Serbien wirft Kosovo ethnische Säuberung durch Hundert-Prozent-Zoll vor
USA, China, Russland und EU-Länder sollen vermitteln
2007 kam eine als "Verschlusssache" eingestufte Studie des Instituts für Europäische Politik (IEP) zum Ergebnis, dass der Kosovo "fest in der Hand der Organisierten Kriminalität" ist, die "weitgehende Kontrolle über den Regierungsapparat" hat. Der Bericht führt auch aus, wie "parallel zum öffentlichen Ordnungswesen" die "Dominanz des clanbasierten und auf den Grundprinzipien patriarchaler Altersautorität fußenden Herrschaftssystems" wuchs, während der NATO-Angriffe einen "exponentiellen Machtzuwachs erfuhr, und nach dem Zusammenbruch der jugoslawischen Ordnung zur alleinigen gesellschaftlichen Autorität im Kosovo avancierte" (vgl. Klares Votum für ein unabhängiges Mafiastan).
Dafür, dass sich daran etwas Grundsätzliches geändert hat, gibt es kaum Anhaltspunkte. Stattdessen ist der in diesem Zusammenhang ausgesprochen umstrittene Hashim Thaçi heute kosovarischer Staats- und der noch umstrittenere Ramush Haradinaj Ministerpräsident (vgl. Kosovo: Wahlen bestätigen gescheiterten Staat). Berücksichtigt man diesen Hintergrund, verwundert es wenig, dass sich letzte Woche eine recht klare Mehrheit der Interpol-Mitgliedsländer gegen eine Aufnahme des Kosovo in die internationale Polizeiorganisation aussprach.
Maßnahme trifft vor allem ethnische Serben
Die Staatsführung des Kosovo nutzte diese Niederlage auf internationalem Parkett, um die Einführung eines Hundert-Prozent-Zolls auf Waren aus Serbien und Bosnien-Herzegowina zu verkünden, von dem lediglich Marken großer amerikanischer, europäischer und asiatischer Hersteller ausgenommen sein sollen. Auf den ersten Blick wirkt diese Maßnahme wenig rational, weil sie die Preise für Brot, Mehl, Butter und Zucker im Kosovo bereits deutlich steigen ließ.
Auf den zweiten Blick verschlechtert sich die Versorgungslage aber nicht überall gleich, sondern vor allem im immer noch serbisch besiedelten Mitrovica-Zipfel, in dem es viel engere wirtschaftliche Verbindungen zu Serbien gibt als im bereits weitgehend ethnisch gesäuberten Rest des Landes. Der serbische Staatspräsident Aleksandar Vučić vermutet deshalb, dass man damit die Serben im Mitrovica zum Auswandern bewegen und die ethnische Säuberung fortsetzen will. Darauf, dass diese Einschätzung nicht ganz unzutreffend sein könnte, deutet die Festnahme von serbischen Polizisten in Mitrovica durch eine Spezialeinheit der kosovarischen ROSU-Polizei Regional Operational Support Unit (ROSU) am Freitag hin.
Spiegelzölle waren sinnlos, weil der Kosovo kaum legale Güter exportiert
Im Kosovo wird - anders als Serbien - nichts produziert, was in nennenswertem Umfang als Exportgut begehrt wäre. Zumindest nichts Legales. Insofern ist es wenig verwunderlich, dass Serbien auf die kosovo-albanischen Zölle nicht mit Gegenzöllen in gleicher Höhe reagierte. Stattdessen wies man darauf hin, dass der Kosovo mit den Zöllen gegen das mittel- und südosteuropäische Freihandelsabkommen CEFTA verstößt (vgl. Serbischer Ministerpräsident schlägt Westbalkan-Zollunion vor) und lud die Botschafter der drei Weltmächte USA, China und Russland sowie die der europäischen Mächte Deutschland, Frankreich, Großbritannien und Italiens zu Gesprächen über das weitere Vorgehen ein.
Das russische Außenministerium schloss sich bereits der serbischen Sicht an und appellierte an die EU, zwischen Belgrad und Pristina zu vermitteln sowie "auf den Kosovo Einfluss zu nehmen und eine unverzügliche Abschaffung 'dieser rechtswidrigen Entscheidung' auszuhandeln, die die Lage auf dem Balkan nur weiter zuspitzen könnte". Dass die Zölle rechtswidrig sind, räumte inzwischen der EU-Erweiterungskommissar Johannes Hahn ein, weshalb auch die EU-Außenbeauftragte Federica Mogherini ihre sofortige Wiederabschaffung fordert.
Im Herbst waren Versuche, den Konflikt zwischen Serbien und dem Kosovo durch einen Gebietstausch zu entschärfen, am Widerstand der kosovarischen Staatsführung gescheitert (vgl. Kosovo: Großalbanienbemühungen und Gerüchte über einen Deal zwischen Trump und Putin). Danach versuchten diese, das auch für die Strom- und Wasserversorgung serbischer Gebiete wichtige Wasserkraftwerk Gazivode militärisch zu besetzten, musste aber einen Rückzieher machen, als Belgrad deswegen Moskau um Hilfe bat.