Self/Less: Tea Party für Transhumanisten
Eine Reise in die transhumane Finsternis als visuell optimierter Actionthriller
Im Film Self/Less: Der Fremde in mir will sich ein Milliardär vom Tod freikaufen, aber im neuen Körper kommt ihm eine fremde Psyche in die Quere. Ein bekanntes Szenario wird aufpoliert und mit neuen Fragen angereichert: Was, wenn die Unsterblichkeit, der Heilige Gral der Transhumanisten, in die Hände von zynischen Sozialdarwinisten Marke "Tea Party" gerät?
"Self/Less" von Regisseur Tarsem Singh ("The Cell") ist kein rustikaler Action-Kracher, der es nötig hätte mit Gemetzel schon in der ersten Szene die Blutgier der Zuschauer zu ködern. Er lässt sich Zeit zur Entwicklung der Handlung und der Psychologie der Figuren. Die Hauptperson ist ganz nach dem Geschmack der Tea Party: Ein Gewinner im Daseinskampf um Dollars, der milliardenschwere Baulöwe Damian (Sir Ben Kingsley, bekannt als "Gandhi"-Darsteller). Das erfolgreiche Alphatier schlägt mühelos junge Konkurrenten aus dem Feld, hat aber Probleme im menschlichen Kontakt, besonders zu seiner Tochter Claire (Michelle Dockery).
Claires politische Arbeit für eine gemeinnützige Organisation weiß Tycoon Damian nicht so recht zu würdigen ("hier sind doch nur Jugendliche in der Trotzphase") und sie mit dicken Spendenschecks zu beeindrucken, klappt auch nicht ("du bist ein manipulatives Arschloch"). Der Milliardär hat's schwer.
Doch es kommt noch schlimmer: Damian hat Krebs im Endstadium und nun beginnt der Thriller. Eine mysteriöse Firma bietet ihm die Wiedergeburt an - für nur 250 Millionen Dollar. Man will der Menschheit angeblich geniale Geister erhalten, ihnen eine zweite Chance über den Tod hinaus bieten, umschmeichelt Firmenchef Albright (Matthew Goode) den Milliardär.
"Shedding": Die High-Tech-Seelenwanderung
Der Prozess einer High-Tech-Seelenwanderung heißt (auch in der deutschen Fassung) Shedding, ein unübersetzbar clever gewähltes Wort, das im Englischen einen reichen semantischen Raum öffnet - von "Schutz suchen" über "Häutung" und "Blutvergießen" bis "Totenreich" und "körperloser Geist". 1 Der neue Körper zuckt zwar etwas seltsam in seinem Tank mit Nährlösung (wie wir ihn schon aus Arnies Klonfilm "The 6th Day") kennen), aber Damian lässt sich beruhigen: "Nur ein Reflex."
Er geht auf das Angebot ein, doch will er erst zahlen, wenn sein Geist im neuen Körper angekommen ist: "Ich bin kein Dummkopf". Albright, ebenfalls "kein Dummkopf", sondern ein listiger Psychopath, wird seinen schwerreichen Kunden dafür später mit einer durch das Shedding bedingten Abhängigkeit von roten Pillen überraschen, die dem neuen Damian nur wochenweise zugeteilt werden.
Albright verpflanzt Damians Psyche in einen jungen Körper (Ryan Reynolds) und diesen in ein Luxusheim in New Orleans, wo ihm willige junge Damen zugeführt werden, deren Beitrag zur Handlung sich meist auf den Vokal "Ah" oder "Oh" beschränkt. Einleuchtender im Sinne des Firmencredos, der Menschheit ein Genie zu erhalten, wäre zwar, den wiederbelebten Beautycoon mit Architekten und Stadtplanern zusammenzubringen. Aber vielleicht war das alles auch nur PR-Gequatsche und Albright will dem Kunden, der sich den Zugriff auf sein immenses Vermögen über den Tod hinaus gesichert hat, nur im Lauf der Zeit noch weitere Millionen entlocken.
Damian scheint's zunächst zufrieden zu sein. Doch dann entdeckt der Wiedergeborene, woher sein neuer Leib wirklich stammt und Albright will ihn plötzlich töten lassen. Trotz Abhängigkeit von Albrights Pillen taucht Damian unter und deckt mit wenigen Klicks bei einer bekannten Suchmaschine die Intrigen der Transhumanisten auf. Das ist zwar wenig plausibel, aber eine gute Werbung für das im Film deutlich erkennbare Google - was nicht so fern liegt, wie man denken könnte, denn Google ist auch im Geschäft mit der Suche nach Unsterblichkeit tätig:
Google (...) hat im Herbst 2014 unter Führung seines Technologie-Direktors Ray Kurzweil mit großem Mittelaufwand das Projekt "Endet das Altern und den Tod" gestartet. Es versucht, mittels Zusammenführung und "Selbstlernbefähigung" riesiger, von Googles Suchmaschinen gesammelter und verglichener Datenmengen Informationen "intelligent" zu machen (...) Das soll in einem ersten Schritt dazu dienen, Krankheiten zu beseitigen und die Lebensdauer des menschlichen Körpers auf ein Mehrfaches zu erhöhen, um schließlich - wenn irgend möglich - den Tod zu besiegen.
Roland Benedikter
Unsterblichkeit, Foucault und Transhumanismus
Den Drehbuchautoren David und Alex Pastor war scheinbar nicht bekannt, dass sie in ihrem Plot eine der ältesten Geschichten überhaupt nacherzählt haben. David Pastor erklärte:
Jeder wünscht sich doch, viel mehr Zeit zur Verfügung zu haben. So kamen wir auf die Geschichte eines mächtigen Mannes, der sich absolut alles leisten kann, aber dessen Körper schlappmacht. Da findet er plötzlich heraus, dass er sich mit seinem Reichtum ein neues Leben kaufen kann.
Dass sie die ersten gewesen wären, die auf diese Idee gekommen sind, wollten die Pastor-Brüder damit sicher nicht behaupten. Auch der wenig belesene Zeitgenosse hat vermutlich Dutzende Filme gesehen, die sich diesem Thema widmen. Und schon das älteste überlieferte Epos der Geschichte erzählte bekanntlich vor ca. 5000 Jahren von der Suche des mächtigen Gilgamesch nach dem ewigen Leben. Dies gibt dem Heiler seit jeher eine bedeutende Stellung: Medizin wird zu Macht, wenn sie die Mächtigen am Leben hält; die Wurzel des Wortes "Arzt" liegt im Ausdruck arch-iatros (Herrscherarzt), ein Titel, den einst die Hofärzte der Fürsten trugen.
Im Fazit seiner Archäologie des ärztlichen Blicks stellt der Machttheoretiker Michel Foucault fest, dass in unserer modernen Kultur "der philosophische Status des Menschen wesentlich vom medizinischen Denken bestimmt wird". Die neuen Wissenschaften vom Menschen, die sich in der Aufklärung konstituieren und am Ende die Theologie entmachten, die Ökonomie, Soziologie, Pädagogik, Psychologie usw., bilden sich um den harten Kern der Medizin herum.
Denn die Medizin hält dem modernen Menschen das hartnäckige und beruhigende Gesicht seiner Endlichkeit vor; in ihr wird der Tod ständig beschworen: erlitten und zugleich gebannt; wenn sie dem Menschen ohne Unterlaß das Ende ankündigt, das er in sich trägt, so spricht sie ihm auch von jener technischen Welt, welche die bewaffnete, positive und volle Form seiner Endlichkeit ist. (...) die medizinische Erfahrung... ist an Manifestationen der Endlichkeit gebunden, von denen der Tod die bedrohlichste, aber auch die vollkommenste ist.
Foucault, Die Geburt der Klinik
Die Furcht auch der Mächtigsten vor Krankheit und Tod bedingt die Macht der Mediziner - und die wächst mit der Glaubwürdigkeit ihrer Versprechungen. Die moderne Wissenschaft sieht sich heute auf dem Weg zur Verwirklichung des alten Traums vom deutlich verlängerten Leben. Sie kann für sich die Umsetzung anderer alter Visionen verbuchen, etwa des Traums vom Fliegen. Auch eine Bewegung namens Transhumanismus steht in dieser Tradition; der Film "Self/Less" präsentiert einen fiktiven Protagonisten dieser Bewegung als Gründer der mysteriösen Unsterblichkeitsfirma.
Der Name "Transhumanismus" ist das zentrale Programm: Man will über den bisherigen Menschen hinausgehen. Das heißt im Kern über die "conditio humana", den Seinszustand des bisherigen "natürlichen" Menschen, der geboren wird, relativ kurz und unbewusst lebt und dann stirbt. Jedenfalls wollen die Vertreter des "Human Enhancement" und des "Transhumanismus" gemeinsam die bisherigen physischen, kognitiven und vielleicht auch "geistigen" Grenzen unseres Menschseins überschreiten. Dazu rüsten sie den Menschen biotechnologisch "auf" und versuchen das Altern - und am Ende im Maximalanspruch sogar den Tod abzuschaffen.
Roland Benedikter
"Self/Less" ist insofern Science Fiction als der Film geläufige mythische Ansätze (Vampire, Untote) ebenso meidet, wie theologische Fragen nach Seele, Gott und Teufel, die das Horrorgenre prägen. Wir bewegen uns mit dem Transhumanisten Albright in der Welt der Wissenschaft, die schon lange aus den sichtbaren Erfolgen der Medizin die Hoffnung auf das baldige Besiegen des Todes ableitete.
Später kamen die Hippies mit ihrer SMILE-Revolution (SM=Space Migration, I=Intelligence Increasement, LE=Life Extension), 2, deren Erfinder, Timothy Leary, folgerichtig seinen Schädel konservieren ließ, zwecks Wiederbelebung, wenn die Wissenschaft so weit ist. Die Transhumanisten sind quasi ausgenüchterte Epigonen der SMILE-Bewegung.
Self/Less" -der selbstlose Milliardär
Bei so langer Historie und breiter Diskussion ist es für einen Film natürlich schwer, noch wirklich neue Aspekte der Debatte um die Unsterblichkeit aufzuwerfen - da müsste man vielleicht den Roman "Alle Menschen sind sterblich" von Simone de Beauvoire verfilmen, der die existenziellen Probleme des ewigen Lebens thematisiert. "Self/Less" versucht dies gar nicht erst. Es geht vielmehr um die moralische Frage, ob reiche Leute armen Leuten das Leben rauben bzw. "abkaufen" dürfen oder nicht. Auch das ist eine bereits oft verfilmte Problematik, ob als Zeitdiebstahl, Hirnparasitismus, Körperklau oder Organhandel.
"Self/Less" arbeitet dabei die Verknüpfung der transhumanistischen Vision einer Überschreitung menschlicher Grenzen durch die Wissenschaft mit der politischen Ideologie im rechtslibertären Spektrum heraus: Romantischer Geniekult gerinnt zu einem biowissenschaftlich aufgerüsteten Überlegenheitswahn, vermischt mit fanatischem Glauben an den Sieg des Besten im angeblich fairen Kampf auf dem Markt.
Self/Less: Tea Party für Transhumanisten (13 Bilder)
Es ist eine Weltanschauung, die sich an den leeren Schlagworten von Freiheit und Individualismus berauscht, um soziale Gerechtigkeit und selbst einfachste Gebote der Menschlichkeit zynisch zu negieren. Da wird der "transhumane Übermensch" zum Unmenschen und die "Tea Party" am rechten Rand der US-Republikaner lässt grüßen.
Einst brachte John Stuart Mill (der "Immanuel Kant der Angelsachsen") humane Elemente, Feingefühl und Ethik in den kruden Utilitarismus seines Lehrers Jeremy Bentham, der den Menschen als nur von Lust oder Unlust gesteuert sah und ihn im später von Foucault kritisierten Panoptikum dressieren wollte.
Ähnlich bringt "Self/Less" am Ende eine rudimentäre Gefühlsethik in den zynischen Sozialdarwinismus des Tea Party-Transhumanismus und rechtfertigt damit doch noch die Anspielung im englischen Titel: selfless, also selbstlos. Regisseur Tarsem Singh soll derzeit an einem Endzeitthriller namens "The Panopticon" arbeiten.
Dem Märchenplot fehlt visuelle Fantasie
Leider findet sich die visuelle Fantastik aus Singhs Filmen "The Cell" (2000), "The Fall" (2006) oder "Immortals" (2011) bei "Self/Less" nur in den optisch leicht aufgehübschten Actionszenen wieder. Das Ringen zweier Psychen im Hirn des angeblichen Klons wird anspruchslos mit Wackelkamera umgesetzt und bleibt im üblichen Rahmen eines Actionfilms.
Dafür knüpft das Ende an Singhs Schneewittchen-Adaptation "Mirror Mirror" (2012) an: Das amerikanische Weihnachtsmärchen von Scrooge, dem reichen Geizhals, der auf seine alten Tage doch noch den Wert menschlicher Gefühle lernen muss, widerfährt unserem kaltschnäuzigen Milliardär.
Leider ist mit der (kein wirklicher Spoiler-Alarm) Rettung des kranken kleinen Mädchens und den allseits fließenden Tränen in Hollywoodmanier auch schon Ende Gelände mit der ethischen Reflexion. Der in Rührung versinkende Zuschauer wird sich wohl eher selten die Frage stellen, ob man als genial geltenden Menschen mehr Lebenszeit gewähren sollte als den anderen; vermutlich auch nicht, ob der Sieg im sozialdarwinistischen Kampf um Dollars als Ausweis der Genialität geeignet ist.
Völlig fern jedenfalls liegt dem Film die Frage, ob der Reichtum der Milliardäre und die Tea-Party-Ideologie von Marktradikalen und Sozialdarwinisten etwas mit dem inhumanen Gesundheitswesen der USA zu tun haben könnten: Doch eigentlich hat erst das mangelhafte US-Sozialsystem dem kleinen Mädchen die lebensrettende Behandlung vorenthalten. Die Tea-Party-Bewegung der Republikanischen Partei hatte die Bestrebungen von US-Präsident Obama zu einer Krankenversicherung für alle als sozialistisches Teufelswerk und Untergang von Freiheit und Individualismus dämonisiert.