Oscar Romero und die Militärkirche

Symbolbild: Armee El Salvador. Foto: Presidencia El Salvador/CC0 1.0

Vor 40 Jahren wurde in El Salvador der "Prophet der Armen" ermordet - Zu seinen Feinden zählte der katholische Armeebischof

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Die "Theologie des Todes" im Militärkirchenwesen läuft in geschichtlicher Perspektive allüberall auf die gleiche Blasphemie hinaus. Ihre Prediger in Hitlerdeutschland, Franco-Spanien oder wenige Jahrzehnte später in lateinamerikanischen Militärregimen legitimierten gleichermaßen die abgründigste Gewalt - in "Gottes Namen". Stets ging dies einher mit einem faschistoiden Kleriker-Typus und dem autoritären Kirchentum der Kollaborateure.

In Argentinien z.B., wo der Katholizismus besonders eng mit dem "nationalen Fetisch" vermischt war, standen viele Kirchenfürsten auf Seiten der Diktatur und verloren jeglichen moralischen Kompass. Die Militär- und Polizeiseelsorge konnte es als heilige Aufgabe betrachten, das Gewissen der Folterknechte durch ihren Segen zu entlasten. In "Pinochets Chile" hingegen wurde aufgrund eines anderen historischen Weges mit mehr Staatsferne die Kirche doch mehrheitlich als Beistand der Bedrängten erfahren.

So müssen wir also stets genau hinschauen. Ein Teil der Christen stolziert im Geschichtsverlauf an der Seite der Henker, feiert Militär-Messen und assistiert dem Morden, ein anderer Teil kommt unter das Fallbeil.

Der "Hirte der Armen"

Zur letzten Gruppe gehörte der vor vierzig Jahren von einem Auftragskiller ermordete salvadorianische Erzbischof Oscar Romero. Seine Geschichte habe ich bereits an anderer Stelle in Telepolis ("Umgebracht wird, wer stört") ausführlicher erzählt. Die Waffenträger des Systems hatten bis März 1980 schon hunderte Christinnen und Christen in seinem Bistum umgebracht, darunter auch fünf Priester.

In seinen Predigten nannte Romero den Grund dafür: Die Armen im Land lernten, ihr Elend nicht mehr als Naturereignis hinzunehmen. Die winzige Minderheit der Reichen konnte ihre Privilegien nur noch mit eingekauften Politikern und einem polizeilich-militärischen Unterdrückungsapparat aufrechterhalten. Deshalb wurde es zur Aufgabe des Bischofs, in den Gemeinden der Campesinos die Leichen einzusammeln.

Die Armen El Salvadors haben in dieser Lage Romero beauftragt, ihre Stimme zu sein. Doch das Besondere an ihm war keineswegs die Bischofsweihe, sondern seine Ausnahmestellung im Bischofskollegium. Mit einer Ausnahme standen nämlich alle anderen Bistumsleiter gegen ihn, gemeinsam mit dem Vatikanvertreter Nuntius Gerada.

Beim ersten Treffen mit dem neuen Papst aus Polen im Frühjahr 1979 deprimierte dieser - anders als der Amtsvorgänger Paul VI. - den bedrängten Romero mit antikommunistischen Ermahnungen. Eine ganze Riege mächtiger Kardinäle und Erzbischöfe, darunter nachweislich äußerst unmoralische Gestalten, überlegten, wie man den unbequemen Bischof der Armen in ihrem Sinne "unschädlich" machen, d.h. absetzen könnte.

… und ein Oberst mit Bischofsmitra

Zu den innerkirchlichen Verfolgern Romeros und der Kirche der Armen gehörte auch José Eduardo Alvarez, Bischof von San Miguel. 1968 war ein Vertrag mit dem Vatikan über die Militärseelsorge für Polizei und Streitkräfte geschlossen worden. Ab diesem Zeitpunkt war Alvarez auch Militärbischof.

Wegen seines hohen militärischen Rangs nannte man ihn in Kirchenkreise einfach: "Der Oberst". Alvarez zog nämlich gerne die Uniform der Mörder an. (Der sogenannte "Heilige Stuhl" in Rom schämte sich übrigens nicht, noch 1987 ein weitergehendes Abkommen für El Salvador, ebenfalls mit Armeegeistlichen in Militärrängen, abzuschließen.)

Jon Sobrino, ehedem einer der Berater des ermordeten Romero und Mitglied der 1991 fast vollständig vom Militär niedergemetzelten Jesuitenkommunität von San Salvador, hat Militärbischof Alvarez einmal als "Monster und Bestie" charakterisiert. Wenn ein so vornehmer, sonst zurückhaltender Priester solch ein Urteil ausspricht, lohnt es sich, genauer hinzuschauen.

1972 kommt durch Wahlfälschungen der Rechten Präsident Molina an die Macht. Militärbischof Alvarez hält eine Danksagungsmesse und predigt als Staatstheologe: "Wir sehen in dieser Ernennung die Hand Gottes. Der designierte Präsident ist die eingesetzte Autorität. Alle Autorität kommt von Gott, und wir Katholiken, als Kirche, sind auf der Seite der eingesetzten Autorität." (So ähnlich hatten die deutschen Bischöfe - mit einer Ausnahme - nach Hitlers Machtübernahme auch immer gepredigt - und sich dann herzlich wenig um die von den Nazis ermordeten Leutepriester und Laien gekümmert.)

Nach dem Wahlbetrug von 1972 bat der Theologiestudent Miguel Ventura seinen Hirten Alvarez, die Opfer von Militärfolter im Armenviertel El Carmen zu trösten. Der Militärbischof antwortete ihm jedoch: "Diese Leute haben es so gewollt, jetzt sollen sie es auch ausbaden." Später unterstand Miguel Ventura als Priester seinem Ortsbischof Alvarez und wurde selbst Opfer von Folter des Militärs. Der Militärbischof verteidigte ihn jedoch nicht und ließ die Öffentlichkeit als "theologische" Weisheit wissen: "Pater Miguel ist als Mensch und nicht als Priester gefoltert worden." Zu dieser Zeit bezeichnete der von Alvarez unentwegt verleumdete Romero alle Folterer als "Agenten des Teufels"!

Wegen der hartnäckigen Untätigkeit der Regierung bezogen auf die Aufklärung des Mordes an Pater Rutilio Grande SJ und zwei weiteren Mitgliedern von dessen Gemeinde blieb Oscar Romero den Feierlichkeiten zum Amtsantritt von Präsident Carlos Humberto Romero am 1. Juli 1977 fern. José Eduardo Alvarez nahm hingegen demonstrativ teil und ließ dazu in der Bistumszeitung seine Dankpredigt abdrucken:

Außerhalb jeglicher Politik … haben Bischof Barrera von Santa Ana und ich, Euer Bischof von San Miguel und Militärbischof, an dieser großartigen Zeremonie teilgenommen. - Es gibt keine verfolgte Kirche. Es gibt nur Söhne der Kirche, die … ihren Weg verloren haben und sich außerhalb des Gesetzes stellen.

José Eduardo Alvarez

Im Juli 1977 schrieb Oscar Romero nach Rom, der Militärbischof sei bekannt für seine Freundschaft mit der Regierung und der wohlhabenden Schicht: "Unter den Gläubigen seiner Diözese genießt er wenig Sympathie wegen seiner Vorliebe für Regierung und Militarismus."

Beteiligt hat sich Alvarez an jeder Kampagne gegen den Hauptstadtbischof. Die Seelsorger der Armen wurden von ihm ins kommunistische Lager eingeordnet und so den Sicherheitskräften förmlich als "Freiwild" vorgeführt.

Als ausgerechnet Militärbischof Alvarez, der schlimmste Kollaborateur des Regimes und der Priestermörder im Land, am 19.11.1979 zum Präsidenten der salvadorianischen Bischofskonferenz gewählt worden war, konnte der Kommentator des Kirchenradios YSAX sein Entsetzen kaum verbergen.

Romeros Soldatenseelsorge: Aufruf zur Befehlsverweigerung

Auf der Gegenseite steht Oscar Romero, der selbst von Militärangehörigen drangsalierte Anwalt der in Armut lebenden Bevölkerungsmehrheit. In seinem Tagebucheintrag vom 13. April 1979 wendet er sich z.B. dagegen, dass eine Militärmusikkapelle der repressiven Einheiten bei einer Prozession beteiligt wird.

Am 7. September 1979 notiert Romero ins Tagebuch seine Antwort auf ein scheinheiliges Angebot des Militärs:

Den mir angebotenen Schutz könne ich nicht annehmen, weil ich unter demselben Risiko leben will wie das Volk auch; es wäre für die Seelsorge ein Antizeugnis, wollte ich in Sicherheit leben, während mein Volk in großer Unsicherheit ist. Doch bat ich … lieber um Schutz für das Volk in bestimmten Zonen, in denen die Sperren, die Militäroperationen viel Blutvergießen anrichten.

Oscar Romero

Durch seinen Protest gegen die US-Waffenlieferungen an das Mörderregime der Reichen wollte der Erzbischof von San Salvador auch verhindern, dass noch mehr seiner Landsleute Instrumente zur Tötung ihrer Mitmenschen in die Hand bekamen.

Oscar Romero versagte Soldaten keineswegs seinen geistlichen Beistand. Mitglieder der Militäreinheiten schrieben ihm z.B. in einem Brief, sie kämen aus den ärmsten Schichten, könnten von ihrem Sold kaum leben und würden in die Dörfer geschickt, um ihre eigenen Leute totzuschießen. Romero las das Schreiben am Sonntag in der Kathedrale vor, natürlich ohne die Namen der Absender) und schloss sich der Forderung nach Abhilfe in beiden Punkten an.

Das schlimmste Verbrechen war schließlich, dass der Bischof von San Salvador seine staatsunabhängige Soldatenseelsorge im Sinne des Rabbis Jesus von Nazareth in einen Aufruf zur Befehlsverweigerung münden ließ. Am 23. März 1980 predigte er:

Brüder, ihr gehört zu unserem Volk. Ihr tötet eure eigenen Brüder unter den Bauern. Wenn ein Mensch euch befiehlt zu töten, dann muss das Gesetz Gottes mehr gelten, das da lautet: Du sollst nicht töten! Kein Soldat ist verpflichtet, einem Befehl zu gehorchen, der gegen das Gesetz Gottes gerichtet ist. Ein unmoralisches Gesetz verpflichtet niemanden. Es ist höchste Zeit, dass ihr auf euer Gewissen hört […] Im Namen Gottes und im Namen dieses leidenden Volkes, dessen Klagen von Tag zu Tag lauter zum Himmel steigen, bitte ich euch, flehe ich euch an, befehle ich euch: Hört auf mit der Unterdrückung!

Oscar Romero

Am Tag darauf traf eine tödliche Kugel den "Propheten der Armen". Er hatte sich sehr gewünscht, kein Märtyrer zu werden: "Ich will jetzt noch nicht sterben. Noch nie habe ich das Leben so sehr geliebt! … ich brauche noch ein bisschen Zeit."

Die Riege der Militärbischöfe ging nach Romeros Ermordung unverdrossen ihre eigenen Wege. Der 1995 vom Vatikan ernannte Opus Dei-Erzbischof von San Salvador, Fernando Sáenz Lacalle, war 1993-1997 zugleich Apostolischer Administrator des Militärordinariats von El Salvador. Die Kirche der Armen flüchtete während seiner Amtszeit förmlich ins Kellergeschoss der Großkirche.

Ein deutscher Militärbischof und ein sexueller Gewalttäter mit Kardinalshut spielen auch eine Rolle

Der deutsche Militärbischof und Essener Oberhirte Franz Hengsbach (1910-1991), den ich aufgrund trauriger Erkundigungen als einen Beschützer pädosexueller Straftäter betrachte, war schon ab 1975 am Feldzug gegen die Kirche der Armen in Lateinamerika beteiligt. Hierbei arbeitete er Hand in Hand mit dem kolumbianischen Bischof Alfonso López Trujillo zusammen, der wegen seiner antikommunistischen Verdienste wie er selbst später mit der Kardinalswürde belohnt wurde.

Trujillo geriet immer wieder in die Schlagzeilen als führender Familienideologe des Vatikans, engagiert natürlich auch in Joseph Ratzingers hysterischer Kampagne gegen "homosexuelle Personen", Kondome undsoweiter.

Wer solche Freunde besaß wie Militärbischof Franz Hengsbach, sollte heute von den Kirchenhistoriker noch etwas eingehender beleuchtet werden. Denn seit Ende 2019 hat die Weltöffentlichkeit auf der Grundlage u.a. von Interviews für Frédéric Martels Investigationen ein neues Bild von dem rechten Saubermann-Kardinal Alfonso López Trujillo, der den Luxus wie zu Renaissance-Zeiten liebte und ebenso Küsse auf seinen Bischofsring.

Bereits als Hirte des Bistums Medellin, so tragen Zeitzeugen vor, ließ er sich in einer geheimen Zweitwohnung junge, von ihm abhängige Theologiestudenten für (kaum freiwilligen) Sex zuführen - und ansonsten auch männliche Prostituierte (aus den Familien der Armen), die er dann nach dem Akt und vor der spärlichen Bezahlung gewalttätig züchtigte.

Die Sexualneurose des fundamentalistischen Flügels in der Kirche ist für unser Thema durchaus von Belang! Eine implizite These zu homosexuellen Kirchenfürsten, die sich aus der Darstellung Frederic Martels ergibt, lautet: Sich selbst hassende, zugleich heuchlerische und nach außen homophob agierende Kleriker (mit homosexueller Ausrichtung) tendieren zu rechts-autoritären Weltbildern und zur Bekämpfung der Kirche der Armen. Dagegen gehörte zu den Bewunderern Romeros ein Kardinal wie Basil Hume (1923-1999), der noch in vatikanischer Eiszeit ohne Ängstlichkeit Schönes über homosexuell Liebende zu sagen wusste.

Auf der Lateinamerikanischen Bischofskonferenz in Puebla 1979 hätte Alfonso López Trujillo den Salvadorianer Romero am liebsten unsichtbar gemacht. Er gehörte dann bis zu seinem gerüchteumwitterten Tod zu jenen kirchlichen Machthabern, die auf besonders grobe Weise Romero noch nach seiner Ermordung verfolgten, und hat - vermutlich als die Schlüsselfigur der Blockaden - über viele Jahre im Vatikan eine Seligsprechung Romeros verhindert.

Wann endet die Schande der staatskirchlichen Militärseelsorge?

Das Militärkirchenwesen hat - bis heute - der Kirche noch immer Schande eingebracht. Der hochrangige us-amerikanische Militärbischof und Pacelli-Günstling Kardinal Francis Spellman, ebenfalls aufgrund von Homosexualität vermutlich eine sehr leicht erpressbare Persönlichkeit, versuchte auf dem II. Vatikanischen Konzil nicht ganz ohne Erfolg, die Verdammung der Atombombe abzuschwächen.

Hierzulande gelang es dem Militärkirchenkomplex zuletzt Ende 2019, die Evangelische Synode davon abzuhalten, Herstellung und Besitz von Atomwaffen in Treue zum christlichen Bekenntnis als Sünde zu bezeichnen.

Derweil schweigen sich auch die katholischen Bischöfe in Deutschland aus, wenn wieder einmal offensiv Militärdoktrinen zugunsten deutsch-nationaler Wirtschafts- und Machtinteressen propagiert werden.

Wann endlich endet der Spuk der staatskirchlich organisierten Militärseelsorge und wird ersetzt durch eine staatsunabhängige Seelsorge für Soldaten - außerhalb der Kasernen oder Schlachtreihen? Heiliger Oscar Romero, hilf der Christenheit!

Zwei Neuerscheinungen informieren u.a. über die innerkirchliche Verfolgung Romeros:<

Peter Bürger: Oscar Romero, die synodale Kirche und Abgründe des Klerikalismus. Zum 40. Todestag des Lebenszeugen aus El Salvador. Norderstedt: BoD 2020. (ISBN: 9783750493773)

Oscar Romero und die Kirche der Armen. Sonderband der edition pace. Frei abrufbare Internetfassung hier.