Selbstzweifel im digitalen Elfenbeinturm

Eine Rezension von Brenda Laurels "Utopian Entrepreneur"

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"Utopian Entrepreneur" (Der utopische Unternehmer) ist ein Maxi-Essay von Brenda Laurel, Autorin von "Computers As Theatre", Expertin für Interface-Design und Vertreterin "humanistischer Werte" in der amerikanischen Info-Forschungs-Elite. Mit ihrer Startup-Firma Purple-Moon, einer auf weibliche Teenager ausgerichteten Firma für Internet- und CD-ROM-Spiele, hatte sich Laurel auf die Unternehmerlaufbahn begeben. Das Büchlein ist eine ehrliche und zugängliche Abrechnung mit den Dingen, die bei Purple Moon schiefgelaufen sind, ohne sich dabei an eine allzu tiefe Systemkritik Silicon Valleys zu wagen. Nicht zuletzt die Frage nach einem nachhaltigen Modell für die Internet-Ökonomie bleibt die Autorin schuldig.

Cover von "Utopian Entrepreneur"

Traurigerweise fällt Laurels ökonomische Analyse wenig tiefschürfend aus. Man ahnt schon, dass Brenda Laurel - die den Zusammenbruch des Computerspiele-Unternehmens Atari, des prestigeträchtigen Silicon Valley Forschungslabors Interval Research, sowie jüngst von Purple Moon mitgemacht hat - sich mit vielen ähnlich wohlmeinenden "Kulturarbeitern" bereits für die nächste Runde verpatzter Geschäfte aufrüstet. Nervöser So-geht's-PowerPointismus behauptet sich gegen eine Unternehmensanalyse. Solange das Versprechen einer politisch korrekten ("humanistischen") populären Computerkultur anhält, scheint alles erlaubt.

Brenda Laurel ist eine Expertin im Interface-Design, in Anwendungsfragen und im Gender-Aspekt von Computerspielen. Sie ist eine große Verfechterin von Forschung. "Der utopische Forscher" wäre vielleicht sogar ein besserer, treffenderer Titel gewesen. Laurel gewährt ziemliche Einblicke in den Zerfall kommerzieller IT-Forschung. Die Geschwindigkeitsanbetung, die Risikokapitalisten und Marketingmanager pflegen, hat jede längerfristige Grundlagenforschung zerstört.

"Marktforschung, wie sie üblicherweise gemacht wird, ist aus mehreren Gründen problematisch. Denn Leute zu befragen, was sie von den verfügbaren Dingen am liebsten haben, ist der Innovation nicht gerade förderlich; es bildet die Landschaft ab, hilft einem aber nicht beim Entwurf einer neuen Flugbahn."

Laurels Methode, wie die ihrer Anwendungs-Kollegen, ist es, sich mit den Leuten zusammenzusetzen und zu reden, "um mit offenen Augen, Gedanken und Herzen etwas von ihnen zu lernen. Solche Forschung braucht keine gewaltigen Ressourcen, erfordert aber einen hohen Arbeitsaufwand und eine gemeinsame Anstrengung, um seine Voraussetzungen auf Stand zu halten."

Kulturarbeiterin im real existierenden Kapitalismus

Laurel sieht sich selbst als Kulturarbeiterin, als Designerin und Neue-Medien-Produzentin, erfahren in der Kommunikation mit einem großen und ungleichen Publikum. Wie dem auch sei, es macht sie nicht zu einer utopischen Unternehmerin. Nur andeutungsweise lässt sie ihren Abscheu für jene Investoren erkennen, die alles so früh abgedreht haben. Sie verbirgt ihren Zorn auf jene, die ihr vielversprechendes Unternehmen willkürlich zerstört haben. Es muss hier gesagt sein, dass das Purple-Moon-Geschäftsmodell ein Vorgänger des Dotcom-Schema gewesen ist. Einnahmen brachte hauptsächlich der CD-Verkauf. Trotz solider Zahlen, hoher Klick-Raten und einer großen, hunderttausende zählenden Online-Community haben es die Investoren abgedreht.

Das Problem von "Utopian Entrepreneur" ist Laurels ambivalente Haltung zur herrschenden Unternehmenskultur. Wie zahllose andere mit ihr, rennt Laurel gegen die wirkliche Wand des real existierenden Kapitalismus. Die Schwierigkeit, eine (selbst-)kritische Analyse zu entwickeln, wird im gesamten "kulturellen" Sektor der Neue-Medien-Industrie offensichtlich. Die moralischen Bezugnahmen auf Amerika als einer Kultur, die vom Geldmachen und -ausgeben geradezu besessen ist, sind nicht sehr hilfreich ("Im heutigen Geschäftsklima geht es nicht darum, Werte zu produzieren, sondern Geld.") Die Frage, welche das Büchlein daher stellt, ist vielmehr die, in welcher Sprache die Ökonomie, von einer kulturellen Warte aus gesehen, beschrieben werden könnte.

Die sanfte Kritik der Insiderin

"Utopian Entrepreneur" beschreibt den Chauvinismus der 'New Economy'-Gurus und bricht dann plötzlich ab. Bedauernswerterweise findet das ökonomische Wissen, das Laurel einfordert, in ihren eigenen Texten keine Anwendung. Das Moralisieren kann nicht allzu tief schneiden. Eins der grundlegenden Probleme könnte Brenda Laurels Gleichsetzung von kritischer Analyse mit "Negativismus" sein. Ihre Leidenschaft für "positives Arbeiten" ist ein Schuss nach hinten, wenn ihre armselige analytische Ebene, wenn es nicht möglich ist, in die tieferen Machtstrukturen hinter den immer wieder scheiternden Unternehmen einzudringen, in die Laurel involviert ist.

Theorie kann ein leidenschaftliches Begriffswerkzeug sein, ist aber nicht notwendigerweise 'friendly fire'. Aus meiner Sicht ist Kritik die höchste Form von Kultur, und kein 'collateral damage'. Organisierter Optimismus, wie er in den "New Age"-dominierten Unternehmer- und Technologiezirkeln so weit verbreitet ist, hat das Denken wirksam blockiert. Kritik ist kein Gift, sondern ein vitales Rüstzeug für den Wandel. Wissen, das nicht aufhört nachzufragen, schärft die eigene Fähigkeit dazu, die Schönrednerei der Presseaussendungen zu durchschauen, welche in der IT-Industrie so vorherrschend ist.

Die Gefahr ist, dass das Ergebnis einer kritischen Nachforschung im Fall Purple Moon als einem "Boom and bust"-Schema negativ sein könnte (nicht sosehr für Laurel selbst als für die Investoren, die sie jetzt schützt). In so einem Fall dürfte es nicht genug sein zu sagen, dass die Leute aus ihren Fehlern lernen sollen. Ohne eine kritische Analyse könnten sie nächstes Mal durchaus dieselben Schwierigkeiten haben. Aus lauter Angst vor ihrem eigenen "Negativismus" muss Laurel vorsichtig bleiben. Ihre "positives" Rüstzeug blockiert aber eher, als dass es befreit.

Laurels Stil leidet unter der seltsamen Angst, von radikaler Seite her kritisiert zu werden, und führt daher zu einer unnötigen Form defensiven Schreibens. Brenda Laurel schreibt:

"Ein Utopischer Unternehmer wird höchstwahrscheinlich auf unerwartete Kritik treffen - sogar auf Denunziationen - und zwar von denen, die man auf seiner Seite geglaubt hat."

Was Laurel hier nicht unterscheiden kann, ist die harte Einschätzung aus Insider-Perspektive, und das Positiv-Geschwätz von PR-Waschzetteln. Wie verhalten sich Coolness und Anwendbarkeit? Purple Moon war unwahrscheinlich erfolgreich bei jungen Mädchen - und wurde ohne Grund abgedreht. Im Gegensatz zur darwinistischen Dotcom-Philosophie glaube ich, dass solche 'Fehler' nicht wieder passieren sollten. Es sollte andere, weniger flüchtige Geschäftsmodelle geben, die resistent gegenüber dem Hype sind, und die solchen Projekten wie Purple Moon genug Ressourcen verschaffen, um nach dem eigenen Tempo zu wachsen. Es gibt keinen Grund, mit unvernünftigen Erwartungen mithalten zu wollen und in eine spekulative und wenig nachhaltige 'Geschwindigkeitsökonomie' zu investieren.

Brenda Laurel sieht ihre Berufung darin, die Computerspiel-Industrie von deren ausschließlichem Fokus auf den 'Schieß-drauf-los'-Markt der männlichen Halbwüchsigen abzubringen. Sie outet sich als Barbie-Hasserin, und ihr Ziel ist es, die "große Konsumationsmaschine" loszuwerden. Obwohl Brenda Laurel sämtliche problematischen Aspekte der von kurzfristigen Profiten getriebenen Technologieforschung aufsummiert, schlägt sie aus Angst davor, "das Immunsystem zu aktivieren", keine alternative Formen der Forschung, der Zusammenarbeit und der Besitzverhältnisse vor.

Ihre Angst, von den höheren Rängen der virtuellen Klasse ausgeschlossen zu werden, ist eine reale, die sich nicht so einfach abtun lässt. Laurel vermeidet es vorsichtigerweise, solche Dotcom-Gurus wie etwa George Gilder zu erwähnen, die Bio-Ökologen und all die anderen, die für Europäer unter dem Label der 'kalifornischen Ideologie' firmieren. Die Säulen des techno-libertären Unternehmergeistes scheint es niemals gegeben zu haben. Möglicherweise war Laurel nie eine wirkliche Gläubige, aber sie schweigt sich über die einst so vorherrschenden techno-libertären Agenda aus, wie vor ihr schon David Kuo ("Dot.bomb") und Ernst Malmsten ("Boo Hoo: a Dot-com Story"). (siehe Die kalifornische Ideologie und Die kalifornische Ideologie Teil II)

Verglichen mit anderen Titeln zum Dotcom-Crash bleibt Laurels Buch ein verschwiegenes. David Kuo bekennt sich in "Dot.bomb" bemerkenswert offen zu seiner eigenen Begeisterung - und Blindheit - während der Achterbahnfahrt mit Amerikas einst vielversprechendstem E-commerce Portal. Laurels Bericht bleibt distanziert, allgemein und zuweilen moralistisch ("gesund leben, gesund arbeiten"). Es ist, wie wenn dem Leser nur gestattet wird, gerade einen flüchtigen Blick nach drinnen zu werfen. Laurel bleibt in der Defensive, und zögert damit, ihre Protagonisten namentlich zu nennen.

Im Gegensatz zu Kuo, der ständig über das Auf und Ab im Innersten von 'ValueAmerica' herumpoltert, verstehen wir Laurels zugrundeliegende Geschäftsstrategien nie so ganz. Ihre Beweggründe sind kristallklar. Ihre implizite Annäherung an die mächtigen (männlichen) IT-Moguln und VC-Übermenschen muss wie ein Sovjet-Roman gelesen werden. Es gibt keinen Grund, diejenigen, die ein Geschäftsunternehmen zerstört haben, als (anonyme) "Aliens" zu beschreiben (wie es Laurel tut). Die Anzugträger haben Namensschilder und vertreten eine bestimmte Unternehmenskultur.

"Utopian Entrepreneur" debattiert die Definitionen von 'Drinnen' und 'Draußen'. Laurel versucht sich verzweifelt als Insider zu positionieren:

"Ich habe viele Jahre gebraucht, um zu entdecken, dass ich die Konstruktion von Popkultur nicht wirksam beeinflussen konnte, bis ich aufgehört habe, mich a) als Künstlerin, und b) als politische Aktivistin zu beschreiben. Diese beiden Selbstdefinitionen haben zu dem geführt, was ich jetzt als Selbstmarginalisierung erkenne. Ich konnte mich nicht als subversiv einstufen oder als Mitglied einer Elite. Ich musste mich und meine Werte mental in der Mitte platzieren, nicht am Rand. Ich musste verstehen, dass es mir nicht ums Kritisieren ging, sondern um die Manifestation."

Theory 'Angst'

Laurel fürchtet sich vor Theorie, die sie mit dem Akademischen verbindet, mit Cultural Studies, Kunst und Aktivismus, womit sie den 'high-low'-Graben reproduziert. Für Laurel ist Theorie elitär, ohne Berührung mit der Wirklichkeit des Alltagslebens normaler Menschen. Das könnte schon der Fall sein. Aber was kann getan werden, um dieses isolationistische Campus-Ghettoleben der Theorie zu beenden? Statt nach gediegenen Bildungsprogrammen zu verlangen (wie es zu ihrem humanistischen Aufklärungsdenken passt), um die allgemeine Teilnahme am kritischen Gegenwartsdiskurs anzuheben, schimpft Laurel auf die Theoretiker. Diese Haltung, weit verbreitet innerhalb der IT-Industrie, setzt all jene, die einen geisteswissenschaftlichen Hintergrund haben, auf eine schwierige, defensive Position.

Auch die kritische Analyse des Dotcom-Kapitels in der Geschichte des Internet wird in eine Außenseiterposition gedrängt. Sobald man beginnt, über die innere Dynamik von Silicon Valley zu reflektieren, ist man schon draußen. Statt nach der Entwicklung eines begrifflichen Werkzeugkastens für die, die 'drinnen' arbeiten, zu verlangen, reproduziert Laurel die klassische Dichotomie: entweder du bist drin (und spielst das kapitalistische Spiel), oder du bist draußen (werde Akademiker/Künstler/Aktivist, beschwer dich und kritisiere soviel du nur kannst). Das gegenseitige Ressentiment derjenigen, die in Technologie und Unternehmen eingebunden sind, und derjenigen, die im geistigen Elfenbeinturm sitzen, scheint größer als je zuvor.

Andererseits waren postmoderne Theoriebildung und Kulturkritik nicht gerade hilfreich, weder für Laurel noch allgemein für die Erforschung der Internet-Ökonomie. Egal ob man jetzt Jameson, Zizek, Butler, oder Habermas hernimmt, es fehlt ihnen allen an grundlegendem ökonomischen und technologischen Wissen. Solange solche 'Star'-Denker damit fortfahren, das Internet mit irgendwelchen Cybersex-Kunstinstallationen zu verwechseln, gibt es auch nicht viel Grund, diese Denker zu bemühen. Dasselbe kann über Michael Hardt und Toni Negri gesagt werden, deren "Empire" als mutmaßliche Bibel der Globalisierungsgegner gilt. Trotz der wertvollen Kategorie der 'immateriellen Arbeit' scheint ein kritisches Wissen über das Internet ebenso wie über die New Economy in "Empire" völlig abwesend zu sein.

Die heute führenden Theoretiker bringen wenig, wenn es um Laurels begriffliche Herausforderungen geht, sei es im Feld von Anwender-Interfacedesign, oder bei einer Kritik der Geek-Kultur männlicher Halbwüchsiger. Die Cultural-Studies-Armeen werden das Feld der Neuen Medien nur dann besetzen, wenn die IT-Produkte ein Teil dessen geworden sind, was die traditionellen Sendermedien als Massenkultur definieren. Das bedeutet eine weitere Verzögerung von mindestens fünf bis zehn Jahren.

Faktum ist, dass Theorie den Tatsachen arg hinterherläuft und eine große Schwierigkeit damit hat, sich den Echtzeit-Medienereignissen und den vernetzten Bedingungen der Gegenwartsdiskurse anzupassen. Eine Gutenberg-geprägte Baby-Boomer-Generation, die jetzt Verlagshäuser, Massenmedien, Universitätsposten besetzt hält, träumt gemeinsam den heimlichen Traum, dass all diese Neuen Medien genauso schnell wieder verschwinden, wie sie aufgetaucht sind.

Es fehlt ihnen an Substanz, sie haben weder Wirklichkeit noch Sachwert, und die Neuen Medien haben auch darin versagt, ihre Rembrandts, Shakespeares und Hitchcocks hervorzubringen. Die ökonomische Rezession, gefolgt vom NASDAQ Technotrümmerhaufen, vertieft nur den Graben zwischen der gezwungenen Frechheit der Techno-Pop-Arbeiter und dem dunklen Skeptizismus des Hochkultur-Establishments. Die Dotcom-Manie wird wahrscheinlich ein vergessenes Kapitel werden, vor allem für diejenigen abseits der Unternehmen, wie Akademiker, Künstler und Aktivisten. Schon haben die jungen Streber und die arrivierten Technologen damit begonnen, ihre Beteiligung bei den Dotcom-Startups zu leugnen, indem sie sich hinter ihrer 'neutralen' Rolle als Techniker verstecken ("Nicht auf mich schießen, ich bin nur der Programmierer"), während sie ihre libertären Leidenschaften vergangener Tage vergessen. Was übrig bleibt, ist die immer noch offene Frage nachhaltiger Modelle für die Internet-Ökonomie.

Aus dem Englischen von Frank Hartmann Utopian Entrepreneur, Brenda Laurel (2001) MIT Press, 112 Seiten