Selenskyjs Siegesplan 2025: Pure Verzweiflung?

2024 mit Lupe als Null, darin: Ukrainische Flagge und fallende Bomben

Die Ukraine steht vor dem dritten Kriegswinter. Präsident Selenskyj will den Krieg bis Ende 2025 gewinnen. Doch sein Siegesplan könnte an der harten Realität scheitern. (Teil 3 und Schluss)

Der ukrainische Präsident Selenskyj präsentierte Mitte Oktober 2024 seinen sogenannten Siegesplan. In seiner Rede hob Wolodimir Selenskyj hervor, den Krieg in der Ukraine mit der Strategie "Frieden über Stärke" bis spätestens Ende 2025 beenden zu wollen. Er legte dazu einen 5 Punkte Plan mi drei zusätzlichen Geheimdokumenten vor.

Darin forderte er die "bedingungslose Einladung zur Nato-Mitgliedschaft der Ukraine, die Entfernungsfreigabe weitreichender Waffensysteme, um Ziele der russischen Armee auf deren Territorium bekämpfen zu können.

Sicherheitspolitisch wären mit einer Freigabe Eskalationsrisiken verbunden. Russland könnte taktische Atomwaffen grenznah verlegen und mit einem Ersteinsatz drohen. Für Bundeskanzler Olaf Scholz wäre mit einer Freigabe die Gefahr eines Nato-Russland-Kriegs gegeben.

Des Weiteren ist für ihn wegen Deutschlands Angriffskrieg auf die Sowjetunion im II. Weltkrieg der Einsatz deutscher Waffen auf russischem Territorium ein Tabu.

Auch eine Nato-Mitgliedschaft noch während des Krieges ist derzeit auszuschließen. Auf dem diesjährigen Nato-Gipfel in Washington sprachen sich mehrere Mitgliedsstaaten gegen eine Aufnahme der Ukraine aus. Derzeit sind nur Polen und die Baltischen Staaten Unterstützer des ukrainischen Anliegens.

Beim Nato-Gipfel wurden auch Bedingungen genannt, die die Ukraine einlösen müsse: u.a. Reformen in den Bereichen Demokratie, Wirtschaft und Korruptionsbekämpfung.

Zur aktuellen Kriegslage

Die Menschen in der Ukraine stehen vor dem dritten Kriegswinter. Große Teile der lebenswichtigen Energieversorgung sind zerstört oder ständiger russischer Angriffe ausgesetzt. Der Zivilbevölkerung droht wieder eine entbehrungsvolle Zeit mit Kälte und Nässe in z.T. zerstörten Wohngebäuden.

Die Strom- und Wasserversorgung ist stellenweise unterbrochen. Händeringend wird versucht, Reparaturen durchzuführen und die Funktionsfähigkeit wiederherzustellen. Das menschliche Leid ist schwer in Worte zu fassen.

Die russischen Truppen sind in wichtigen Frontabschnitten auf dem Vormarsch, die Umstellung auf Kriegswirtschaft gelang in relativ kurzer Zeit, die Rüstungstechnologie wurde forciert und wesentlich verbessert und die Produktion läuft auf Hochtouren. Ausreichend Soldaten und ausgebildete Reserven stehen nach wie vor zur Verfügung und können ohne logistische Probleme nachgeführt werden. Die logistische Unterstützung mit Militärgerät aus Iran und Nordkorea funktioniert und ist eine wesentliche Verstärkung.

Ob unter Berücksichtigung dieser militärstrategischen Lage die Ukraine mit dem Siegesplan ihres Präsidenten den russischen Angriffskrieg stoppen kann, ist zu bezweifeln. Präsident Selenskyj plant eine erneute Friedenskonferenz einzuberufen, zu der er auch Russland einladen will.

Russland fordert als Reaktion auf den ukrainischen Siegesplan unmissverständlich einen neutralen Status der Ukraine und die Anerkennung der russischen Annexion besetzter Gebiete in der Süd- und Ostukraine. Dazu gehören die Oblaste Cherson, Donezk, Luhansk und Saporischschja. Das seien die Bedingungen Russlands für eine mögliche Teilnahme an einer Friedenskonferenz.

Für die Ukraine stehen allerdings Gebietsverluste nicht zur Disposition. Sie beruft sich gem. UN-Charta auf das Souveränitätsrecht und die territoriale Unversehrtheit ihres Staatsgebietes. Ein blockfreier Status der Ukraine oder ein "Einfrieren des Krieges" werden kategorisch abgelehnt.

Gibt es unter diesen Voraussetzungen überhaupt Kompromisslinien, die zur Einhegung des Krieges beitragen könnten. Eine Verhandlungsstrategie, die auf Win-Win-Lösungen baut und die legitimen Sicherheitsinteressen beider Kriegsparteien berücksichtigt, ist trotz der schwierigen Ausgangslage die einzig realistische Option für Friedensgespräche, um einen Waffenstillstand im Ukraine-Krieg erreichen zu können.

Wie aussichtsreich ist der chinesisch-brasilianische Friedensplan?

Ende Mai legten beide Länder einen 6 Punkte-Friedensplan vor, dem sich inzwischen auch die Schweiz offiziell angeschlossen hat. Auf der Generalversammlung der Vereinten Nationen Ende September 2024 in New York trafen sich 17 Mitgliedsstaaten, um über den Friedensplan zu beraten.

Der Plan enthält u.a. konkrete Vorschläge zur Deeskalation. Der Krieg könne nur diplomatisch und über Verhandlungen beendet werden. Es müsste ein Verhandlungsformat gefunden werden, dem beide Kriegsparteien zustimmen können:

Wenn an einem derartigen Verhandlungsformat China, Brasilien und die USA koordinierend teilnehmen und die Gespräche mit den Regierungen aus der Ukraine und aus Russland moderiert würden, dann böte dies eine Chance zum direkten Dialog und damit möglicherweise für einen Kompromiss, der sowohl das Völkerrecht als auch die Sicherheitsinteressen beider Staaten respektiert.

Auf dieser Grundlage könnte die neutrale Schweiz zu einer erneuten internationalen Friedenskonferenz einladen.

Donald Trump ernennt Lt. General Keith Kellog zum Sonderbeauftragten für die Ukraine

Der inzwischen 80-jährige Dreisterne-General war u.a. als Offizier der US-Armee im Vietnam- und im Golfkrieg eingesetzt und später u.a. auch Nationaler Sicherheitsberater für den ehemaligen amerikanischen Vizepräsidenten Mike Pence.

Er gilt als ein erfahrener Militär- und Sicherheitsexperte, der die Donald Trump-Administration seit längerem beraten hat. Er veröffentlichte 2024 den Research Report "America First – Russia and Ukraine", der den Ukraine-Krieg analysierte und Vorschläge unterbreitete, wie der Krieg beendet werden könnte.

Mit der Strategie "Frieden durch Stärke" schlägt General und Sonderbeauftragte folgende konkreten Maßnahmen vor, um den Ukraine-Krieg beenden zu können:

1. Aufrüstung und Stärkung der ukrainischen Armee. Die Vereinigten Staaten werden aber die Ukraine auch weiterhin aufrüsten und ihre Verteidigung stärken, um sicherzustellen, dass Russland keine weiteren Vorstöße unternimmt und nicht nach einem Waffenstillstand oder einem Friedensabkommen erneut angreifen könnte.

2. Verzicht der Ukraine auf eine Nato-Mitgliedschaft über einen längeren Zeitraum Um den russischen Präsident Wladimir Putin davon zu überzeugen, an Friedensgesprächen teilzunehmen, sollte die Nato-Mitgliedschaft der Ukraine vorerst für einen längeren Zeitraum – ausgegangen wird von 20 Jahren – aufgeschoben werden.

3. Der Krieg soll an den derzeitigen Frontlinien "eingefroren" werden Eine entmilitarisierte Zone soll entlang der des Frontverlaufs durch neutrale Staaten – denkbar wären militärische Kräfte der die Brics oder UN-Blauhelme – abgesichert werden.

4. Ukraine muss Gebietsverluste akzeptieren Für die Ukraine stehen allerdings Gebietsverluste nicht zur Disposition. Sie beruft sich gem. UN-Charta auf das Souveränitätsrecht und die territoriale Unversehrtheit ihres Staatsgebietes. Ein blockfreier Status der Ukraine oder ein "Einfrieren des Krieges" werden kategorisch abgelehnt. Donald Trump müsste folglich die Ukraine zu Eingeständnissen bewegen, ultimative Positionen zurückzustellen. Realistisch wäre dies nur über die Drohung zu erreichen, Waffenlieferungen der USA zurückzufahren oder ganz einzustellen.

Rolf Bader, geb. 1950, Diplom-Pädagoge, ehem. Offizier der Bundeswehr, ehem. Geschäftsführer der Deutschen Sektion der Internationalen Ärzte:innen für die Verhütung des Atomkrieges/Ärzte:innen in sozialer Verantwortung e.V. (IPPNW).