Sehnsucht nach dem "Starken Mann"

Seite 2: Kalter Krieg oder Neoimperialismus?

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Wir wissen nun: Der deutsche Putinfan wünscht sich von der Politik vor allem gute Showeinlagen und hält Menschenrechte für eine kulturelle Marotte des "Westens". Zudem scheint es der Fangemeinde des russischen Präsidenten, als ob der "Kalte Krieg" nie so richtig zu Ende gegangen sei. Der "verfrüht beendet" geglaubte Kalte Krieg erlebe in der Ukraine eine "Neuauflage", die wiederum mit Stellvertretern ausgefochten werde, schreiben die Autoren in ihrer Einleitung. Ein "Kalter Krieg" setzt ja bekanntermaßen die Existenz zweier unterschiedlicher Gesellschaftssysteme voraus, wie das System des sowjetischen Staatssozialismus und das des westlichen Kapitalismus. Da Russland sowohl auf politischer wie wirtschaftlicher Ebene eindeutig Teil des kapitalistischen Weltsystems und mit diesem eng verflochten ist - welchen Sinn würden sonst die aktuellen Wirtschaftssanktionen machen? -, würde diese Aussage nur dann einen Sinn machen, wenn man die Ideologie Moskaus und des Westens für bare Münze nehmen würde - Menschenrechtsimperialismus gegen den russischen Traditionalismus.

Da die Autoren ja selber schreiben, die aktuellen geopolitischen Auseinandersetzungen zwischen Russland und dem Westen würden sich in den seit "Jahrhunderten währenden Kampf der großen Nationen um die Rohstoffe und Ressourcen dieser Erde" einreihen, kann es sich hier nicht um eine Neuauflage des Kalten Kriegs handeln. Sinnvoller ist es, hier Parallelen zum klassischen Imperialismus des 19. Jahrhunderts zu ziehen, zum globalen Machtkampf der imperialen Großmächte, der in den Schützengräben des Ersten Weltkrieges kulminierte. Alle kapitalistischen Großmächte - auch Russland! - streben nach einer Erweiterung ihrer Machtfülle durch Expansion. Der wichtigste Unterschied zwischen dem späten 19. Jahrhundert und dem derzeitigen Neoimperialismus besteht in der globalen Krisendynamik, die gerade diese neoimperiale Expansion antreibt. Die zunehmenden inneren Widersprüche in den kapitalistischen Machtblöcken (Eurokrise, Folgen der geplatzten US-Immobilienblase) sollen durch diese Expansion kompensiert werden. Der Westen handelte in der Ukraine nur rücksichtsloser als Moskau, indem er nicht davor zurückscheute, auch Neonazis zur durch Durchsetzung seiner Ziele zu instrumentalisieren.

Damit erübrigt sich die Einteilung der Akteure dieses neoimperialen "Great Game" in Gut und Böse, wie sie von den westlichen Massenmedien wie auch von den Autoren - trotz gegenteiliger Beteuerungen - in vertauschten Rollen vorgenommen wird. Eine schlichte Umkehrung der westlichen Propaganda, die aus Putin einen verschlagenen Bösewicht macht, kommt der Realität dieser neoimperialen geopolitischen Auseinandersetzung nicht näher. Deswegen muss die Opposition gegen die aggressive und brandgefährliche Politik des Westens in der Ukraine ohne eine Idealisierung des stockkonservativen und autoritären russischen Regimes auskommen.

Verschwörungsglauben und Antiamerikanismus

Bei der Suche nach den Ursachen der Eskalation in der Ukraine ist vor allem Mathias Bröckers voll in seinem Element: In der Ukraine "lief alles lange einigermaßen gut, bis sich die USA mit der CIA und unzähligen NGOs massiv einmischten, um eine 'orangene' Revolution vom Zaun zu brechen". Eine verdeckte Intervention der USA - das sind die Bösen - habe also die Ukraine vor die Hunde gehen lassen. Nur ein paar Zeilen später müssen die Autoren eingestehen, dass "auch unzufriedene, weil verarmte und perspektivlose Bürger auf dem Maidan" protestierten. Wie soll in der Ukraine "alles lange einigermaßen gut" gelaufen sein, wenn es dort viele "verarmte und perspektivlose Bürger" gibt, die sich an den Protesten gegen Janukowitsch beteiligten?

Tatsächlich war die Ukraine schon nach dem Krisenausbruch 2008 wirtschaftlich stark angeschlagen. Das Land befand sich Anfang dieses Jahres aufgrund zunehmender Leistungsbilanzdefizite am Rande einer Staatspleite, was Janukowitsch dazu nötigte, sich zwischen einer Einbindung in die russische oder die europäische Einflusssphäre zu entscheiden (Ukraine am Abgrund). Und selbstverständlich spiegelt sich in der nun anbahnenden ukrainischen Tragödie die objektive Systemkrise des kapitalistischen Weltsystems, das aufgrund permanent voranschreitender Produktivitätssprünge an eine innere Schranke seiner Reproduktionsfähigkeit stößt und eine ökonomisch "überflüssige Menschheit" auf globaler Ebene produziert. Die Ukraine stellte somit schon vor dem westlich gesponserten Regierungsumsturz einen sozioökonomischen Leichnam dar, um den die neoimperialen Geier aus Ost und West kreisten. Die westliche "Verschwörung" zum Sturz Janukowitsch konnte nur deswegen erfolgreich sein, weil die Ukraine in eine Phase krisenbedingter Instabilität eintrat.

Für die Putinfans wie auch die russische Propaganda stellen somit US-amerikanische Verschwörungen die Triebkraft der überall um sich greifenden Kriege und Krisen, und nicht die eskalierenden inneren Widersprüche des Spätkapitalismus. Dieser Verschwörungsglaube mündet folgerichtig in einen Antiamerikanismus, der in den USA den Urquell aller derzeitigen Krisen und Verwerfungen sieht.

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