ideologischen Verschleierungen des Sozialabbaus ("Innovation", "Eigenverantwortung", "Aktivierung", "Effizienz" etc.). Spirituelle Prominenz engagierte sich in einer Initiative für die Sache der Marktradikalen. Die Pastoral der im kirchlichen Raum angewandten neoliberalen Wirtschafts-, Sozial- und Kulturwissenschaften übt sich in Produktdesign, betreibt Marktforschung, will über eine gute Performance verfügen und bedient Kunden.
Sie ist das Gegenteil einer Kirche, die in Elend und Dunkel hineingeht, sich von den Armen - in miteinander geteilter Bedürftigkeit - verändern lässt und Partei ergreift. Mitunter gibt man ganz ungeniert zu verstehen, man wolle der bürgerlichen Gesellschaft nützliche Dienstleistungen erweisen.
Den Beschädigungen von Menschen und Sozialräumen durch die Religion der Ökonomisierung des Lebens soll heilsam begegnet werden, aber keineswegs durch Systemänderung oder Aufmüpfigkeit. Vielmehr geht es darum, den Subjekten eine andere - positivere - Einstellung zu den Verhältnissen zu vermitteln, während die Verhältnisse selbst bleiben können, wie sie sind. Gestresste Manager erhalten - gegen höhere Gebühren - Exerzitien auf höchstem Niveau, damit sie wieder mit einem ruhigen Gewissen schlafen können und ihre "Innovationskraft" zurückerlangen.
Der prophetische Ansatz der hebräischen Bibel wird im Einzelfall explizit als überholt betrachtet. Religion dient im nahen Kontext - so lange dies einstweilen noch erwünscht scheint - als "Ornament und Kulisse" (Johann Baptist Metz) der bürgerlichen Gesellschaft, zielt aber nicht auf die Umwerfung von Verhältnissen, "in denen der Mensch ein erniedrigtes, ein geknechtetes, ein verlassenes, ein verächtliches Wesen ist" (Karl Marx).
Die neoliberale Kirche lässt sich nicht aus der Fassung bringen durch repressive Kürzungen der Grundsicherung oder dramatische Zivilisationsentwicklungen. Etwas Friedfertigkeit und etwas Ökologie im Kleinen genügen. Man hält sich auch fern von Schauplätzen, auf denen es etwa zu Berührungen mit Polizeigewalt kommen könnte.
Mit diesem Ansatz kann man allerlei Menschenfreundliches kombinieren, auch Esoterik, jesuanische Blütenlese und Lebensmitteltafel. Die Armen selbst sind freilich innerhalb der bürgerlichen Wohlfühlkirche weithin unsichtbar, zumal dort, wo das überkommene konfessionelle Milieu sich längst in Luft aufgelöst hat.
Selbstredend sollten Verantwortliche in der Kirche für Supervision, rationale Betriebsführung oder taugliche Organisationsformen Sorge tragen. Doch was hat dies, nebst anderen Formalien, schon mit einer überzeugenden Theologie und Pastoral in den Spuren Jesu zu tun?
Den Kundigen muss sich der Magen umdrehen, wenn auch das "Qualitätsmanagement" in der praktischen Theologie Anwendung findet. Was dieses Zauberwort etwa im neoliberalen Gesundheitswesen für Auswirkungen zeitigte, wissen die Praxiserprobten: Weniger Personal, qualitativ schlechtere Pflegeplanungen, immer mehr und differenziertere Pflegeleistungs-Ziffern auf dem Papier oder im Computer und gleichzeitig Patienten, bei denen niemand mehr die Zeit findet, auch nur die vordringlichsten Bedürfnisse wahrzunehmen …
Neuerdings ist unsere Gesellschaft so freiheitlich, dass sie sogar das Bürgerrecht von alten Menschen auf Verwahrlosung mit Nachdruck achtet. (Mündliche Mitteilung eines Sozialpsychiatrischen Dienstes an den Verfasser.)
Eine Analyse zur "unternehmerischen Kirche im Anschluss an die abstürzende (Post-)Moderne" hat Herbert Böttcher im letzten Jahr veröffentlicht.1 Im Editorial der Zeitschrift "exit!" vermerkt Roswitha Scholz dazu einleitend:
Der Text […] zeigt auf, wie sich die Kirchen statt im "Heiligen Geist" im "Geist des Kapitalismus" reformieren wollen. Rat suchen sie bei Konzepten der Organisationsentwicklung, die auf der Grundlage der Systemtheorie operieren. […] Heraus kommen dabei Anpassungsprozesse an eine (post)moderne Krisengesellschaft […]. Ohne Reflexion auf gesellschaftliche Vermittlungszusammenhänge sollen vom Druck der Krisenverhältnisse gestresste und in Depression getriebene Individuen erreicht und so versorgt werden, dass sie sich in den Verhältnissen wieder wohl oder wenigstens besser fühlen. Die angebotenen religiös-esoterischen Produkte sollen nicht an ihrem Wahrheitsanspruch, sondern an ihrer Nützlichkeit gemessen werden.
In der Kirche eine Heimat finden sollen gleichzeitig aber auch Menschen, die angesichts des "Relativismus" der Postmoderne nach Sinn und Identität suchen. Angesichts dieser Problemlagen öffnen sich die Kirchen identitärem und autoritärem Denken und Handeln. Dies alles lässt die Inhalte der jüdisch-christlichen Tradition nicht unberührt. Sie werden individualisiert und esoterisiert und sollen dabei existentialistisch und/oder in der Objektivität "ewiger Wahrheiten" gesichert werden. Auf der Strecke bleiben die emanzipatorischen Gehalte der jüdisch-christlichen Tradition, die auf einer herrschaftskritisch zugespitzten Unterscheidung von Transzendenz und Immanenz beruhen.
Exkurs: Eugen Drewermann und die Abrichtung des Individuums
Der Beitrag von Herbert Böttcher wird hoffentlich demnächst auch im Netz abrufbar sein und noch für viel Nachdenklichkeit sorgen. Nicht einverstanden bin ich allerdings mit seinen Ausführungen zu Eugen Drewermann, die einer vor Jahrzehnten von "politischen Theologen" entwickelten Kritik folgen und die Differenz zu neoliberalen, sehr populär gewendeten Varianten einer "tiefenpsychologischen Theologie" übersehen.
Gewiss, Drewermann ist der radikalste Anwalt des Individuums, und gerade das erweist diesen Autor eines mehrbändigen Werkes "Kapital und Christentum" als überzeugenden Theologen. Er macht auch deutlich, worauf ein subversiver "Existentialismus" hinausläuft.
Der Einzelne soll mitnichten in irgendeiner Weise in den vorfindlichen Verhältnissen "funktionieren", vielmehr so aus der Angst befreit und in seinen tiefsten Schichten gekräftigt werden, dass es ihm niemals in den Sinn käme, der Wirtschaftsapparatur eine Definitionsmacht hinsichtlich seiner Würde zuzugestehen oder gemäß einem staatlichen Befehl Bomben auf andere Menschen zu werfen. Radikaler kann der Gegensatz zu Dienstleistungs- und Staatstheologien gar nicht ausfallen.
Kein anderer namhafter Theologe steht kapitalismuskritischen und friedensbewegten Christenmenschen in Wort und Handeln so bei wie Eugen Drewermann, der sich u.a. stets orientiert zeigt über den aktuellsten Stand der Hartz-IV-Repressionen gegen die Armen. Wo sonst unter den bekannten Professoren der "Gotteswissenschaften" wäre überhaupt ein öffentlich Klartext redender Pazifist zu finden? Bezahlt werden sie alle - im Gegensatz zu Drewermann - vom Staat, und so gibt es nichts Neues unter der Sonne zu vermelden.
Das klerikale Modell der Aneignung des "Kirchenvolksvermögens"
Neben der neoliberalen Marketingkirche verfolgt - in wenigen Bistümern - der klerikale Fundamentalismus eine andere, auf Dauer ebenso wenig zukunftsträchtige Strategie: Eine Elite "wahrer Katholiken", flankiert von geistlichen Bewegungen und elitären Gemeinschaften, erlangt über eine entsprechende Personalpolitik die Hauptverfügung über ein milliardenschweres "Kirchenvolksvermögen".
Wer aber das Geld kontrolliert - so die materialistische Wahrheit wider alle platonischen Beschwörungen -, der bestimmt über neue Institute der Theologie, Kleriker-Ausbildung, Einkauf von Expertisen, Investitionen im Sinne des eigenen Paradigmas usw. auch den geistig-geistlichen Kurs eines ganzen Bistums.
Dies ist aus meiner Sicht - neben einer Machtkultur der Vernebelung - der Kern des noch immer bestehenden Kölner "Systems Meisner". Eine durchaus anders gesonnene Basis von freiheitlichen rheinischen Katholikinnen und Katholiken hat scheinbar gar keine Mitbestimmungsmöglichkeit mehr z.B. wider das hier einflussreiche Werk "Opus Dei", welches aus Gründen innerer Verwandtschaft einst im Franco-Faschismus gut gedeihen konnte.
Wer nicht einmal im Schlaf daran denkt, solche Kräfte als seine "geistliche Obrigkeit" anzuerkennen, kommt - auch als Gemeindepfarrer - um eine Vernetzung zum frommen Widerstehen nicht umhin. Im "Modell" der klerikalen Fundamentalisten löst sich die verbliebene Gemeinschaft der Gläubigen wohl am schnellsten in Luft auf. Doch es regiert eben einstweilen noch eine zusammengeschmolzene Elite von "rechtgläubigen Amtsträgern", die über riesige Summen verfügen und damit nicht nur schnelle Autos kaufen können.
Über Geld sollte man sprechen, zumal die einzige kompromisslose Exkommunikation aus dem Munde Jesu sich auf die Haltung zum Geld bezieht. Unabdingbar ist es, dass die deutschen Bischöfe im Zuge der gegenwärtigen Reformation endlich freiwillig - bevor es ohnehin bald erzwungen wird - aus dem bestehenden Besoldungssystem aussteigen und ihre Bezüge zumindest auf das Format eines Kurienbischofs zurechtstutzen.
Wer soll denn einem Oberhirten, der bei freier Wohnung - ohne für Ehepartner und Kinder sorgen zu müssen - Monat für Monat ein Gehalt von bis zu 13.000 Euro bezieht, glauben, dass er die Weg-Route des Jesus von Nazareth vertritt und sich im Konfliktfall dem ihn besoldenden Staat etwa auf dem Feld der Militärpolitik in die Quere stellt? Nein, zwei Herren - dem "Friedenskönig" und dem Militärministerium - kann man wirklich nicht gleichzeitig dienen.
Welcher Kirche soll der "Synodale Prozess" zugute kommen?
Die im gegenwärtigen "Synodalen Prozess" des deutschen Katholizismus behandelten Reformanliegen - wie: Ökumene, Gleichberechtigung der Frauen (Aufbrechen des Männerbundes), Aufklärung und Prävention von sexueller Gewalt, neue Sexualethik (sowie Abschied von Homophobie und homophoben Projektionen), Ende der Aufspaltung in Kleriker und sogenannte Laien in einer geschwisterlichen Kirche des gemeinsamen Hörens, Freistellung der priesterlichen Ehelosigkeit - betreffen mitnichten nationale, irgendwie spezifisch "deutsche" Themen, sondern kirchliche Problemfelder auf dem ganzen Erdkreis.
Wer die skizzierte synodale Agenda dennoch für so etwas wie ein "nationalkirchliches Steckenpferd" hält, stellt sich als Christ selbst ein Armutszeugnis aus und beweist außerdem, dass er eine fehlende Kenntnis der Weltkirche (mit all ihren Schönheiten und Abgründen) durch Gerüchte ersetzt.
Was den deutschsprachigen Raum aufgrund u.a. von Reformation, reformkatholischen Diskursen ab dem 19. Jahrhundert und einer beachtlichen Geschichte der Selbstorganisation von "Laien" vielleicht doch auszeichnet, ist dies: ein besonderes Drängen auf Klärungen da, wo andere unter Beschwörung ihrer "Romtreue" Stillschweigen bewahren über Widersprüche, von denen im Grunde jeder weiß.
Der Vorwurf, es würden in einer nationalkirchlichen Agenda spezifisch deutsche Themen bearbeitet, ist also absurd! Bislang wird aber nicht deutlich, dass die hierzulande verhandelten Reformen einer Kirche zugute kommen sollen, die - lokal wie global - glaubwürdiger als "Zeichen und Werkzeug für die innigste Vereinigung mit Gott wie für die Einheit der ganzen Menschheit" (II. Vatikanum) zu wirken vermag.
Hier bleibt es nötig, säkulare Menschenrechts- und Demokratiediskurse theologisch zu (ver-)schärfen. Es gehört doch z.B. zu den eindeutigsten Weisungen Jesu, dass in seiner Gemeinschaft keiner von oben "herunter-willküren" (beherrschen) darf, weil eben Gott und Willkür nie zusammengereimt werden können. Und wie schräg klingt es, wenn in einer autoritären Kirche von der "herrlichen Freiheit der Kinder Gottes" (Römerbrief 8,21) die Rede ist?
Die neoliberale Dienstleistungskirche ist bekümmert, weil die Zielgruppe der Schwulen und Lesben - nach einem gewaltigen Exodus - als Kundschaft endgültig verloren geht. Stattdessen sollte es aber in einer überzeugenden Kirchenreform um anderes gehen, um ein an die Wurzel gehendes Verständnis von Menschenwürde und um Überwindung jener mafiösen, geradezu blasphemischen Angstapparatur, die einstmals über eine repressive Sexualmoral Menschen an die Kirche zu fesseln vermochte. (Kein Getaufter ist ermächtigt, eine tiefgreifende Erfahrung des "Gutgeheißenseins" durch das Dekret einer theologischen Behörde für gegenstandslos erklären zu lassen.)
Schritt für Schritt sollte bei allen Reformfragen aufgezeigt werden, dass es - gerade auch aus weltkirchlicher Perspektive - um anderes geht als um eine gefällige Angleichung an eine bürgerliche Wohlfühlgesellschaft: Wer nach innen Uniformität erzwingt und die Ökumene sogar mit den nächsten "Verwandten" verweigert, kann nach außen nicht Einheit in Vielheit predigen. Wer einer patriarchal dominierten Gewaltgeschichte in die Speichen fallen will, kommt nicht umhin, endlich auch im eigenen Haus mit einer Degradierung der Frauen zu brechen.
Wer sich als Werkzeug für die Einheit der Menschheit bezeichnet, sollte darauf verzichten, Minderheiten innerhalb oder außerhalb der Kirchenmauern zu diskriminieren. Wer allen eine partnerschaftliche und gewaltfreiere Welt anempfiehlt, sollte es auf der Grundlage eigener Umkehrerfahrungen tun. …
Der Vorwurf der Nationalkirchlichkeit kann aber nur glaubwürdig widerlegt werden, wenn die Ortskirche einerseits unter Berufung auf Jesus bei den genannten Reformanliegen sogar dem Papst ins Angesicht widersteht und den nunmehr eingeläuteten pastoralen Ungehorsam einübt, gleichzeitig aber in den großen Zeitfragen der gesamten Zivilisation sich als treueste Verbündete des gegenwärtigen Bischofs von Rom erweist.
Hierbei gibt es mit Blick auf die Kirchengeschichte in zwei Weltkriegen in der Tat triftige Gründe dafür, dass gerade die Christenheit hierzulande mutiger als alle anderen einen neuen Weg der Friedenskirchlichkeit beschreitet. Die Friedensfrage ist geradezu Prüfstein des ganzen "synodalen Prozesses".
Lackmustest für weltkirchliche Zuverlässigkeit: "Die Waffen nieder!"
Die weltkirchliche Botschaft des Bischofs von Rom zur Corona-Pandemie lautet "Gesundheit statt Waffen":
Wenn wir den Prozess [der gegenwärtigen Krise] als Chance nutzen, können wir uns unter dem Banner der menschlichen Geschwisterlichkeit auf das Morgen vorbereiten, zu dem es keine Alternative gibt, denn ohne eine übergreifende Vision wird es für niemanden eine Zukunft geben. […]
Es ist nicht länger zu ertragen, dass wir weiterhin Waffen herstellen und mit ihnen handeln und dabei riesige Summen an Kapital ausgeben, das dazu verwendet werden sollte, Menschen zu heilen und Leben zu retten.
Papst Franziskus (Dio e il mondo che verrà, 2021)
Das zielt auf mächtige Länder wie Deutschland, das 2016-2020 im Vergleich zu 2011-2015 seine Beteiligung am globalen Waffenhandel um 21 Prozent gesteigert hat und unter den größten Waffenexporteuren Platz vier einnimmt.
Im Zentralkomitee der deutschen Katholiken dominieren Persönlichkeiten aus jenem politischen Parteienspektrum, das ob seiner unverbrüchlichen Treue zur Nato-Doktrin als "regierungstauglich" gilt. Wem will man nun folgen, der römisch-katholischen Militärministerin aus der CDU oder der Weltkirche?
Es ist an der Zeit, dass das Laiengremium endlich Klartext spricht zur Schande der deutschen Todeslieferungen in alle Welt, sich der pax-christi-Forderung nach einem generellen Waffenexportverbot im Grundgesetz anschließt und der Explosion des nationalen Rüstungshaushalts jegliche Assistenz verweigert - zugunsten menschendienlicher Investitionen. Erst dann wissen wir mit Gewissheit, dass es in deutschen Landen nicht um eine neoliberale Wohlfühlkirchenreform geht.
Zu den Friedensschritten der Weltkirche unter Franziskus gehört die nachdrückliche Unterstützung des am 22. Januar 2021 in Kraft getretenen Atomwaffenverbotsvertrags der Vereinten Nationen. Die Botschaft des Papstes ist unmissverständlich: Christenmenschen dürfen sich an Entwicklung, Herstellung, Erwerb, Lagerung, Zielort-Transport, Scharfstellung oder gar Zündung einer Atombombe nie und nimmer beteiligen.
Vom deutschen Militärbischof Franz Overbeck (Essen), dessen Bundeswehr-Personal und Bundeswehr-Logistik vom Staat finanziert wird, erwartet der Staatskomplex, dass er im Sinne der Nato-Doktrin die Fortführung der deutschen Atombombenteilhabe stützt. Hier geht es um den Lackmustest schlechthin!
Wird Bischof F. Overbeck, der so beharrlich den homosexuell Liebenden beisteht, sich mit Leidenschaft und ohne Hintertüren auch der Ächtung aller Nuklearwaffen durch die Weltkirche anschließen? Oder wird er, wie es das System von einem Staatsmilitärbischof erwartet, das Bekenntnis wider die gotteslästerliche Bombe vernebeln?
"Katholizität" ist keine Konfessionsbezeichnung
Einen Aufwind erfahren im 3. Jahrtausend "konfessionalistische Katholizismen", die kaum noch etwas mit leibhaftigen sozialen Lebensräumen zu tun haben. Besonders anfällig für diese Spielarten sind gerade nicht jene Katholiken, die noch in den - nunmehr weitgehend aufgelösten - katholischen Milieulandschaften aufgewachsen sind und z.B. schon als Kinder entdecken konnten, dass auch der prachtvollste Hochaltar an der Hinterseite mit schnöden Sperrholzplatten verschalt ist.
Zu den Kennzeichen der neueren Varianten gehören eine Vereinzelung der - vielfach konvertierten bzw. "neu bekehrten" - Frommen und deren Fixierung auf völlig nachgeordnete, ja nebensächliche Gegenstände der Religion. Konfessionalistische Phänomene, die die herrschenden Weltverhältnisse in keiner Weise in Frage stellen, dafür aber Stellwände und Grenzmauern zwischen Menschen errichten, sind passgenau für jenen "Spätkapitalismus", der sie auch hervorgebracht hat.
Die Theologiestudierenden nach dem letzten Konzil (1962-1965) waren gewissermaßen noch "stolz", dass ihre Kirche kein lokaler, selbstgenügsamer Heimatverein ist, sondern vielmehr nichts von alledem geringschätzt, was außerhalb von Kirche und Christentum als "gut und wahr" ansichtig wird:
Gemäß ihrer Aufgabe, Einheit und Liebe unter den Menschen und damit auch unter den Völkern zu fördern, fasst sie [die Kirche] vor allem das ins Auge, was den Menschen gemeinsam ist und sie zur Gemeinschaft untereinander führt.
Erklärung "Nostra Aetate"
Wir halten fest: Es geht hier vor einem halben Jahrhundert nicht um die Fahndung nach Trennendem, sondern um das Verbindende in der Menschenwelt. (Zur "Wirkungsgeschichte" gehören z.B. auch die kirchlichen Beiträge zur Solidarität mit Flüchtenden.) In der katholischen Journalistengeneration der "Generation Benedikt" schreibt man nun gerne Texte über klerikale Kopfbedeckungen und anderen Firlefanz. (Farbigkeit und Folklore als Marktvorteile.) Sogenannte "Alleinstellungsmerkmale" und Identitätsangebote sollen das religiöse Marketing voranbringen.
Fast immer geht es hier - wie bereits vermerkt - um Oberflächliches und Banalitäten. An allen Ecken sehen wir in den einschlägigen Portalen spitze Bischofsmützen. Aber kein Mensch vermag zu erklären, welchen sittlichen Nährwert eine Mitra haben soll und warum sich deren Träger den Kopf nicht lieber frei halten.
Die verschärfte Hardliner-Variante der konfessionalistischen Religion (Fundamentalismus als Marktvorteil) spielt sich vorzugsweise im Internet ab, wo Solisten ein Publikum suchen und sich gegenseitig aufputschen zu mancherlei Wahnsinn. Eine Ästhetik aus Feudalzeiten kann in den Mittelpunkt rücken, so etwa die sechs Meter lange "Cappa Magna" in albernen Kardinals-Prozessionen.
Neuerfindungen aus dem 19. Jahrhundert steigen im rechten, "identitären Katholizismus" gerne zu "ewigen Wahrheiten" auf, die angeblich schon immer und überall Geltung hatten. Es werden hochpolitische Komplexe anvisiert, für deren Propagierung Latein, Messgewand und Weihrauch lediglich Instrumente sind. Dazu zwei Beispiele:
In den ersten drei Jahrhunderten unserer Zeitrechnung war es strikt unvereinbar mit dem Christsein, sich in irgendeiner Weise an Todesurteilen und deren Vollstreckung zu beteiligen. Das mit den Herrschenden symbiotisch verbundene Staatskirchentum revidierte dies später, und die den Weisungen Jesu so eindeutig widersprechende Totmachstrafe erhielt sogar ein eigenes Lehrbuchkapitel zugewiesen.
Unter dem gegenwärtigen Bischof von Rom ist die kategorische Ablehnung aller Todesurteile endlich wieder in den Katechismus gelangt. Die rechtskatholischen Propheten in den USA schreien nun: "Das ist ein Abfall vom wahren, unveränderlichen Glaubensgut."
Wenn der Papst von einer "Wirtschaft, die tötet" spricht, steht er in bestem Einklang mit der biblischen und altkirchlichen Überlieferung - aber auch z.B. mit einem Vorgänger wie Paul VI. Doch die kapitalistischen "Katholiban" sehen hier erneut einen Beweis dafür, dass Franziskus Häretiker ist. Sie verfügen über beträchtliche "social media"-Kompetenzen und das Wohlgefallen reicher Gönner. "Katholisch" ist für diese Kreise stets nur, was dem Kapital nützt. Nicht die "Autorität der Leidenden" gilt, sondern der Zynismus von Leuten, die den Abgrund negieren oder verfeierlichen wollen.
Einen Jesus, der die selbst kreierte Religion des schönen Beiwerks stört, muss man exkommunizieren. Die "Konfessionalisten" erklären statt seiner ausgewählte historische Gegebenheiten, die der biblischen Botschaft oft auf krasse Weise widersprechen, zum einzig wahren Kirchentum. All dies ist in Wirklichkeit alles andere als "katholisch".
Das theologische Zentrum der Katholizität lässt sich vielleicht gut mit einigen Ausführungen Meister Eckharts (1260-1328) verdeutlichen. Die innerste "wahre menschliche Geburt" verbindet den Einzelnen mit seiner Mitte und im gleichen Atemzug mit allen anderen, auch mit dem Menschen jenseits der Meere, den er noch nie gesehen hat (sowie mit den Menschen vergangener Zeiten und den Menschen, die nach uns geboren werden). Das "Individuellste" und das Umfassendste, sie bilden keinen Gegensatz mehr.
Katholizität ist also schier unvereinbar mit Abkapselung und Ausschließung: Sie zielt auf den weitesten geistigen, zeitlichen und räumlichen Horizont. Gemäß dem Grundprinzip der "Einheit in Vielheit" (sowie der Gemeinschaft mit den Anderen, die wirklich anders sind und es auch bleiben sollen) zeigt sich Katholizität in einer besonderen Weise des Sehens (auf das Ganze schauen) und der Befähigung zu umfassender Kooperation.
Kurzum: Katholizität ist mitnichten ein Besitzobjekt der Christen des lateinischen Ritus. Katholizität ist keine Konfession, sondern ein Bewusstsein - eine Haltung, Wahrnehmungsform, Energie und Praxis, die Menschen wie Gemeinschaften befähigt, Mauern zu überspringen! Um in dieser Spur noch weiter zu gehen: Ohne "Katholizität" gibt es keine Zukunft für die menschliche Spezies.
Eine zentralistische Weltkirche ist impotent
Was 1869/70 im I. Vatikanischen Konzils konstruiert wurde, nämlich ein durch universale Jurisdiktion allgewaltiges und zudem unfehlbares Papsttum, hat sich durch die Geschichte hindurch als ein Turmbau zu Babel erwiesen. Äußerlich konnte ein Einheits-Code für den gesamten Erdkreis dekretiert werden. Doch dieser führte keineswegs zu mehr globaler Verständigung und Zusammenarbeit.
Der autoritäre Zentralismus der sog. Römischen Kirche hat vielmehr die Entwicklung abgekapselter Nationalkirchentümer in höchstem Maße begünstigt. Zuvorderst das Totalversagen in zwei Weltkriegen mit insgesamt etwa 80 Millionen Toten erweist dieses System, dessen "Gemeinschaftlichkeit" sich zeitweilig ganz auf einen in jesuanischer Perspektive irrelevanten Papstkultus reduzierte, als Irrweg sondergleichen.
In Wirklichkeit nämlich ist eine zentralistische Weltkirche impotent, weil aus einem Mechanismus von Diktat und Gehorsam nur Beziehungslosigkeit hervorgehen kann. Da kann man etwa medienwirksame Massenspektakel abhalten so viel man will, es entsteht so nie ein starkes Netz der Verbundenheit auf dem ganzen bewohnten Erdkreis ("lokal-global" beraten, lernen und handeln).
Ein dezentrales, aber wirklich von Beziehungen durchwirktes Gefüge aller Ortskirchen macht hingegen Ernst mit dem vielbeschworenen katholischen Prinzip der "Subsidiarität" (Entscheidungsbefugnisse werden nicht unnötig nach oben geschoben). Hierfür stellt die Alte Kirche, die den neuzeitlichen Zentralismus als unannehmbar betrachtet hätte, bereits alle notwendigen Regularien bereit.
Das I. Vatikanum muss also zwingend revidiert werden. Wenn die römisch-katholische Kirche gemäß ihrem Selbstverständnis wirksam zu einer "Hegemonie des Lebensdienlichen" auf dem Globus - wider die Strukturen des Todes - beitragen will, gibt es hierzu keine Alternative. Eine zentralistische Weltkirche wäre schon in der Wurzel kein mögliches Modell für eine sich immer weitende "Ökumene", die die Erdregionen, Weltanschauungen, Religionen und Kulturen zu einer guten Verschwörung im Dienst der gemeinsamen Zukunft aller zu verführen vermag.
Ein Konzil für das 3. Jahrtausend - aber welche Agenda?
Nahezu alle gegenwärtig beratenen Fragen der innerkirchlichen Reform ließen sich ohne dogmatische Entscheide lösen oder zumindest einer Auflösung näher führen. Der Rekurs auf das Fehlen vermeintlich göttlicher Ermächtigungsgesetze hat noch nie überzeugt. Die Beteiligung aller Gläubigen an der Wahl eines Bischofs war z.B. in der Alten Kirche eine - sogar "päpstlich" eingeforderte - Selbstverständlichkeit. Verheiratete Priester gibt es - wie im ganzen ersten Jahrtausend - längst im lateinischen Ritus und in den unierten Ostkirchen. Hier müsste nur die viel beschworene Ökumene mit den Orthodoxen einmal exemplarisch in der Kirchenordnung umgesetzt werden.
Niemand kann dem Papst verbieten, im Zuge neuer Regularien Frauen (als "Laien") in das Kardinalskollegium aufzunehmen. Selbst ein Joseph Ratzinger hat gemäß einer jahrzehntelangen Übung Frère Roger, dem evangelischen Prior der Brüder von Taizé, die Kommunion gereicht.
In Entsprechung zu Revisionen bezogen auf Religionsfreiheit, Todesstrafe oder Atombombe ist auch eine Neuausrichtung in der "Sexualmoral", die so lange als repressives Bindungsinstrument der Kirche missbraucht worden ist, möglich …
Für Menschen guten Willens gäbe es also Wege. Doch die klerikalen Fundamentalisten blockieren auf Schritt und Tritt Lösungen im Rahmen der längst vorhandenen Spielräume, weil sie theologisch völlig nachgeordnete Fragen, die die dogmatischen Grundlagen des Christentums gar nicht berühren, zu Fetischen ("Götzen") machen. Ohne diese Fetische würde offenbar ihr ganzes Religionsgebäude zusammenbrechen.
Deshalb fordern nun im Gegenzug bürgerlich-liberale Erneuerer allen Ernstes ein eigenes Weltkonzil zur Durchführung jener innerkirchlichen Reformen, die Rom - der "blockierte Riese" - vor allem wegen einer fundamentalistischen Minderheit nicht auf dem Wege von Weisheit und evangelischer Freiheit verwirklichen will oder kann. Dann wird am Ende in einer großen Konzilsaula über den Zölibat der römisch-katholischen Kleriker disputiert, während der Planet womöglich schon in Flammen steht.
Vor diesem Hintergrund haben alle Beteiligten, die den zivilisatorischen Ernstfall des 3. Jahrtausends begreifen, die Pflicht, durch gemeinsames Handeln möglichst vieler - miteinander kommunizierenden - Ortskirchen die Reformen in solchen Fragen, die nicht zwingend eine weltkirchliche Uniformität erfordern, von unten her zu ermöglichen.
Denn ein internes "Reförmchen-Konzil" würde die lateinische Weltkirche zu einem Zeitpunkt der globalen Krisis vor der ganzen Weltgesellschaft blamieren. Wieder einmal würde die Kirchenapparatur um sich selbst kreisen, während bereits der Tod von Millionen und Abermillionen Menschen vor der Haustür bereitet wird. Eine solche Blamage, nein Schande muss auf jeden Fall überflüssig gemacht werden.
Indessen bleibt aber keine Zeit mehr, mit der Einberufung einer Versammlung der weltweiten Christenheit noch länger zu warten. Es sollte sich von selbst verstehen, dass diese eben keine Teilsynode zur Beratung konfessioneller Reformfragen etc. sein kann, sondern nur ein wahrhaft Ökumenisches Konzil, auf dem sich alle - nicht nur die römischen Katholiken, nicht nur die Christen - verständigen über eine Agenda des Überlebens und ihre Bereitschaft zur Zusammenarbeit der ganzen menschlichen Familie erklären.
Mit einem beschwingten Zivilisations- und Geschichtsoptimismus - wie noch 1962-1965 - lässt sich die "Tagesordnung" freilich nicht mehr ausrichten. Der Ernstfall von Katholizität ist: Jetzt.
Der Verfasser ist examinierter Krankenpfleger, Theologe und Publizist.
Seine Bücher zum Thema:
"Das Lied der Liebe kennt viele Melodien" (vier Auflagen 1997-2005); "Die Fromme Revolte - Katholiken brechen auf" (2009); "Wie die Menschheit eins ist. Die katholische Lehre ‚Humani generis unitas‘ für das dritte Jahrtausend" (2016); "Oscar Romero, die synodale Kirche und Abgründe des Klerikalismus" (2020).
Aktuelles Forschungsprojekt: "Kirche & Weltkrieg".