Separatismus als Flucht vor der Krise
Seite 3: EU, Globalisierung und Separatismus
- Separatismus als Flucht vor der Krise
- Standort-Nationalismus und Konkurrenzdenken
- EU, Globalisierung und Separatismus
- Europa im Identitätswahn
- Auf einer Seite lesen
Dabei hat ironischerweise gerade der "europäische Einigungsprozess" diesen europäischen Regionalismus befördert. Die wirtschaftlichen Vorteile einer Abspaltung können nur deswegen so stark in den Vordergrund der besagten Sezessionsdebatten rücken, weil ein wesentlicher Nachteil nicht mehr gegeben zu sein scheint.
Der im Sezessionsfall drohende Wegfall der gemeinsamen nationalen Märkte, der vor allem die Industrie dieser separatismusfreudigen Regionen hart treffen würde, scheint angesichts des europäischen Binnenmarktes seinen Schrecken verloren zu haben.
Da die Warenströme nun EU-weit frei fließen können, scheint dem Zentralstaat sein wichtigstes ökonomisches Druckmittel bei einer Sezession - die Schließung der Märkte und die Kappung aller ökonomischen Verbindungen - abhandengekommen zu sein. Die ökonomische Tendenz zu einem supranationalen Markt mitsamt den korrespondierenden suprastaatlichen Institutionen der EU scheint somit eine Gegenbewegung zum Regionalismus, zur verstärkten regionalen Konkurrenz zu befördern.
Die letzte wirksame Drohung des Zentralstaates gegenüber separatistischen Bewegungen bildet nur noch der Verweis auf die Regelungen der EU, denen zufolge die Aufnahme neuer Beitrittsländer der Zustimmung aller EU-Staaten bedarf. Genau diese Karte spielt die spanische Zentralregierung gegenüber den katalonischen Separatisten aus, wenn sie andeutet, die Aufnahme eines unabhängigen Kataloniens in die EU zu blockieren.
Die EU scheint somit dabei zu sein, den Nationalstaat als den dominanten institutionellen Rahmen kapitalistischer Wirtschaftsweise zu verdrängen, was wiederum die separatistischen Tendenzen befördert. Doch sind diese europaweiten Umwälzungen - die Entstehung europäischer Institutionen bei gleichzeitiger Renaissance des Regionalismus - selber nur Ausdruck einer beschleunigten krisenbedingten Auflösung der alten nationalen Volkswirtschaften.
Die Krise der Nation
Die Krise der Nation, die sich immer stärker abzeichnet, ist vor allem der Auflösung der nationalen Ökonomie in der krisenhaften Globalisierung geschuldet. Der zunehmende Regionalismus und letztendlich auch Separatismus resultiert somit auch daraus, dass die nationalen Volkswirtschaften in Auflösung übergehen.
Dies äußert sich gerade in den erläuterten zunehmenden sozioökonomischen Disparitäten in den meisten Staaten der EU. Die wirtschaftlichen Abgründe, die sozialen Ungleichheiten nehmen zwischen vielen Regionen in den gegebenen Staaten immer stärker zu. Die Krise beschleunigt somit eine längerfristige Tendenz des regionalen Auseinanderdriftens, bei der einige wirtschaftlich erfolgreiche Regionen sich Landstrichen gegenübersehen, die von Deindustrialisierung und Massenarbeitslosigkeit geprägt sind.
Die sozioökonomischen Unterschiede zwischen Südtirol und Sizilien, zwischen Katalonien und Andalusien oder zwischen der erfolgreichen Region Bayern und den postindustriellen Brachlandschaften des Ruhrgebiets sind bereits jetzt gewaltig.
Ablösungstendenzen
Selbstverständlich befördert die kapitalistische Globalisierung - die selber eine "Flucht nach vorn", einen Reflex auf den genannten Krisenprozess darstellt - ebenfalls den neuen europäischen "Krisenseparatismus", indem sie vermittels der Internationalisierung der Investitions- und Warenströme der Auflösung der Nationalökonomie weiteren Vorschub leistet.
Der nationale Binnenmarkt spielt für viele der Regionen, die noch von der Warenproduktion für den Weltmarkt leben können, nur noch eine untergeordnete Rolle. Wenn etwa BMW viel mehr Autos in China als in Ostdeutschland absetzt, dann formt dies auch entsprechende politische Prioritäten an seinem "Wirtschaftsstandort".
Diese Ablösungstendenzen von Nationalstaaten werden noch weiter dadurch beschleunigt, dass die EU inzwischen dabei ist, viele der staatlichen Funktionen und Aufgabenfelder zu übernehmen, die exportorientierte Unternehmen und Konzerne an Staatsapparaten zu schätzen gelernt haben (etwa die Durchsetzung der "unsichtbaren Hand" des Marktes mit der eisernen Faust militärischer Interventionen in renitenten Regionen außerhalb der EU).
Falls die Eurozone den gegenwärtigen Krisenschub noch einmal überstehen sollte, so wird sie dies tatsächlich in der Gestalt eines "Europas der Regionen" tun, in dem eine gnadenlose Standortkonkurrenz mit zunehmenden sozioökonomischen Abgründen zwischen den Regionen und ausartenden regionalistischen Ressentiments einhergehen werden.