Seehofer: "Unsere Migrationspolitik ist auch human"
Deutschland soll laut Innenminister künftig 25 Prozent der aus Seenot geretteten Menschen übernehmen. Die neue italienische Regierung zeigt sich offener für Verhandlungen
Das NGO-Schiff Ocean Viking kann mit 82 aus Seenot geretteten Migranten an Bord einen italienischen Hafen ansteuern. Die Seenotleitstelle in Rom habe die Anweisung erteilt, nach Lampedusa zu fahren, meldet SOS Mediteranee. Noch ist unklar, ob das Schiff die Migranten direkt im Hafen anlanden kann oder ob sie außerhalb von der Küstenwache übernommen werden.
Das strikte Nein des früheren Innenministers Salvini wurde aber offenbar mit ihm in die Ferien geschickt, bis sich die Umstände wieder ändern. Wie geht es weiter, hat das "unwürdige Geschacher um Menschenleben", das der deutsche Außenminister Maas im Juli anprangerte, ein baldiges Ende?
Der Bürgermeister von Lampedusa reagiert empört auf die Lösung im Fall der Ocean Viking. Sizilien wäre als sicherer Hafen sehr viel näher gewesen, hält Salvatore Martello der Regierung in Rom vor. "So läuft die Sache nicht. Die Insel kann nicht die Lösung für alle Probleme sein. Der Minister hat die falsche Adresse … Wir sind keine Idioten."
Die Ocean Viking, die sich seinen Angaben nach bereits 20 Seemeilen nördlich von der Insel Linosa befand, werde auf diese Weise gezwungen, nach Lampedusa zurückzukehren. Die Migranten würden aber dann von dort aus zurück nach Sizilien gebracht, so Martello. "Welchen Sinn hat das alles?"
Bürgermeister Martello, "links und als Fischer hat er das Meer im Herzen" (Spiegel), ist kein Parteigänger Salvinis und auch Migranten gegenüber offen. Es sind im Sommer mehr über "Geisterschiffe" nach Lampedusa gekommen, als es die Öffentlichkeit bekannt wurde, wird Martello nicht nur im Spiegel, sondern auch in anderen Berichten wiedergegeben.
Die Hotspots auf der Insel seien überlastet und die Stimmung der Bevölkerung sei wütend auf Rom, weil man dies dort gar nicht zur Kenntnis nehme und nicht helfe, so Martello Anfang Juli. Der neue Innenminister Lamorgese mache offenbar so weiter, sagt er jetzt.
Das Sicherheitsdekret bleibt im Prinzip
Seine Kritik, die auf eine Wirklichkeit verweist, die außerhalb der Diskussionen mit ihren Lagerspektakel-Fragen ("Für oder gegen Seenotrettung", "Für oder gegen die Aufnahme von Migranten" usw.) und der Topmeldungen der Medien liegt, ist ein Beispiel dafür, wie kompliziert die Verhältnisse in Italien sind, ganz besonders die Machtverhältnisse (was alleine schon die Umstände zeigten, wie Salvini in die Ferien geschickt wurde).
Das andere, auf der Machtebene höher angesiedelte Beispiel wäre, dass Spitzen der Regierungspartei 5-Sterne-Bewegung sich sträuben, das Sicherheitsgesetz, das den NGO-Schiffen einen Sperrriegel vorsetzte und das sie in der Koalition mit Salvini unterzeichnet haben, einfach wieder einzukassieren. Die Forderung tauchte mit dem Ausscheiden der Lega und der Bildung der neuen Regierung auf.
Im Augenblick wird als Parole der neuen Regierung "Zeit lassen" bei der Änderung der Sicherheitsverordnung übermittelt. Die von Premierminister Giuseppe Conte mit Innenministerin Luciana Lamorgese vereinbarte Strategie sieht laut Corriere della Serra vor, dass die Regeln zum jetzigen Zeitpunkt eingehalten werden, dass aber zugleich auch Spannungen mit Europäischen Ländern verringert werden sollten.
In der Praxis sieht das aus, dass zwar im Prinzip die Landeverbote und die vorgesehenen Sanktionen angewandt werden, dass aber Verhandlungen eine sehr viel stärkere Bedeutung gewinnen. Tendenziell ist man deutlich offener als zur Amtszeit Salvinis:
Wenn es einen Antrag auf Genehmigung zum Verlassen oder Anlanden des Schiffes gibt - genau wie jetzt im Fall der Ocean Viking mit 82 Personen an Bord -, versuchen wir, die vorherige Verteilung der Migranten mit den anderen europäischen Ländern zu klären, und dann erlauben wir die Landung. Natürlich werden Frauen, Kinder und Kranke sofort akzeptiert.
Corriere della Serra
Man erwartet, dass sich die Situation in den kommenden kälteren Monaten beruhigt, weil weniger Boote von der Küste Nordafrikas ablegen werden und dass man dann Modifikationen am Sicherheitsdekret beschließen kann. Im Hintergrund ist da nämlich noch Salvini und seine Lega, die nicht wirklich ausgebootet sind. Salvinis Popularität, die stark mit der Migration nach Italien verquickt ist, ist ein Faktor, mit dem politisch nach wie vor gerechnet werden muss. Das Problem, das Italien mit der Migration hat, ist nicht verschwunden.
Sichere Häfen nur in Italien?
Das ist der Hintergrund für Verhandlungen innerhalb der EU zu einem Verteilungsmechanismus und einer Neuordnung der Verfahren zur Seenotrettung, die für die Stabilität der Regierung keine kleine Rolle spielt. Der deutsche Innenminister Seehofer kündigte an, dass Deutschland grundsätzlich jeden vierten Flüchtling aufnehmen will, der in Italien ankomme. Das werde "unsere Migrationspolitik nicht überfordern".
Ich habe immer gesagt, unsere Migrationspolitik ist auch human. Wir werden niemanden ertrinken lassen.
Horst Seehofer
Frankreich will ebenfalls prinzipiell 25 % übernehmen, heißt es. Ungeklärt ist noch, wie die übrigen 50 Prozent verteilt werden sollen. Seehofer ist zuversichtlich, was die Zusammenerbiet mit der neuen Regierung in Rom betrifft. Kommende Woche will er sich mit der neuen Innenministerin Luciana Lamorgese in Berlin treffen, um "vorrangig die gemeinsamen Interessen und Leitlinien in der Migrationspolitik aus(zu)loten".
Bleibt Frankreich bei seiner Weigerung einen sicheren Hafen bereitzustellen, wovon auszugehen ist, und bleibt es beim Nein der nordafrikanischen Länder Ausschiffungsplattformen auf ihrem Gebiet zuzulassen, wovon auch Seehofer ausgeht, so bleibt es auch dabei, dass Italien Hauptadresse für das Anlanden von Schiffen mit geretteten Migranten sein wird.
Wie sich die neue Offenheit der italienischen Regierung und eine mögliche EU-Vereinbarung über den Verteilmechanismus von geretteten Migranten in der Zahl der in Europa ankommenden Zuwanderer über die zentralen Mittelmeerroute bemerkbar machen wird, wird von vielen mit großem Interesse verfolgt werden.